BEALE STREET

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Bundesstart 07.03.2019

Als James Baldwin 1973 seinen Roman BEALE STREET BLUES veröffentlichen ließ, nahm er schon in den einleitenden Worten Bezug darauf, dass die Beale Street überall wäre. „Jeder Afroamerikaner sei in der Beale Street geboren“. Ein besseres Gegenargument gab es kaum, als man Regisseur und Drehbuchautor Barry Jenkins vorwarf, seine Verfilmung spiele nicht in Memphis, wo es die Beale Street tatsächlich gibt. Barry Jenkins hat den Film nach New York verlegt, aus Respekt und Ehrerbietung gegenüber James Baldwin. Es war seine Lieblingsstadt, auch wenn der Schriftsteller wesentliche Zeit im Ausland verbrachte. Ein hochverdienter Beobachter seiner Generation, der Geschichte der Schwarzen in Amerika, und eine Gesellschaft, die den Umbruch weder wagt, noch möchte. Seinem Vermächtnis zum Trotz, verschwand sein Name nach seinem Tod 1987 schnell aus dem Gedächtnis derer, die ihm mit seinen Worten viel zu verdanken hätten. Erst mit der Bewegung ‚Black Lives Matter‘, wurden Baldwins Romane und Essays wieder aktuell.

Gerade einmal zwei Jahre nach dem sensationellen Erfolg von MOONLIGHT, bringt dann Barry Jenkins erneut ein Schwergewicht in den Preisverleihungszirkus. Jetzt kann man über Oscar-Nominierungen streiten wie man will, aber für einen unabhängig produzierten Film mit einem lächerlichen Budget von 1,5 Millionen Dollar, hatte MOONLIGHT mit der Aussicht auf acht Auszeichnungen einige Leute aufgeschreckt, und viele in Verzückung gebracht. Selbstredend wurde BEALE STREET hoch gehandelt und allerorts umjubelt. Ein Plädoyer für die Liebe, die Familie, die Selbstfindung und gleichzeitig Selbstbestimmung. Und immer gegenwärtig, ein unverhohlener Rassismus. Überrascht fragt das schwarze Pärchen, warum der jüdische Vermieter ausgerechnet ihnen die Wohnung gibt. „Liebe ist Liebe, und ich bin meiner Mutter Sohn,“ wird er antworten.

In Jenkins Film sind alle vorhanden. Die Zweifler, die Träumer, die Realisten, die Verweigerer. Und alle haben ihre Episoden. Fast wie ein Puzzle, sind es immer wieder Unikate an kleinen Sequenzen, die zusammen ein komplexes Bild ergeben. Und wie bei einem Puzzle, gibt es diese einfachen Teile, Teile die den Rand bilden, die alles umschließen. Sie sind deswegen so einfach, weil es die unumstößliche Liebe zwischen Tish und Fonny ist. Sie 19 Jahre, er 22. Allen Widrigkeiten zum Trotz, behalten sie ihre Ideale. Es ist Anfang der 70er, und eine Hoffnung für Schwarze ist stets in der Schwebe. Diese Episoden setzt Jenkins zu einem Ganzen zusammen. Dabei kommt ihm allerdings ein dramaturgischer Fluss abhanden. Der Konflikt zwischen den Müttern von Tish und Fonny ist hart und schmerzlich, wird aber im weiteren Verlauf nicht mehr thematisiert. Fonnys bester Kumpel Daniel kommt aus dem Gefängnis, und in einem Minuten langen Dialog versucht er seine Perspektiven zu sortieren. Aber auch darauf geht der Film im weiteren Verlauf nicht mehr ein.

Die einzige Konstante ist ein immer wieder eingeschobener Rückblick, wie Tish und Fonny ihre erste Nacht miteinander verbringen. Fast endlos, und auch ermüdend lange versucht der Regisseur die Beziehung der beiden auf diese eine Nacht zu komprimieren. Fünf, sechs Mal springt der Film zu dieser Szene zurück, und streckt das Ereignis auf ein fast schon unerträgliches Maß, wozu eine kurze Sequenz ausreichend gewesen wäre. Das Ergebnis dieser Nacht ist ja von Anfang an hinlänglich bekannt. Grundsätzlich neigt der Regisseur dazu, Dialoge und Szenen auf ein Maximum auszudehnen. Wie auch die eigentlich als Monolog zu bezeichnende Unterredung zwischen Daniel und Fonny. Die einzelnen Geschichten immer wieder aufzubrechen und im Handlungsverlauf öfters aufzugreifen, wäre die spannendere Variante des Erzählens gewesen.

Ähnlich dem Erzählen, geht es mit James Laxtons Bildgestaltung, Laut Aussagen von Jenkins, haben er und Laxton Postkartenmotive aus jener Zeit studiert, um mit der Kamera eben diese Stimmungen zu erzeugen. Aber auch Laxton bringt keine erkennbare Bildsprache auf die Leinwand. Selbstverständlich müssen Einstellungen und Bewegungen variieren, wenn man eine Handlung oder bestimmte Szenen bildlich unterstützen will. Aber die Kamera lässt jede Art von Struktur vermissen. Manchmal sind es quälend lange Close-ups, die in der Monologisierung von anderen Close-ups unterbrochen werden. Dann gibt es wieder strahlende Moment, wie die Kreisfahrt, in der Fonny versucht in einem Stück Holz sein neuestes Kunstwerk zu erkennen. Gerade diese Fahrt ist ein Sinnbild dafür, was Fonny zu tun hat und tun wird. Solche Augenblicke sind allerdings erschreckend gering gehalten.

Mit was Barry Jenkins seinen Film rundherum aufwertet, ist das erstklassige Ensemble. Mit hauptsächlich unbekannten Gesichtern schafft er einen berührenden Realismus. Keiner der Schauspieler verliert gegenüber den anderen. Die Charaktere sind klar definiert, und die Darsteller machen das Beste daraus, ohne Übertreibung, ohne aufgesetzte Theatralik. Deswegen hätte sich Jenkins doch dazu entscheiden sollen, etwas mehr die klassische Inszenierung zu bevorzugen. Sein Hang zum Ausreizen von diversen Kunstkniffen, ohne erkennbaren Zusammenhang zueinander, steht dem Thema und den Figuren oft  nur im Weg.

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Darsteller: KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Michael Beach, Diego Luna, Dave Franco, Pedro Pascal, Ed Skrein u.a.
Regie & Drehbuch: Barry Jenkins
Kamera: James Laxton
Bildschnitt: Joi McMillon, Nat Sanders
Musik: Nicholas Britell
Produktionsdesign: Mark Friedberg
USA / 2018
119 Minuten

Bildrechte: DCM Film Distribution
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