CAN YOU EVER FORGIVE ME ?

CanYouEverForgiveMe-1, Copyright 20the Century FoxCAN YOU EVER FORGIVE ME?
– Bundesstart 21.02.2019

Anfang der 60er war Leonore Carol Israel eine renommierte, freischaffende Journalistin. Später verfasste sie in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Künstlern deren Biografien. Doch auch das war nicht von Dauer. Obwohl erfolgreich, war der Markt schnell gesättigt. „Lee“ Israel musste dazu übergehen, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Aber das war zum Leben nicht genug. Die starke Alkoholikerin konnte ihre Miete nicht bezahlen, ihre kranke Katze nicht zum Tierarzt bringen. Hier setzt Marielle Hellers Film ein, eine bisher kaum aufgefallene Frau, deren schauspielerische Aufgaben sich ungefähr die Waage mit ihren Regiearbeiten halten. Sieben zu Zehn. Mit den Autoren Nicole Holofcener und Jeff Whitty hatte Heller die richtigen Mitstreiter gefunden. Eine riskante Rechnung ging letztendlich auf.


CAN YOU EVER FORGIVE ME? zu betrachten, bedeutet oftmals verschämt zur Seite zu sehen. Manchmal rührt er aber einen auch, und dann wieder ist er sehr lustig. Es ist aber nicht die Art von Humor, mit der sich Melissa McCarthy zu einer der bestbezahltesten Schauspielerinnen in Hollywood hoch gearbeitet hat. Die Besetzung von McCarthy war eine mutige Entscheidung, allerdings muss man zugeben, dass sie so sehr in ihrer Rolle aufgeht, dass die Tragik in der Person Lee Israel regelrecht spürbar wird. Das Zauberwort ist Understatement. Kaum wahrnehmbare Gesten, lange regungslose Einstellungen ihres vom Alkohol gekennzeichneten Gesichtes. Gerade die Reduktion auf ehrliche und realistische Verhaltensmuster, machen den Film richtig gehend spannend.

Um CAN YOU EVER … zu erklären, müsste man, wenn auch nur gering, den Handlungsverlauf  anschneiden. Dies würde unweigerlich dazu führen, ob man möchte oder nicht, sehr viel tiefer in die Materie vordringen würde, was sehr viel vom eigentlich Spaß des Filmes vorweg nehmen könnte. Sofern man von Spaß reden kann. Ist Hellers Film eigentlich eine sehr bittere Tragödie, wird diese aber doch mit einer gewissen Leichtigkeit erzählt, die es dem Zuschauer leicht macht, die Sympathien für ihre Protagonisten aufrecht zu halten. Dabei verfällt der Film aber niemals in aufgesetzte Sentimentalitäten, oder an den Haaren herbeigezogenen Versatzstücken von Dramaturgie. Im Gegenteil, es gibt einen Handlungsteil, der immer wieder mit den Erwartungen des Zuschauers spielt, der das Offensichtliche heraufbeschwört, sich aber nie dieser Annahme fügt.

Holofcener und Whitty haben ein Drehbuch geschrieben, in dem sehr viel geredet wird. Doch die eigentliche Stärke in Hellers Inszenierung liegt darin, dass die wesentlichen und entscheidenden Szenen gespielt und nicht ausgesprochen werden. Besonders auffallend ist dies bei Richard E. Grants Charakter, der sich gerne selbst reden hört, doch sein Gesicht, sein Verhalten ganz andere Geschichten erzählen.

Man darf sich trotz allen Mitgefühls nicht täuschen lassen, dass Lee Israel ein krimineller Mensch war. Und in gewisser Weise, kokettierte sie auch damit. Als sich die Schlinge der Gesetzeshüter immer enger um ihren Hals schloss, ruderte sie nicht etwa zurück, sondern begab sich noch einen Schritt höher auf den Stufen ihrer strafbaren Absichten. Der Zuschauer mag aus unterschiedlichen Gründen sein Herz an Israel verschenkt haben, die Macher von CAN YOU EVER … lassen aber nicht zu, dass man ihr Verhalten auch für gut heißt. Man muss durchaus schmunzeln, wenn sich die ehemalige Journalistin immer mehr ihrer Energie für das Falsche hingibt. Aber der Charakter erkennt ihren Punkt von dem aus sie nicht mehr aus ihrer misslichen Lage frei kommt. Und das Publikum wird sich an die Nase fassen, und zugeben müssen, ebenfalls von dieser Person getäuscht worden zu sein, und dabei das eigentliche Unrecht zuerst gar nicht in Frage stellte.

CAN YOU EVER … ist ein eigentlich lauter Film, der dann aber durch leise Zwischentöne überzeugt. Sehr einnehmend inszeniert und mit sehr glaubwürdigen Darstellern umgesetzt. Und dabei immer für eine Überraschung gut. Kameramann Brandon Trost hat stimmungsvolle und angemessene Bilder in Szene gesetzt, und Anne McCabe hat diese genau im richtigen Tempo geschnitten, um die Stimmung von Charaktere und Handlung noch zusätzlich zu unterstreichen. Kein Film für jedermanns Geschmack, dafür verweigert er sich zu sehr dem Mainstream. Aber man muss nicht immer Schenkel klopfen, um sich angenehm zu unterhalten. Und es ist auch nicht verkehrt einmal nachdenklich aus dem Kinosaal zu gehen. Besonders nach der letzten Einstellung im Film, die einen dann in dieser Konsequenz doch nicht überrascht. Lee Israel war kriminell, nur wurde sie dabei erwischt. Und die anderen?

CanYouEverForgiveMe-2, Copyright 20the Century Fox

Darsteller: Melissa McCarthy, Richard E. Grant, Dolly Wells, Ben Falcone, Gregory Korostishevsky, Jane Curtin, Stephen Spinella u.a.
Regie: Marielle Heller
Drehbuch: Nicole Holofcener, Jeff  Whitty
Kamera: Brandon Trost
Bildschnitt: Anne McCabe
Musik: Nate Heller
Produktionsdesign: Stephen H. Carter
USA / 2018
106 Minuten

Bildrechte: 20th Century Fox
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