IN ORDER OF DISAPEARANCE – KRAFTIDIOTEN – Bundesstart 20.11.2014
Dieser Artikel ist ungeeignet für Menschen, die HARD POWDER mit Liam Neeson noch nicht gesehen haben.
Man kennt die Geschichte. Ein nicht gerade glücklicher Mann in gereiften Alter. Der noch dazu leidenschaftlich gerne die Schneefräse und seinen Pflug durch die verschneite Wildnis jagt, um die kaum auszumachenden Straßen von den Schneemassen zu befreien. Diese Leidenschaft macht ihn zum ‚Mitbürger des Jahres‘. Und wie jemand aus dem kleinen Kaff ihm sagt, kann er sich etwas darauf einbilden, schließlich ist der Fahrer Nils Dickman Schwede. Das Nils in Norwegen die Schneefräse fahren darf, hat ja auch etwas von Integration. Es ist nur ein kurzer Dialog, der albern wirken könnte, den Nerv der Zeit aber weit im voraus trifft. Und es ist ein Satz, der in seiner Subtilität dem Remake HARD POWDER ein klein wenig abgeht. Und schon begibt man sich mitten hinein, in die Tretmühle von Vorzügen und Nachteilen einer Neuverfilmung.
Der Streit ist fast so alt wie das Kino selbst. Selbstverliebte Cineasten erklären den Unsinn eines Remakes. Nein, eigentlich ist das falsch. Sie erklären überhaupt nichts, sondern würden gerne ihre Meinung anderen Kinogängern aufzwingen, allerdings ohne Argumente, oder nur hanebüchenen. James Bond liegt da ja nicht soweit weg. „Wird Zeit, dass man den endlich abschafft“. Und nein, das sind keine Einzelstimmen. Dabei muss man James Bond gar nicht abschaffen, sondern nur die Kommentarfunktion auf entsprechenden Seiten. Die Alternative, einfach überhaupt nicht ins Kino zu gehen und den Film zu ignorieren, liegt auf der Hand, ist aber nur der halbe Spaß. Abschaffen, Reihe beenden, jawohl. Damit wären Millionen von Zuschauern gerettet, die das veraltete Zeug wirklich gerne sehen.
Mit EINER NACH DEM ANDEREN ist es für die cineastischen Gutmenschen etwas schwieriger. Denn kaum einer hat den Film gesehen. Festivalbesucher waren begeistert, dennoch kam der Verleih Magnet Releasing nicht über 10 Kinos und 50.000 Dollar Einnahmen in Amerika hinaus. Zumindest in Amerika. Na, was soll es, ist doch nur ein norwegischer Film. Und wer das skandinavische Kino kennt, der sollte eigentlich wissen, was ihm dabei entgeht. Nichts fürs zarte Gemüter, sarkastisch, oft pechschwarzer Humor, Dialoge, die sich nicht in Belanglosigkeit verzetteln. Aber sehr oft eine Geschichte, die sich durch Originalität auszeichnet. Weitab vom Mainstream. Wobei auch die Skandinavier gut Mainstream können. Sagt man. Fragen wir die Experten. Ach nein, die schaffen gerade STAR TREK ab.
Bei KRAFTIDIOTEN hat es sich sogar bezahlt gemacht, mit HARD POWDER ein Remake zu drehen. Da Hans Petter Moland erneut die Regie übernehmen durfte, hat sich wenigstens kein anderer an dem Stoff zu schaffen gemacht. Es bleibt Molands Vision. Hier und da etwas aufpoliert, ein wenig mehr skurrilen Humor. Doch das schmälert den Vorgänger nicht im Geringsten. Was bei der Version von 2019 mehr zum tragen kommt, sind viele Details die offensichtlicher nach außen getragen werden. Bei KRAFTIDIOTEN ist alles viel subtiler. Die Rolle des Syndikat-Oberhauptes ist mit einem extrem zurückhaltenden, dafür auch nicht erfassbaren Bruno Ganz, kaum in eine Schublade des typischen Gangsterbosses zu stecken. Auf der anderen Seite hat das Drehbuch von Frank Baldwin für die Neuauflage zum Glück mehr Zeit und Tiefe für die zwei Polizisten gefunden.
Viele Szenen und Kameraeinstellung sind erhalten geblieben, und wurden eins zu eins übernommen. Das zeugt von Molands Glauben an den ersten Film und seine Interpretation von Kim Fupz Aakesons Buch. So sehr sich diese beiden Filme auch ähneln, der eine ist ein skandinavisches Produkt, der andere ein maßgeschneidertes Projekt für einen großen Markt. Muss man also eines von beiden verteufeln, nur weil man dem Publikum gibt, nachdem es ab und an verlangt. HARD POWDER ist über weite Strecken der bessere Film. Mehr Tempo, mehr Abwechslung im Humor, und für die Masse im Gesamten weit nachvollziehbarer. Aber wo wäre dieser Film, hätte es KRAFTIDIOTEN nicht gegeben, aus dem er erwachsen ist.
Man kann über Neuverfilmungen und Neuinterpretationen denken wie man will. Eine gesunde Diskussion darüber kann sehr anregend sein. Aber nicht vergessen, die Füße auf dem Boden zu behalten. Ob schwerstes Arthouse-Kino, oder leichteste Massenware, alles bewegt sich im Bereich der Unterhaltung. Und die muss man sich nicht ohne Argumente tot quatschen. Was jetzt noch bleibt, ist endlich SHERLOCK HOLMES und seine unendlichen Ableger vom Markt zu nehmen. Wer braucht denn das noch?
Darsteller: Stellan Skarsgård, Pål Sverre Hagen, Bruno Ganz, Arthur Berning, Jack Sødhal Moland u.a.
Regie: Hans Petter Moland
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
Kamera: Philip Øgaard
Bildschnitt: Jens Christian Fodstad
Musik: Brian Batz, Kasper Kaae, Kåre Vestrheim
Produktionsdesign: Jørgen Stangebye Larsen
Norwegen – Schweden – Dänemark / 2014
114 Minuten