JOHN WICK – Bundesstart 29.01.2015
Es sind harte Zeiten für Keanu Reeves. Für einen der ehemals vielversprechendsten Darsteller seiner Generation. Es fing mit einem vertanen Remake von DER TAG AN DEM DIE ERDE STILL STAND an. Das man sich nicht mit Klassikern anlegt, sollte man in Hollywood wissen. Der Flop war nicht dem Darsteller geschuldet, wird aber in Publikumskreisen grundsätzlich bei schlechten Filme so klassifiziert. Reeves war nie abgeneigt, sich in allen Genres und Produktionsetats zu bewegen, dass aber nach ERDE der Frauenfilm PIPPA LEE folgte, gab seiner Karriere nicht den erforderlichen Aufschwung. HENRY’S CRIME und GENERATION UM… nahm dann schon keiner mehr wahr. Was sich auch auf sein Regie-Debüt MAN OF TAI CHI auswirkte, wo man dem Talent keine Chance geben wollte. Und mit 47 RONIN attestierte man dem Mann mit hawaiianischen Wurzeln dann endgültig einen filmischen Grabstein, obwohl der Misserfolg ganz und gar nichts mit Keanu Reeves zu tun hatte. Nur insofern, dass er bei Rollenangeboten darauf achten sollte, dass man sich nicht mit geschichtlichen Legenden anlegt. Da kann man nur durchatmen, dass sich Reeves nun wieder einmal für einen Film verpflichten ließ, den man zuerst zu seinen Kernkompetenzen zählen würde, aber bei einem Blick über seine Vita überhaupt nicht ist. Aber JOHN WICK als schnörkelloser Action-Film, funktioniert gerade wegen Keanu Reeves.
John Wick ist gerade Witwer geworden, und nimmt es nach außen hin mit stoischer Ruhe. Erst als einige Zeit nach Helens Ableben bei ihm ein Hunde-Welpe abgeliefert wird, bricht es aus dem vermeintlich harten Kerl heraus. Seine Frau hat dies noch vor ihrem Tod veranlasst, damit John jemanden an seiner Seite hat. Er und Daisy verstehen sich auf Anhieb. Im Übrigen einer der ganz wenigen Filme, bei dem ein Hund wirklich überzeugend auf seinen nur vermeintlichen Besitzer reagiert, ohne dass die sonst stets auffallende Anwesenheit eines Tiertrainers hinter der Kamera zu spüren wäre. Und hätte John nicht so einen schicken alten Mustang, wäre sein Leben mit Daisy weiterhin ruhig verlaufen. Nur das sich drei junge Kerle von der Russenmafia für das Auto interessieren, und die sind gewohnt, zu bekommen, was sie begehren. Aber John Wick ist gewohnt, nicht sehr zimperlich zu sein, wenn es um seine persönlichen Belange geht.
Musste man bis vor kurzem noch Angst haben, dass alle Rachethriller nur noch von Liam Neeson beherrscht werden würden, kann man sich entspannt zurücklehnen, denn Keanu Reeves ist wieder im Geschäft. Das hat er allerdings in erster Linie seinen Regisseuren Chad Stahelski und David Leitch zu verdanken, die genau wussten, wie sie mit einem Stoff wie diesem umzugehen haben, und wie sie ihre Darsteller darin agieren lassen müssen. Sie setzen dabei ganz gezielt auf die von Ironie befreite Abgeklärtheit ihres Hauptdarstellers, verteilen einige Stereotypen in der Handlung, und überzeugen dann mit einen gegen den Strich gebürsteten Bösewicht. Das ist natürlich nicht neu, nicht innovativ, nichts Besonderes, aber es ist sehr stringent und konsequent inszeniert. Wenn man den Vorwurf also gelten lassen wollte, dies alles schon in vielen anderen Filmen gesehen zu haben, dann gehört JOHN WICK zu den weit besseren Filmen dieser gattung. Hier stimmt auch das Tempo und die exzellent umgesetzten Action-Sequenzen, die von Tyler Bates aufpeitschenden Elektrorock-Soundtrack meisterlich unterstützt werden.
Haben die Macher in Keanu Reeves den perfekter Rächer gefunden, war dieser schon vor seiner Besetzung eine zu erwartende sichere Wette. Da läuft ihm fast Michael Nyquist als Syndikatboss Viggo den Rang ab, der viele Klischees eines typisch kaltblütigen Oberhauptes abwerfen durfte. Nyquist hat allerdings die Gelegenheit zu dieser wunderbaren Rolle Derek Kolstads Drehbuch zu verdanken. Dieser hat zwei Widersacher gegenübergestellt, die sich gut genug kennen, sich auch respektieren, und im Herzen keinen Gräuel gegeneinander hegen. Kolstad hat Viggo wunderbar geschrieben, als einen Mann, der kein überheblicher Gangster ist, sondern der Angst haben darf, weil er weiß was für ein entfesselter Tornado John Wick sein kann. „John Wick ist nicht der Schwarze Mann,“ schreit er einen seiner Männer an, „er ist der Mann, den man schickt, den Schwarzen Mann zu töten.“ Hier verdreht sich die alte Formel. Bei JOHN WICK ist es nicht geschäftliches, es ist Privat.
Jetzt ist JOHN WICK in seiner Abfolge, ein fast vorhersehbarer, weil bekannter Film. Doch immer wieder überrascht er mit überzeugenden, und nicht an den Haaren herbei gezogenen Wendungen, wo wirklich unklar bleibt, wer wem vertrauen kann. Aber auch die Welt innerhalb von Johns und Viggos Leben ist mit sehr erlebenswerten Details gespickt. Da wäre das Hotel Continental, welches wiederrum wie ein geschlossener Kosmos funktioniert. Die Kodex von Auftragskillern, oder die telefonischen Bestellungen und ihre wahre Bedeutung. Das alles hat schon sehr viel Unterhaltsames, ohne das dabei erzwungene Lacher bemüht werden. Nur zwei kritische Schwachpunkte hat JOHN WICK. Da wäre zum einen Adrianne Palicki, die vollkommen deplatziert wirkt, weil ihr einfach die Ausstrahlung fehlt, um gegen die anderen bösen Buben mithalten zu können. Ihre Killerfigur ist ein kraftlose Imitation überbeanspruchter Charakter, die zu cool für die Leinwand sein wollen. Und zum anderen, gibt es da diesen James-Bond-Moment, wo jemand gegen die eigentliche Art des Films verschont wird, um diesen eine Chance auf Flucht einzuräumen. Das wäre durchaus vermeidbar gewesen, macht aber auch bewusst, was für ein eigentlich runder, unterhaltsamer und kurzweiliger Film JOHN WICK ist.
JOHN WICK ist ein exzellentes Beispiel, wie sich Kreativität durch das Zusammenspiel von Regie, Buch und Charaktere intensiv verstärken lässt. Vorausgesetzt man steht auf blutige Action. Es mag weit grafischere Filme geben, aber dieser hier geizt dennoch nicht an bildlicher Umsetzung von schmerzvollen Tötungsarten. Aber ein Stilmittel, das nicht einfach dem modernen Kino folgt, sondern notwendig ist, um die Atmosphäre des Films glaubwürdig und eindringlich zu halten. In der den Film abschließenden Sequenz sollte man allerdings sehr genau aufpassen, weil sie sehr leicht missverstanden wird. Und für alle, die JOHN WICK gesehen haben und es ebenfalls verpasst haben: Er war der Einzige, der getötet werden sollte. Damit kann jetzt ein jungfräulicher Zuschauer überhaupt nicht anfangen, aber vielleicht macht es zusätzlich neugierig.
Darsteller: Keanu Reeves, Michael Nyquist, Alfie Allen, Willem Dafoe, Ian McShane, Bridget Moynhan, John Leguizamo, Dean Winters u.a.
Regie: Chad Stahelski, David Leitch
Drehbuch: Derek Kolstad
Kamera: Jonathan Sela
Bildschnitt: Elísabeth Ronaldsdóttir
Musik: Tyler Bates, Joel J. Richard
Produktionsdesign: Dan Leigh
USA-Kanada-China / 2014
101 Minuten