WHIPLASH – Bundesstart 19.02.2015
Mit dem Erfolg kommt natürlich auch die negative Kritik. Filmemacher Damien Chazelle würde sich viel zu wenig für die Musik interessieren, die er behandelte. Seine Auseinandersetzung mit dem Jazz sei nicht wirklich ernst zu nehmen, sondern sei in den Händen des Autoren / Regisseur nur notwendiges Beiwerk. Nun, immerhin gibt es genügend Zuschauer die nicht allzu viel von Musik verstehen, und zumindest die Intensität zu würdigen wissen, mit der Musik zu einem wortwörtlichen Instrument wird. Chazelle konnte eine Finanzierung für seine zweite Regiearbeit nicht sichern. Mit 15 Seiten seines Drehbuches von WHIPLASH realisierte er einen 18 minütigen Kurzfilm, sorgte beim Sundance Film Festival 2013 für Furore, und fand schließlich seine Produzenten für die Realisierung des kompletten Drehbuchs. Eine Geschichte wie sie Hollywood erzählen könnte. Eine Geschichte, die sich daraus entwickelte, dass Damien Chazelle selbst in einer sehr Konkurrenz orientierten Jazzband spielte, und die Figur des Lehrers nach seinem Musik-Professor kreierte. Soweit also zu den Vorwürfen notorisch negativer Kritiker.
Das Shaffer Konservatorium für Musik in New York, ist eine der besten Musikschulen überhaupt. Und Andrew Neiman ist vom Ehrgeiz zerfressen, an dieser besten aller Schulen, zum besten Jazz-Drummer zu werden. Andrew ist eher verschlossen, hat als einzigen Freund seinen Vater, und spielt ausschließlich alleine. Eine Band würde ihn nur bremsen, er müsste sich anpassen. Bis auf die Studio-Band des Konservatoriums. Der Ritterschlag für aufstrebende Musiker, sollte Musiklehrer Terence Fletcher auf einen aufmerksam werden, und diesen in die Band aufnehmen. Und dann steht eines Tages Fletcher im Türrahmen des Probenraums von Andrew. Dieser heuchelt zuerst Interesse, und lässt den Drummer dann brutal auflaufen. Der Beginn einer sehr ungesunden Beziehung, die ihre Opfer fordert. Und das erste Opfer ist der Zuschauer, für den es von Minute zu Minute schmerzlicher wird, die Figuren bei ihrer Selbstzerfleischung zu beobachten.
J.K. Simmons ist bisher immer der Garant gewesen, der seine stets zu kurz gehaltenen Nebenfiguren veredelte, wie es kein anderer Nebendarsteller bisher vermochte. Mit WHIPLASH tritt Simmons zwei große Schritte nach vorne, ohne etwas von seinem verschmitzten Charme zu verlieren. Doch hinter der freundlichen Fassade und den schmeichelnden Worten, lauert ein unbarmherziger Tyrann, für den das Beste nicht gut genug ist. J.K. Simmons bringt einen Charakter auf die Leinwand, bei dem es einen heiß und kalt die Wirbelsäule hinauf und hinunter läuft. Eine Figur die man noch während der Vorstellung beklatschen möchte, und einem gleichzeitig sehr viel Angst macht. Ein Typ, der einen seiner Musiker dazu zu bringen die Band zu verlassen, ohne das dieser den ihn angelasteten Fehler beging. „Er geht, weil er nicht einmal wusste das er keinen Fehler gemacht hat, und das ist schlimm genug.“
Doch ein übermächtiger Charakter wie Terence Fletcher, der braucht einen ebenso starken Gegenpart. Und die Stärke in Andrew Neiman ist eben nicht, dass er als Opfer standhaft bleibt, oder die Qualen und Demütigungen ertragen kann. Andrew braucht die unberechenbare Tyrannei seines Lehrers, er will erniedrigt werden, um immer näher an sein wahres Talent gestoßen zu werden. Und von allen Talenten, die im Augenblick die Zukunft des Mainstream-Kinos weitertragen sollen, war Miles Teller wirklich die einzig logische Entscheidung. Jetzt ist WHIPLASH weit vom Mainstream entfernt, aber Teller ein faszinierender Schauspieler, der sich frei im gesamten Spektrum des Kinos bewegen, und dabei auch überzeugen kann. Zweifellos ist J.K. Simmons die dominantere Figur, doch Teller beweist sich mit einer an Wahnsinn grenzenden Unterwürfigkeit, die Terence Fletcher und Andrew Neiman nicht gegen einander ausspielt, sondern sich die Figuren ergänzen lässt.
WHIPLASH wird Dank seiner zwei Hauptdarsteller, zu einer schmerzhaften Erfahrung. WHIPLASH ist mit Abstand der schonungsloseste Film, der seit langem über das Arthouse seinen Weg in den Mainstream gefunden hat. Dafür sind in erster Linie die zwei erstklassigen Hauptdarsteller verantwortlich, was niemand abstreiten kann. Doch Damien Chazelles Inszenierung ist an der den Zuschauer vereinnahmenden Faszination erheblich beteiligt. Der Rhythmus von Tom Cross‘ Schnitt, und die expliziten Bilder von Sharone Meir unterstreichen maßgeblich die Gefühlswelten seiner Protagonisten. Schnitt und Bild sind nicht einfach technische Umsetzung, sondern erweiterte Ebenen im Charakterzug der Figuren.
Egal ob man als Zuschauer etwas von Musik versteht. Egal, ob man diese Musik mag, oder nicht. WHIPLASH ist eine Charakterstudie, und kein Musikfilm. Es ist einer der intensivsten Filme von zwei sich gegenseitig stützenden Menschen, die man seit langem so leidvoll erfahren durfte. Bisweilen tut WHIPLASH weh, an vielen Stellen fasziniert er. Aber zu keinem Zeitpunkt enttäuscht er. Denn es geht um Menschen, und die sind echt, das Thema nebensächlich. Damien Chazelle hat es sich als Filmemacher selbst sehr schwer gemacht, denn Erfolg wird gerade in der Filmwelt am Vorgänger gemessen. Wie soll nur ein Film aussehen, der WHIPLASH emotional den Schneid abkaufen könnte? Kaum vorzustellen.
Darsteller: J.K. Simmons, Miles Teller, Paul Reiser, Melissa Benoist, Austin Stowell, Nate Lang u.a.
Drehbuch & Regie: Damien Chazelle
Kamera: Sharone Meir
Bildschnitt: Tom Cross
Musik: Justin Hurwitz
Produktionsdesign: Melanie Jones
USA / 2014
107 Minuten