ABOMINABLE – Bundesstart 26.09.2019
Niemand kann Familienunterhaltung so ausgeklügelt und berechnend wie Pixar. Da muss man sich einig sein. DreamWorks Animation wollte da von Anfang an in nichts nachstehen. Disney funktionierte Generationen übergreifend durch seinen Niedlichkeitsfaktor und die moralischen Ansprüche, zudem war ein heute erwachsenes Publikum schon von Kindheit an durch die Marke geprägt. Pixar hatte durch andere Ansätze seine Erfolge aufgebaut. Witz und Thematik sind gleichberechtigt geteilt und umgesetzt, um den Anforderungen an alle Altersgruppen gerecht zu werden, und zwar in einem steten Wechsel der jede Gruppe ständig bei Laune hält und bei keiner die Aufmerksamkeitsspanne abreißen lässt. Zwangsläufig ergeben sich daraus auch Schnittmengen. DreamWorks Animation hatte das Konzept für ANTZ noch leicht holprig übernommen, mit SHREK aber für sich brillant vervollkommnet. Bei EVEREST ist davon kaum mehr etwas übrig geblieben.
Die jugendliche Yi entdeckt auf dem Dach ihres Appartementhauses einen verschüchterten Yeti. Mit den Nachbarjungs Peng und Jin will sie die aus einem Privatlabor ausgebrochene Kreatur zurück in dessen Heimat bringen, dem Mount Everest. Was natürlich nicht angesprochen wird, weder im Film, noch im Presseheft. Bei beiden heißt es nur ‚der Berg‘. Folgt man auf der Landkarte dem Weg der Vier, könnte allerdings der Everest als logisches Ziel in Frage kommen. Zudem wird der Yeti, durch ein Werbeplakat inspiriert, auch Everest genannt. Über einen eventuellen Mantel der politischen Vorsicht könnte man nur spekulieren.
EVEREST ist für DreamWorks die erste Verleih-Kooperation eines Kinofilm mit einem chinesischem Studio. Und der höchste Berg der Welt liegt bekanntlich im von China okkupierten Tibet. Ein Politikum möchte man ausgerechnet bei einem Kinderfilm weitmöglich vermeiden. Es ist schon auffallend genug, dass Yis kürzlich verstorbener Vater ausschließlich Orte innerhalb Chinas benannt hatte, die er mehr als alle anderen besuchen wollte. Für die eigentliche Aussage des Film der letztendlich nur Kinder anspricht, ist all das selbstverständlich vollkommen irrelevant. Aber Kinder gehen selten alleine ins Kino, und da EVEREST weder filmisch, thematisch, noch inhaltlich Erwachsene anzusprechen versteht, bleibt für diese doch einige Zeit etwas über das Gesehene zu sinnieren. Es könnte genau diese Anbiederung an jenen Markt sein, vor dem schon seit geraumer Zeit die filmenden Kreativköpfe warnen. Kaum eine Großproduktion verzichtet heutzutage auf chinesische Investoren. Nicht das es um den Film schade gewesen wäre, aber die Neuverfilmung von DIE ROTE FLUT verdeutlicht den destruktiven Einfluss bei der Ausrichtung auf einen chinesischen Markt.
Ansonsten zeigt sich EVEREST mit einer beim Animationsfilm bereits eingeschlichenen Routine. Figuren, die in ihrer anatomischen Beschaffenheit absonderlich wirken, aber durch die Masse an Computerfiguren im aktuellen Kino eine nicht hinterfragte Akzeptanz erreicht haben. Und natürlich der moralisierende Hintergrund von Selbstfindung, Toleranz, Freundschaft und Loyalität. Das setzt Jill Colton, die auch das Drehbuch verfasste, manchmal sehr aufdringlich, aber einige Male auch sehr charmant um. Der Blick hinweg über die Kulturgrenzen, abseits der westlichen Einflüsse hingegen gelinkt kaum. Die Charaktere verfügen lediglich über eine, mit Verlaub, prägnantere Augenpartie. Nur Yis Großmutter ist derart überzogen chinesisch, dass man sie nur als Parodie bezeichnen kann. Dafür war das Lieblingsstück von Yis Vater auf der Geige ausgerechnet Coldplays ‚Fix You‘, was allerdings nicht von Weltoffenheit zeugen soll, sondern dem reinen, emotionalen Effekt dient.
In der Tat ist in einer Szene ‚Fix You‘ ein tragendes Element, welches die Macht von Bildern und Musik fantastisch kombiniert, aber auch die verlorenen Möglichkeiten in anderen Sequenzen verdeutlicht. Am Ende wird die hartnäckige Naivität der Kinder tatsächlich über die Unvernunft der Erwachsenen triumphieren. Das bereitet dem jungen Publikum sehr viel Freude. Schließlich gab es ja die ganze Zeit über lustige Abenteuer mit dem Yeti, der sehr unbedarft, dafür umso lustiger durch die Welt der Menschen tobt. Man könnte sagen, dem einen Freud‘, des anderen Leid. Aber generell würde man EVEREST damit Unrecht tun. Er hat seine Moment für jung und alt, vergnügt, wenngleich spärlich, auch Erwachsene in manchen Szenen und mit manchem Witz. Sein Zielpublikum trifft er allerdings mitten ins Herz, da kann man als rationaler Elternteil soviel einzelne Komponenten auf den Kopf stellen und zerpflücken wie man will. Die Kleinen werden das ganz anders sehen. Und für die Großen gibt es allemal weit unerträglichere Alternativen. Man muss sich eben einfach einmal fallen lassen.
Stimmen:
Cloe Bennet: Yi
Albert Tsai / Moritz Hübscher: Peng
Tenzing Norgay Trainor: Jin
Joseph Izzo: Everest
Eddie Izzard / Bodo Wolf: Burnish
Sarah Paulson: Dr. Zara
Tsai Chin / Marianne Groß: Nai Nai
u.a.
Regie: Jill Culton, Todd Wilderman
Drehbuch: Jill Culton
Kamera: Robert Edward Crawford
Bildschnitt: Susan Fitzer
Musik: Rupert Gregson-Williams
Produktionsdesign: Max Boas
USA – China / 2019
97 Minuten