SENSE8 – erlebbar über Netflix
Eine vorangegangene Einschätzung gibt es bei Klick dieser Worte.
Acht Menschen, die auf mysteriöse Weise miteinander verbunden sind. Mexico City, San Francisco, Chicago, London, Berlin, Nairobi, Mumbai und Seoul. Sie können miteinander nicht nur kommunizieren. Zusammengebracht hat die ‚Gruppe‘ die Vision eines Selbstmordes einer blonden Frau. Nach und nach lernen sie auch, sich in der Welt des jeweils anderen zu manifestieren, auch körperlich einzugreifen. Und diese Fähigkeiten werden immer dringlicher, denn ein geheimnisvoller Doktor mit seinem Gefolge, macht Jagd auf jeden einzelnen der Gruppe. Die Gruppe erhält aber Hilfe von dem scheinbar allgegenwärtigen Jonas, der vorgibt Proband einer ersten Gruppe gewesen zu sein. Und mit ihm Angel, die Frau aus der gemeinsamen Vision. Verteilt über den gesamten Globus, muss die Gruppe dennoch geschlossen gegen ihre Häscher kämpfen. So ist das in der Welt der Geschwister Wachowski und Michael Straczynski, die immer versuchen gegen den Strom zu schwimmen, und damit ihr Publikum herauszufordern.
Doona Baes Charakter Sun, eigentlich Geschäftsfrau, die aber gerne Mixed-Martial-Arts Kämpfe austrägt, bringt es in der vorletzten Episode ‚Gas geben und die Zukunft ändert sich‘ auf den Punkt. Unser Leben definiert sich durch Angst, Wut, Begehrlichkeit und Liebe. In Suns Leben ist es die Wut gegenüber ihrem familiären Umfeld. Bei Action-Darsteller Lito, dessen Homosexualität nicht aufgedeckt werden darf, regiert die Angst. Kala in Mumbai ist von Begehrlichkeiten geplagt, weil sie nicht glaubt den richtigen Mann zu heiraten. Oder die transsexuelle Nomi, die nur durch die unerschütterliche Liebe zu ihrer Partnerin Amanita, die Kraft zum Leben schöpft. Aber die Verbindung von Angst, Wut, Begehrlichkeit und Liebe ist weit vielfältiger auf die Beziehungen der einzelnen Gruppenmitglieder zu übertragen. Straczinski ist es mit den Wachoskwis tatsächlich überraschend gut gelungen, einen eigentlichen Science-Fiction-Stoff in den Deckmantel von Menschlichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen zu hüllen. Wo im Vordergrund das phantastische Element herrscht, kann dies doch nur durch den Hintergrund von tief greifenden Charakterstudien bestehen.
Wenn man mutig ist, kann man die Komplexität von SENSE8 durchaus mit der, der MATRIX gleichsetzen. Aber, und das fällt im Verlauf der ersten Staffel auf, SENSE8 möchte mehr sein, als nur ein philosophischer Denkansatz, welchen die MATRIX bot. Die Macher geben an, die Serie über fünf Staffeln angedacht zu haben. Was natürlich bedeutet, dass die Gedankenspiele über die Qualität und Sinntiefe von den ersten zwölf Episoden sehr gewagt bleiben. Denn was diese ersten zwölf Episoden aufbauen, kann und sollte auch nicht das feste Fundament sein. Über weitere vier Staffeln, muss sich viel mehr tun, muss es wesentlich komplexer werden, müssen die Gedankenspiele noch herausfordernder werden. Soweit die Figuren im Dickicht der Handlung jetzt gekommen sind, wäre das Ende der Geschichte ideal ausgereizt. Es muss nach dem ersten Fünftel also noch viel, viel mehr geschehen.
Es gibt aber schon jetzt Nachbesserungsbedarf in der Inszenierung. So sind die Gangster in Berlin und der schwarze Gangstertrupp in Nairobi zu extrem peinlichen Klischees von angeblich bösen Jungs verkommen. Die verderben den Sehgenuss tatsächlich erheblich, weil man als Zuschauer selbst in dieser Sparte etwas Eigenständiges erwartet hätte. Aber den schlimmen Jungs wird nicht gegönnt, über billigstes Fernsehfilmniveau hinaus agieren zu dürfen. Das ist nicht einfach nur ärgerlich, sondern lenkt immer wieder vom spannenden Fluss der Handlung ab. Wenn ein schlecht Tätowierter, mit kahl geschorenem Kopf, in schwarzem Ledermantel gehüllt, seine Drohungen hinaus brüllt, um beindruckend zu klingen, dann kann man das nicht ernst nehmen. Das sieht man einfach viel zu oft, und ist lediglich ein Zeichen von Einfallslosigkeit.
Die stärkste Prämisse von SENSE8 ist die Interaktion zwischen den einzelnen Mitglieder der ‚Gruppe‘. Seine ersten Auswirkungen entfaltet das in Folge Drei ‚Wer Ahnung hat, setzt auf die dünne Schlampe‘. Während Capheus‘ Bus in Nairobi überfallen wird, steht Sun in Seoul im Kampfring. Capheus ist nicht in der Lage sich zu wehren, was schließlich Sun übernimmt. Obwohl in Seoul kämpfend, schlägt sie die Angreifer in Nairobi in die Flucht. So wird die betäubte Nomi in San Francisco auch von Polizist Will von Chicago aus gerettet. Oder wenn der kleinkriminelle Wolfgang in Berlin auf Actionfilm-Niveau seine Widersacher ausschalten muss, und dabei von Lito aus Mexico City Unterstützung erfährt, der eigentlich nur Action-Darsteller ist. Das alles hat sehr viel Einnehmendes und reizt den Zuschauer ungemein.
Aber nach zwölf Folgen, stellt sich die tatsächlich die Frage, ob man bereits alles gesehen hat, oder ob man tiefer in die Welt der verbundenen Gruppe eindringen will. Eine Vorstellung darüber, wie eine tiefergehende Weiterentwicklung aussehen könnte, bietet SENSE8 zum Staffelfinale nicht. Was wäre, wenn es nicht einmal zweite Staffel geben würde? Viele Fragen bleiben unbeantwortet, aber der Durst nach mehr hält sich tatsächlich in Grenzen. So faszinierend das Szenario auch sein mag, man glaubt bereits alles daraus gesehen zu haben. Straczynski und die Wachowskis träumen immer größer als die Wirklichkeit. Es wird also nach allen Seiten hin, alles offen bleiben.
Darsteller: Miguel Ángel Silvestre, Doona Bae, Aml Ameen, Jamie Clayton, Tina Desai, Brian J. Smith, Max Riemelt, Tuppence Middleton u.a.
Regie: Andy Wachowski, Lana Wachowski, Tom Tykwer, James McTeigue, Dan Glass
Drehbuch: J. Michael Straczynski, Andy Wachowski, Lana Wachowski
Kamera: Danny Ruhlmann, John Toll
Bildschnitt: Joe Hobeck, Joseph Jett Sally
Musik: Johnny Klimek, Tom Tykwer
Produktionsdesign: Hugh Bateup
USA / 2015
variierende Laufzeiten zwischen 45 und 66 Minuten