AMERICAN SNIPER – Bundesstart 26.02.2015
Vom U.S. Militär sind 160 der angeblich 255 Abschüsse offiziell bestätigt. Chris Kyle ist damit der beste Scharfschütze, den die amerikanische Armee jemals hatte. Natürlich scheiden sich die Geister, ob Kyle Nationalheld ist, oder gedankenloser Mörder. Das kommt natürlich auch auf das Land an. Einem Mann mit dieser Reputation ein filmisches Denkmal zu setzen, wird in europäischen Ländern sicherlich ganz anders aufgenommen. In Amerika sieht man hingegen die amerikanischen Soldaten, welchen Kyle durch seine gezielten Schüsse das Leben gerettet hat. Ob dieser Krieg im Irak an sich gerechtfertigt war, darf dabei keine Rolle spielen. Verstört haben Chris Kyles eigene Aussagen in seiner Biografie, auf welcher der Film basiert, wie er sich im Laufe der Zeit am Tod seiner Opfer erfreute, wie er sich daran labte, vielen von ihnen beim Todeskampf zuzusehen. Einem solchen Mann ein Denkmal zu setzen ist äußerst fragwürdig. Es liegt auf der Hand, dass man dennoch ein ehrenvolles Patriotenstück erwarten kann. Gerade weil der Film ziemlich präzise illustriert, wie die Aufgabe eines Scharfschützen aussieht, und wie viele Soldaten aus den eigenen Reihe dadurch gerettet wurden. Soviel heldenhaftes wäre möglich gewesen. Aber nicht in einem Film von Clint Eastwood. Der Regisseur hatte stets ein Auf und Ab in der Qualität seiner Filme, aber AMERICAN SNIPER zählt zu den Filmen, wie Filme erzählt werden müssen, um allen Aspekten einer Geschichte gleichermaßen gerecht zu werden.
Eigentlich hatte sich Chris Kyle sein Leben als Rodeo-Cowboy gut eingerichtet. Doch bei den ersten Terroranschlägen auf amerikanische Einrichtungen in Somalia, beginnt er umzudenken. Wie er es von seinem Vater eingebläut bekam, muss man seinen Mann stehen, die Stellung halten. Eigentlich viel zu alt, schafft er die Ausbildung zum Navy SEAL und wird Scharfschütze. Vier Touren wird Chris Kyle im Irak absolvieren. Zwischenzeitlich heiratet er, wird zweifacher Vater, und wird zu einem anderen Menschen. Der Krieg lässt Chris nicht mehr los, selbst in der Heimat fühlt er sich als Gejagter. Wer ihm für seinen Einsatz dankt, wird argwöhnisch auf Distanz gehalten. Das Drehbuch beginnt mit einer cleveren Episode, wo der Scharfschütze auf einem Dach eine Mutter und ihr Kind ausmacht, welche sich auf verdächtige Weise einem amerikanischen Suchtrupp nähern. Das Kind trägt eine Granate, und Chris müsste schießen. In dem Moment springt der Film zurück in Chris Kyles Kindheit, und erzählt zügig, ohne Pausen, und mit viel Einfühlungsvermögen, wie Chris dorthin kam, wo er sich nun befindet. Mit dem irakischen Kind im Visier.
Was einem der Film zumutet, ist oftmals nicht sehr leicht zu verkraften. Doch genau deswegen bleibt er so authentisch. Immer wieder führt die Regie den Zuschauer direkt an die gestörte Gefühlswelt von Chris Kyle heran. Eastwood zelebriert mit seiner Hauptfigur keinen Helden, sondern zeichnet das Portrait eines Mannes, der unvermittelt den Bezug zu seinem privaten Leben verliert, und nur noch den Krieg und seinen schmutzigen Kampf hinter sich her zieht. Tatsächlich gibt es diese kleinen patriotischen Momente in AMERICAN SNIPER, die allerdings dem Inhalt und seinem Hintergrund geschuldet sind. Aber der Regisseur setzt auch stets Gegenpunkte. Sein vermeintlicher Held soll eben kein Held sein, sondern ein Mensch der sich im Patriotismus verloren hat. Wo Recht und Unrecht nicht mehr zu unterscheiden sind. Bradley Cooper spielt hier mit Abstand einer seiner eindringlichsten und realistischsten Rollen. Jeder menschlicher Kontakt im zivilen Leben, schleudert ihn emotional sofort an die Front. Chris Kyle ist eine Figur des kaltblütigen Krieges geworden, dem jede Form von zwischenmenschlicher Beziehung zu entgleiten droht.
Tom Stern an der Kamera und Joel Cox mit Gary Roach am Schnittpult haben einen sehr intensiven Handlungsablauf geschaffen, der den Zuschauer nicht einfach nur einbindet, sondern ihn auch nicht mehr loslässt. Mit seinem bescheidenen Budget von rund 60 Million Dollar, nimmt sich der Film oftmals wie eine dreistellige Millionen-Dollar-Produktion aus. Aber das liegt vor allem daran, dass sich die Regie konsequent auf ihre Figuren und deren Motivationen, beziehungsweise ihren aus der Motivation resultierenden Ereignissen konzentriert. Das Einzige, was man dem Regisseur Eastwood vielleicht vorwerfen könnte, ist der stilbrüchige Abschluss mit den Ereignissen, wo der reale Tod von Chris Kyle lediglich in Form einer grafischen Einblendung wesentlich zu kurz abgehandelt wird.
Aber insgesamt ist AMERICAN SNIPER nicht nur ein sehr sehenswerter, sondern auch erklärender Film, der eine uramerikanische Seele aufzeigt, die sich mit einem Mal nicht mehr mit ihren anerzogenen Idealen auseinander zu setzen versteht. Egal ob Chris Kyle als Schlächter, oder als Patriot angesehen wird, dieser Film bezieht für keine der beiden Seiten Stellung. Clint Eastwood hat mit AMERICAN SNIPER seinen amerikanischsten Film gemacht, aber auf mögliches Pathos genauso verzichtet, wie auf jedwede Art von politischer Aussage. Für Eastwood ist Chris Kyle eine andere Art von Held, einer den man unbedingt hinterfragen muss. Dem Regisseur gelingt es ausgezeichnet, die Balance zu halten, einen Helden zu stilisieren, aber auch die damit aufkeimende Instabilität seines Geistes darzustellen. Immer wieder bringt Eastwood den Zuschauer in die unangenehme Position, selbst entscheiden zu müssen. Oftmals wird man mit einer Einstellung konfrontiert, die man vielleicht bei sich selbst nie für möglich gehalten hätte.
In einer besonders intensiven Szene, wird Chris Kyles schwangere Frau auf dubiose Weise in Kampfhandlungen eingebunden, als sie gerade mit ihm telefoniert. Die Schrecken eines fragwürdigen Krieges finden ihren Weg in den nur scheinbar sicheren Schoß der Heimat. Ein beeindruckendes Beispiel, wie AMERICAN SNIPER sich dem Hurra-Patriotismus verweigert. Das Chris Kyle in seiner Biografie selbst darüber redet, wie er sich am Tod seiner notwendigen Opfer ergötzte, zeugt nicht von einem gefühlskalten Monster. Sondern es ist eine brutale Selbstreflexion, die man erst einmal erreichen muss, um selbst wieder den Boden unter den Füßen zu finden. Es ist ein Aspekt, den der Film bewusst ausspart. Der getriebene Charakter von Chris Kyle, der nur in Kampfhandlungen mit dem klar kommt, was seine eigentliche Bestimmung ist, aber im Zivilleben genau daran scheitert, ist komplex genug. Denn Clint Eastwood wagt durch seine Inszenierung immer wieder die Frage, wie ein Krieg ohne Scharfschützen letztendlich aussehen würde. Und dabei geht es nie darum, ob ein Krieg notwendig oder gerechtfertigt ist. Der Krieg ist da, er ist real, und nicht weg zu diskutieren. Welche Rolle übernimmt dann ein Mensch wie Chris Kyle in dieser Realität? AMERICAN SNIPER ist sehr anspruchsvolles Kino, wenn man es wagt, einen Schritt von seinen politischen Ansichten zurück zu treten, und sich objektiv zu öffnen.
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Max Charles, Luke Grimes, Kyle Gallner, Sam Jaeger, Jake McDorman u.a.
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jason Hall, nach den Memoiren von Chris Kyle
Kamera: Tom Stern
Bildschnitt: Joel Cox, Gary Roach
Musik: Joseph DeBeasi, Clint Eastwood
Produktionsdesign: Charisse Cardenas, James J. Murakami
USA / 2014
132 Minuten