AFTER THE WEDDING – Bundesstart 17.10.2019
Die Amerikanerin Isabel ist Leiterin eines Waisenhauses in Indien. Als möglicher Wohltäter für dringend benötigte finanzielle Unterstützung meldet sich ein Medienunternehmen aus New York. Bedingung ist, dass ausschließlich Isabel persönlich an der Ostküste vorstellig wird. Hier trifft sie auf Theresa, treusorgende Mutter und knallharte Geschäftsfrau des in Frage kommenden Konzerns, die wegen der anstehenden Hochzeit ihrer Tochter keine Zeit für Isabel findet. Kurzerhand lädt Theresa die irritierte Isabel zur Hochzeit ein, um sich besser kennen zu lernen, und am folgenden Montag die Benefiz-Gespräche weiter zu führen. Doch bereits das Wochenende, der Titel nimmt es schon vorweg, wird Isabels Leben drastisch verändern.
Gerade skandinavische Filme sind begehrte Werke für eine amerikanische Neuverfilmung. Zum einen finden schwedische, dänische, oder norwegische Filme kaum ein größeres Publikum, zum anderen sind die Geschichten meist interessanter und mutiger als die des amerikanischen Independent-Films. Da wäre es zu schade, bestimmte Themen einfach an zu wenige Zuschauer zu verschwenden. AFTER THE WEDDING ist ja auch nicht die erste Adaption, die auf einem Film der Dänin Susanne Bier basiert. Dabei sei es dahin gestellt, wie die Produktion zustande kam, für die Julianne Moore mit der Hauptrolle betraut wurde. Denn sie ist nicht nur Co-Produzentin, sondern auch Ehefrau von Regisseur und Drehbuch-Umsetzer Bart Freundlich.
Natürlich bleibt die Frage niemals aus, ob es wirklich notwendig sei, einen, wenigstens für seine Verhältnisse, erfolgreichen Film unbedingt neu zu verfilmen. Aber dreizehn Jahre von Original zu Remake sind an sich schon eine stattliche Zeit, und Bart Freundlich kam auf einen Kniff, ganz nah an der Vorlage zu bleiben, und trotzdem etwas ganz eigenes zu schaffen. Hier kommt erneut die Frage auf, inwieweit Julianne Moores Einfluss bei dem gesamten Projekt wirklich war. Denn Bart hat ganz einfach, aber wirklich genial, die Geschlechter bei den Hauptfiguren getauscht. Und der interessanteste Charakter in AFTER THE WEDDING ist ohne Zweifel Theresa, gespielt von Moore.
Der Film ist ein sehr einnehmend umgesetztes Drama, das dadurch überzeugt, dass sich die Figuren schon sehr intensiv auf den Zuschauer übertragen, aber niemals ihre Emotionalität überspitzen. Mit einer einzigen Ausnahme, die sich allerdings glaubwürdig und nachvollziehbar einfügt. Es ist die notwendige Katharsis der im Verlauf der Handlung aufgebauten Empfindungen, wenn Theresa ein einziges mal ihre Maske fallen lässt. Doch auch hier lenkt die Inszenierung den Fokus auf Theresas Ehemann Oscar, wie er dieser Situation ohnmächtig gegenübersteht, den Zuschauer einbindend, wie der sich in einem derartigen Dilemma mit den eigenen Gefühlen verhalten würde.
Die Stärke in der Inszenierung liegt in der Gewichtung der Charaktere, die allesamt gleichbedeutend und wichtig gehalten sind. Auch wenn der Kern der Geschichte auf Theresa liegt, umgeht Bart Freundlich die unendlichen Möglichkeiten von emotionaler Übersättigung und offensichtlichem Tränenstück. In besagten Momenten verschiebt er die Aufmerksamkeit immer wieder an den stilleren Gegenpart. Es mag Zufall sein, vielleicht überhaupt nicht im Sinne des Regisseurs, doch der Zuschauer ist den Protagonisten im Handlungsverlauf immer einen winzigen Schritt voraus. Man weiß was passieren wird, was kommen muss, aber wirklich fesselnd sind letztendlich die eigentlichen Reaktionen der Figuren in den entscheidenden Passagen. Allerdings gibt Freundlich immer nur augenblickliche Situationen preis, doch nie das gesamte Handlungsgerüst.
Eine lebensechte Achterbahnfahrt, in der man die kommende Kurve erkennt, aber nicht die folgende Schikane erahnt. Deswegen dauert es ein wenig, bis sich das Publikum in den Film eingefunden hat. Es ist ein langsamer Start, der mit einer bestimmten Situation Fahrt aufnimmt, deren Ausgang man glaubt zu wissen, und dann doch in eine andere Richtung geht. Von da an ist man dabei und es lässt einen auch nicht mehr los. AFTER THE WEDDING zeigt einen Abschnitt in den jeweiligen Leben der Protagonisten, die zusammen alles abdecken. Kontrollverlust, Lebensangst, Liebe, Hoffnung, Abnabelung, Verzweiflung, Neuanfang.
Es ist schön Billy Crudup wieder einmal weiter vorne in einem Ensemble zu erleben, der in seiner Interpretation von Oscar auch alle möglichen Wesenszüge offen lässt, aber immer eine greifbare Erscheinung bleibt. Entgegen allen Erwartungen bleibt Michelle Williams etwas zurück, die kaum über das Stadium ständiger Betroffenheit und Selbstreflektion hinaus kommt. Das ist nur geringfügig enttäuschend, ist der eigentliche Fixpunkt ohnehin Julianne Moore. Selbstredend im harmonischen Zusammenwirken aller anderen Beteiligten, macht in erster Linie Moore mit allen Facetten menschlicher Emotionen AFTER THE WEDDING zu einem exzellenten Arthouse-Erlebnis.
Darsteller: Michelle Williams, Julianne Moore, Billy Crudup, Will Chase, Abby Quinn, Azhy Robertson, Doris McCarthy u.a.
Regie & Drehbuch: Bart Freundlich, nach dem Film von Susanne Bier
Kamera: Julio Macat
Bildschnitt: Joseph Krings
Musik: Mychael Danna
Produktionsdesign: Grace Yun
USA / 2019
112 Minuten