A MOST VIOLENT YEAR – Bundesstart 19.03.2015
1981 war in der Geschichte der Stadt New York das Jahr mit der höchsten Verbrechensrate. In diesem Jahr will Abel Morales mit seinem Heizöl-Geschäft expandieren. Wenn er das Nachbargrundstück erwerben kann, auf dem bereits Tanksilos stehen, hätte die Firma auch direkte Hafenanbindung. Morales bleibt ein Monat um die Finanzierung zu sichern, ansonsten bleibt die Anzahlung beim eigentlichen Eigentümer, mit dem Recht das Grundstück an andere zu verkaufen. Doch es gibt Mitbewerber, die eine Expansion für Abel Morales‘ Firma nicht sehr begeistert aufnehmen. Immer wieder werden seine Tanklaster überfallen, und das Öl geraubt. Der Vorarbeiter möchte die Fahrer bewaffnen, was Morales strikt ablehnt. Es ist ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis es den ersten Toden geben wird, und von seiner Firma soll das nicht ausgehen. Die direkte Konfrontation mit seinen Konkurrenten bleibt ergebnislos, wenngleich sie unumwunden eingestehen, an den ständigen Überfällen auf Morales‘ LKWs nicht unschuldig zu sein. Um sich zu behaupten, müsste Abel Morales auf der selben Schiene von Kaltblütigkeit, Gewalt und Verbrecher fahren. Es wird zur Geduldsprobe, wie lange er sich mit seinen Wertvorstellungen davor bewahren kann, in einem sehr gewalttätigen Jahr.
J.C. Candor hat ein kleines Wunder vollbracht. Eigentlich müsste es heißen, er hat erneut ein kleines Wunder vollbracht. Mit MARGIN CALL konnte er die ersten Ansätze der letzten Finanzkrise erklären, und mit ALL IS LOST konnte er dem nur scheinbar ausgelutschten Thema, des Schiffbrüchigen mit starkem Überlebenswillen, viele neue Facetten abgewinnen. Und jetzt vollbringt er mit dem viel zu wenig beachteten A MOST VIOLENT YEAR eine kaum vorstellbare, künstlerische Steigerung. Candor hat im Grunde so etwas wie die Antithese zu DER PATE geschrieben und inszeniert. Sein Abel Morales trägt nicht umsonst zwei sehr eindeutige Namen. Darin liegt eine sehr einnehmende Faszination, denn während seine Frau Anna langsam immer mehr verzweifelt, glaubt Abel an seine Grundsätze. Er behaart darauf, dass seine Geschäfte, ehrliche Geschäfte bleiben. Für ihn haben Geschäft und Verbrechen keine gemeinsame Basis, weil ehrliche Geschäfte ein gutes Geschäft ausmachen. Ein Trick, den sich Candor ins Drehbuch schrieb, ist die anfängliche Unsicherheit. Er begleitet Abel Morales, ohne ihn (das muss jetzt sein) moralisch einzuordnen. Von Charme und Auftreten, könnte Abel auch der über Leichen gehende Geschäftsmann sein. Umso intensiver wird der Zuschauer angesprochen, wenn sich nach und nach seine wahren Wertvorstellungen heraus kristallisieren.
Die Antithese zum PATEN verstärkt sich noch mit J.C. Candors Verzicht auf übersteigerte Gewaltdarstellung. Bei ihm genügt es, dass ein Mann überhaupt eine Waffe in der Hand hält, um Panik und Entsetzen beim Opfer zu generieren. Und das springt auf den Zuschauer über, der in dieser Erzählung sehr schnell erkennt, dass Realismus ein sehr viel überzeugenderes Mittel für Spannungsaufbau ist, als überdramatisierte Gewaltorgien. Das hier, ist Hollywood in nur beschränkter Weise. Jederzeit könnte jemand sterben, aber es muss niemand sterben. Wenn ein Fahrer zwei Gangster mit Pistolen auf sich zu kommen sieht, dann genügt die Panik, seine verzweifelten Hilferufe, um den Realismus überspringen zu lassen.
J.C. Candor erzeugt eine sehr intensive Atmosphäre, indem er einzelne Szenen sehr genau austariert, ihnen Platz zum atmen gibt, oder das Tempo kurzfristig anzieht. Und dabei wird sehr schnell klar, dass Candor seine Vorbilder im Anfang der Achtzigerjahre gefunden hat. Bei THE VERDICT, oder PRINCE OF THE CITY von Sidney Lumet vielleicht. Aber er kopiert nicht den Stil, sondern inszeniert dabei einen sehr eigenen Film. Deswegen ist anzunehmen, dass auch das Lichtdesign ganz sicher zuerst von ihm ausging, bevor Bradford Young die Bilder schuf. Hartes Licht von oben, wenig Akzente, und sehr viel Mut zu Schatten. J.C. Candor hat einen Film gemacht, der in den Achtzigern spielt, also hat er ihn auch nach großen Vorbildern jener Zeit inszeniert.
Im unangefochtenen Mittelpunkt steht natürlich Oscar Isaac als Abel Morales, der mit stoischer Hartnäckigkeit versucht die Ruhe zu bewahren. Isaac schafft es mit geringer Mimik seine Figur realistisch zu behaupten. Kleine Gesten, Aktion und Reaktion. Irgendwann ist man davon überzeugt, dass das Pulverfass explodieren muss. Isaac kauft man ab, wer sein Charakter ist, und warum er so ist. Sein eigentlicher Gegenpart sind nicht die bösen Jungs um ihn herum, es ist Jessica Chastain als Ehefrau Anna. Auch für sie geht es um das Geschäft, ein kleines Reich, welches eigentlich ihr Vater gegründet hatte. Aber Anna verzweifelt immer mehr an dem Druck, den nicht nur die Überfälle auslösen, sondern auch die Gestalten, die offensichtlich unerkannt um das private Grundstück schleichen. Anna wird zu einem sichtbaren Spiegelbild von Abels unsichtbaren Seelenleben. So wird Anna zum Gegenpart, weil Abel sich eben nicht diese Verletzlichkeit anmerken lassen will. Ihre sich steigernden Auseinandersetzungen sind aber keine Zerreißproben, ihre Zuneigung bleibt davon unberührt. Es wundert wirklich, wann Jessica Chastain bei diesem Ausstoß an Filmen endlich einmal daneben langt. A MOST VIOLENT YEAR wird auf keinen Fall dieser Film sein.
Eine sehr faszinierende Geschichte, unglaublich gute Darsteller, eine herausragende Inszenierung, und eine besonderer Thriller der etwas anderen Art. Warum A MOST VIOLENT YEAR so wenig Aufmerksamkeit erhielt, ist vollkommen unverständlich.
Darsteller: Oscar Isaac, Jessica Chastain, David Oyelowo, Alessandro Nivola, Albert Brookes, Elyes Gabel, Catalina Sandino Moreno u.a.
Drehbuch & Regie: J. C. Candor
Kamera: Bradford Young
Bildschnitt: Ron Patane
Musik: Alex Ebert
Produktionsdesign: John P. Goldsmith
USA / 2014
125 Minuten