Cate Blanchett ist BERNADETTE

Where'd Bernadette 1,  Copyright  UNIVERSUM FILM (UFA)WHERE’D YOU GO, BERNADETTE
– Bundesstart 21.11.2019

Dieser Beitrag wurde am 25.11.2019 / 12:00 überarbeitet.

Um Bernadette Fox wirklich zu verstehen, müsste man tiefer gehen. Mehr hinterfragen, mehr erwarten. Dazu wären Dialoge notwendig, ausufernde Szenen, Erklärstücke die letztendlich doch von den Figuren ablenken würden. Da ist man bei Schauspielregisseur Richard Linklater wesentlich besser aufgehoben. Linklater hat die Gabe, aus ganz einfachen, unspektakulären Geschichten, eine faszinierende Erzählung zu kreieren. Mit dem Autoren Duo Vincent Palmo und Holly Gent (vormals Palmo. Beziehungsgrad bitte als e-Mail mitteilen), konnte der Autorenfilmer Maria Semples Bestseller soweit ausdünnen, dass die Essenz des Romans filmtauglich wurde, aber auch Bernadettes Charakter vollständig erhalten blieb. Die Gefahr bestand durchaus, man könnte als Zuschauer jedwede Sympathie für diese Frau verlieren. Doch in diesem Fall kommt Cate Blanchett ins Spiel.

Vor geraumer Zeit war Bernadette Fox eine der weltweit bekanntesten und angesehensten Architekten, wobei sie sich selbst lieber als Erbauerin bezeichnet. Im Heute hat sich Bernadette aus dem Geschäft längst verabschiedet, sich der Familie hingegeben, und  durch ihre impulsive Art und schonungslose Offenheit wahrlich keine Freunde gefunden. Anfangs läuft BERNADETTE noch in den leichten Gewässern einer Komödie, wo der Figur Bewunderung und Neid für ihre unverfälschte Art beim Zuschauer herauf beschwört. Erst nach und nach blättert Linklater das Drama auf, intensiviert es, bleibt aber im Ton stets locker und vergisst auch perfekt platzierte Lacher nicht. Aber Lacher bedeuten in diesem Film keine Schenkelklopfer, oder alberne Possen. Der Humor ist tiefgründig, ehrlich, real und manchmal auch zum fremdschämen.

Und je mehr man sich dieser durchaus strittigen Figur annähert, desto mehr wird Stück für Stück von ihrem Hintergrund preis gegeben. Die nur scheinbar abgekühlte Beziehung zu ihrem Mann, die fast schon fanatische Treue von Tochter Bee zu ihrer Mutter. Die emotionale Achterbahnfahrt generiert sich aus dem steten Wechsel zwischen Selbstfindung und der Gefahr ins Peinliche abzurutschen. Ob beabsichtigt oder durch Zufall, man kann es nicht wirklich sagen, erwischt Richard Linklater in seiner Inszenierung genau den Punkt, als Cate Blanchett als Bernadette beginnt, für den Zuschauer eine echte Belastung zu werden. Genau an diesem Punkt nimmt die Erzählung eine längst angedeutete, aber dennoch überraschende Wendung. Man ist wieder ganz bei Bernadette, und mehr als gewillt, den ganzen Weg zu gehen.

Where'd Bernadette 2, Copyright  UNIVERSUM FILM (UFA)Wie bei allen guten Schauspielerfilmen, mit exzellent ausgearbeiteten Nebenfiguren, hat man auch hier durchweg das Gefühl, diese würden in der Handlung zu kurz kommen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Aber letztendlich wertet es den Film nur auf. Judy Greer, Kristen Wiig und Billy Crudup konnten nicht besser besetzt werden, zumindest vermitteln das ihre homogen integrierten und glaubwürdigen Darstellungen. So falsch kann also so eine Aussage nicht sein. Am auffallendsten und eindringlichsten im Ensemble ist allerdings Laurence Fishburne als Bernadettes ehemaliger Mentor, der mit ganz wenig Leinwandzeit den größten Einfluss auf die Geschichte nimmt. In ihrem ersten Spielfilm debütiert Emma Nelson mit erfrischender Leichtigkeit und einer sehr überzeugenden Präsenz, die für ihre Zukunft weiterhin großartiges verspricht. Die Möglichkeit für eine derart überzeugende, weil reale Darstellung wird sie wahrscheinlich auf längere Zeit nicht erhalten, weil solche feinen Charakterzeichnung grundsätzlich schwer zu finden sind.

Natürlich läge es nahe, Cate Blanchett über alles hinaus zu loben und zu feiern ob ihrer bravourösen Intensität und dem einnehmenden Charisma. Aber wo würde das hinführen als lediglich in übertrieben Plattitüden und aufgesetzt wirkender Überschwänglichkeit. Aber Blanchett bringt einem Bernadette nahe, sehr nahe sogar. Man lacht mit ihr, zittert mit ihr, und kann nach und nach ihre Beweggründe, ihre Motivationen nachvollziehen. Und so ein schwieriger Charakter braucht dann eben auch jemanden, in dem man nicht einen Schauspieler sieht, sondern vollkommen losgelöst die Figur wahrnimmt. BERNADETTE ist dennoch kein leichter Film, keine einfache Tragikomödie. Richard Linklater wagt es auch immer wieder seine Hauptfigur in Frage zu stellen, und diese Frage an den Zuschauer weiter zu reichen. Aber das geschieht in leichten, meist unbeschwerten Sequenzen. Linklater will nicht bloßstellen, sondern unterhalten, dies aber auf sehr hohem Niveau. Und  genau das vorgeschobene Unbeschwerte, fordert dazu heraus, sich noch intensiver nicht nur mit der Hauptfigur, sondern ihrem gesamten Umfeld auseinander zu setzen. Das verdeutlicht auch Shane Kellys unaufdringliche aber wirkungsvolle Kameraarbeit, die Bernadettes Gemütszustände immer wieder suggestiv auf die Bilder überträgt. Kleine Gesten der Zuneigung, die Vertrautheit zwischen den Personen, werden unaufdringlich, meist nebenher oder unbemerkt eingefangen. Die Kamera geht in diesem Kosmos mit auf, und erspart durchaus auch immer wieder unrealistisch aufgesetzte Nebensätze.

Bernadette Fox leidet unter Agoraphobie, eine Angststörung die man gemeinhin als Platzangst bezeichnet. Das Gegenteil von dem, wie man im Volksmund auch zu Klaustrophobie sagt. Aber Agoraphobie ist nicht allein die Angst vor großen, freien, oder viel besuchten Plätzen, sondern auch davor, fremde, unbekannte Orte aufzusuchen und dabei neue Erfahrungen herauf zu beschwören. Diese Störung kann sogar damit einhergehen, dass man bereits von Panikattacken heimgesucht wird, sollte man in Erwägung ziehen, die eigene Wohnung überhaupt zu verlassen.

  Where'd Bernadette 3, Copyright  UNIVERSUM FILM (UFA)

Darsteller: Cate Blanchett, Emma Nelson, Billy Crudup, Megan Mullally, Steve Zahn, Judy Greer, Kristen Wiig u.a.
Regie: Richard Linklater
Drehbuch: Richard Linklater, Holly Gent, Vincent Palmo Jr. nach dem Roman von Maria Semple
Kamera: Shane F. Kelly
Bildschnitt: Sandra Adair
Musik: Graham Reynolds
Produktionsdesign: Bruce Curtis
USA / 2019
109 Minuten

Bildrechte: UNIVERSUM FILM (UFA)
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