SENSE8 – erlebbar überNetflix
Die Wachowskis denken groß. Das weiß man, und vielleicht sind auch deswegen ihre Folgeprojekte nach der Matrix-Trilogie an ihren Absichten gescheitert. Zu überladen, zu ambitioniert. Sie stellten künstlerische Ansprüche weit über den Inhalt. Lediglich CLOUD ATLAS gestand man eben diese künstlerischen Ambitionen zu, und gab vor, eine gewisse Tiefe darin erkennen zu können. Fakt war allerdings, dass die Geschwister scheinbar mit MATRIX ihr Pulver verschossen hatten, wo sie nicht nur das Action-Kino neu definiert hatten, sondern dem Publikum philosophische Denkansätze nahe brachten. Fast unbemerkt wurde die Idee zu SENSE8 bereits 2012 in Form gebracht, und in Netflix fanden die Wachowskis mit ihrem Kollaborateur J. Michael Straczynski einen begeisterten Produzenten, inklusive Vertrieb. Und die ersten Folgen der 12-teiligen Serie, könnten tatsächlich Hinweise auf die alte Form der kreativen Köpfe sein.
Lito ist Schauspieler in Mexico City. Nomi, eine ehemalige Hackerin in San Francisco. In Chicago ist Michael Gorski Polizist. Die Isländerin Riley ist in London DJane. Der Kleinkriminelle Wolfgang ist in Berlin zuhause. In Nairobi fährt Capheus seinen eigenen Bus. Kala fiebert in Mumbai ihrer Hochzeit entgegen. Und Sun reagiert sich als Tochter eines Großindustriellen, bei Mixed-Martial-Arts Kämpfen in Seoul ab. Zuerst haben alle zusammen nur eine Vision, von einer Frau, die sich selbst das Leben nimmt. Was folgt, ist eine unerklärbare Verbindung zwischen den acht Menschen. Es beginnt zuerst gediegen, wenn Kala in Mumbai plötzlich den Regenschauer in Berlin hört, in dem Wolfgang steht. Die Verbindungen werden aber immer ausgeprägter. Man sieht sich gegenseitig im Spiegel, kann dann sogar miteinander reden. Je mehr die ‚Sensates‘ diese mysteriösen Verbindungen akzeptieren, desto intensiver werden ihre Interaktionen. Aber nicht nur körperlich können sie sich in die Gegenwart des anderen einbinden, sondern auch mental bilden die Acht eine Einheit.
Was man über die ersten Folgen sagen kann, ist das gemächliche Erzähltempo. Die Geschichte nimmt sich sehr viel Zeit. Das hat den Vorteil, dass man sich besser auf die Charaktere einstimmen, und auch die Reaktionen auf ihre Gabe echter ausgestalten kann. Doch das geht auf Kosten der Geduld des Zuschauers. Die ersten beiden Episoden sind reine Exposition, ohne das der Zuschauer auch nur einen Hauch von Ahnung bekommt, worauf die Geschichte hinauslaufen könnte. Erst der Showdown im Ende der dritten Folge, zeigt die eigentlichen Möglichkeiten, was den Figuren gegeben ist, und wie man daraus Geschichten entwickeln kann. Denn wenn der hilflose Capheus in Nairobi überfallen wird, und Sun in Seoul für einen Kampf in den Ring steigt, dann muss es nicht sein, dass Sun ihren Kampf auch in Seoul austrägt. Erfrischend dabei sind in erster Linie die unverbrauchten, frischen Gesichter mit denen die Wachowskis und Straczynski ihr Werk besetzt haben.
Es ist Science-Fiction auf einer ganz anderen Ebene, die Straczynski und die Wachowskis dem Zuschauer offerieren. Es geht um Persönlichkeit, Privatsphäre, Sexualität, aber auch Sinnsuche. Was die ‚Sensates‘ verbindet, ist ihre Gabe. Darüber hinaus kämpft allerdings jeder mit seinem individuellen Schicksal. Wolfgang wächst ein Raub über den Kopf. Capheus kann keine Medikamente für seine AIDS erkrankte Mutter organisieren. Litos schwule Beziehung darf in einem Land wie Mexico niemals ans Licht der Öffentlichkeit. Und Nomi sieht sich nach ihrer Geschlechtsumwandlung den Repressalien ihrer Familie ausgesetzt. Die letzten zwei Beispiele sind auch exemplarisch, was bei SENSE8 nicht wirklich funktioniert. So weit. Es ist die aufdringliche Auseinandersetzung mit Sexualität. Gleich zwei homosexuelle Beziehungen, und eine Frau die einmal ein Mann war. Und gerade diese Geschichten, angereichert mit expliziten Sexszenen, das ist einfach zu viel, zu gewollt, einfach zu schulmeisterlich. Natürlich ist Nomis Wandlung die autobiografische Aufarbeitung von Lana Wachowskis Geschichte. Aber das hätte eine wesentlich dezentere Umsetzung vertragen.
Der große Wurf ist den kreativen Köpfen bisher noch nicht gelungen. Es sind sehr gute Ansätze vorhanden, die für den Rest der ersten Staffel viel mehr Potential versprechen. Es ist so, dass nicht die einzelnen Folgen wirkliche Spannung erzeugen, sondern der Verlauf der Handlung neugierig macht. Die Inszenierungen sind oftmals sehr zäh, aber es ist eine sehr einnehmende Geschichte, deren ungewisser Ausgang dann doch bindet. Die Wachowskis sehen SENSE8 als eine Serie mit einem Bogen über fünf Staffeln. Sie haben also einen Plan. Dieser Plan muss allerdings auch für den Zuschauer aufgehen. Denn wenn sie die Macher nur von Cliffhanger zu Cliffhanger hangeln werden, dann wird es schwierig. Die erste Staffel muss mit einem erklärenden Ende aufwarten, damit die Serie weiterhin funktionieren kann. Ansonsten könnten selbst die treuesten Anhänger die Geduld verlieren.
Darsteller: Miguel Ángel Silvestre, Doona Bae, Aml Ameen, Jamie Clayton, Tina Desai, Brian J. Smith, Max Riemelt, Tuppence Middleton u.a.
Regie: Andy Wachowski, Lana Wachowski, Tom Tykwer, James McTeigue, Dan Glass
Drehbuch: J. Michael Straczynski, Andy Wachowski, Lana Wachowski
Kamera: Danny Ruhlmann, John Toll
Bildschnitt: Joe Hobeck, Joseph Jett Sally
Musik: Johnny Klimek, Tom Tykwer
Produktionsdesign: Hugh Bateup
USA / 2015
variierende Laufzeiten zwischen 45 und 66 Minuten