Fast fünfzig Jahren soll es gedauert haben, bis die Kino-Charts von zwei Filmen angeführt wurden, in der eine Frau die Hauptrolle spielte. Das war 2013, als Kathryn Bigelows ZERO DARK THIRTY vom ersten Platz verdrängt wurde, als sich der Horror-Thriller MAMA an die Spitze spielte. Jessica Chastain spielte die Hauptrollen. In wessen Fußstapfen sie damit allerdings trat, muss noch recherchiert werden. Das Phänomen gab es bereits 2011, als THE HELP die Nummer Eins in Amerika war, und sich EINE OFFENE RECHNUNG auf Platz Zwei setzte. Allerdings war hier Jessica Chastain jeweils als Nebenrolle besetzt. Was sich hier als Kassen-Magnet ausnimmt, ist natürlich nicht wirklich der Person Chastain zuzuschreiben. ZERO DARK THIRTY wollten die Leute sehen, weil es um die Jagd auf Bin Laden ging. MAMA fand sein Publikum wegen des gruseligen Horror-Szenarios. Aber dennoch war Jessica Chastain in gewisser Weise allgegenwärtig. Doch woher kam dieses einnehmende Geschöpf mit der sympathischen, aber nicht näher definierbaren Ausstrahlung? Auf einmal war sie da. Unvermittelt war ihr Name ein Begriff.
Über verschiedene Theater-Erfolge kam Jessica Chastain zum Fernsehen. Für die Teilnahme an der Juilliard Schule für Tanz, Musik und darstellende Künste, wurde sie mit einem Stipendium von keinem geringeren als Robin Williams unterstützt. John Wells, einer der erfolgreichsten Fernsehautoren- und produzenten, köderte Chastain während ihres letzten Jahres in Julliard fürs Fernsehen. Das war 2004, wo sie sich von da an mit gerade einmal mit lächerlich geringen acht Verpflichtungen durch die TV-Landschaft schlug. 2008 und 2009 kam der Einstieg ins Filmgeschäft mit den beiden unabhängig produzierten JOLENE und STOLEN. Während dessen blieb sie den Brettern die die Welt bedeuten treu. Aber einen wirklichen Namen machte sie sich weder beim herkömmlichen Publikum, noch bei den Cineasten. Irgendwo schlängelte sich Chastain durch die Niederungen, ohne anzuecken, aber auch ohne groß aufzufallen. Und dann beginnt das Phänomen Jessica Chastain. Nach einem Abstecher zurück ins Fernsehen, beginnt eine Karriere, die niemand wirklich als Beginn einer Karriere wahr nahm.
Als das Rassen-Drama THE HELP in die Kinos kam, redete die gesamte Kino-Welt wie selbstverständlich von der wie immer phantastischen Jessica Chastain als naiv liberale Celia Foote, die ohne Ambitionen, oder auch nur darüber nach zu denken, ihre schwarze Haushaltshilfe eher als Freundin wahrnimmt, anstatt ihrer eigentlich angelernten Südstaaten-Mentalität nach zu kommen. Wie selbstverständlich war da auf einmal der Name, das Gesicht, die Person. Niemand fragte nach, wo sie auf einmal herkam. Niemand schien überrascht von ihrem plötzlich überwältigend, natürlichen Charisma. Zuvor hatte Jessica Chastain noch den vielfach ausgezeichneten TAKE SHELTER gemacht, der wegen Michael Shannon schmerzhafter Darstellung eines paranoiden Familienvaters Aufmerksamkeit errang. Dann gab es noch Ralph Fiennes Regie-Debüt CORIOLANUS, dass eigentlich gar keine Zuschauer locken wollte. Und schließlich Terrence Malicks TREE OF LIFE, der wirklich nur einem Arthouse-Publikum zugedacht war. Doch gerade bei TREE OF LIFE war der Name Jessica Chastain bereits ein Begriff. Warum, ist eigentlich nicht wirklich nachvollziehbar.
Beim TREE OF LIFE nachfolgenden THE HELP war sie bereits eine präsente Selbstverständlichkeit. Jessica Chastain war auf nicht nachvollziehbaren Wegen, bei einem Publikum angekommen, das eigentlich nicht dem Klientel ihrer bisherigen Filme entsprach. LAWLESS war dann ein allgemein unterschätzter Film, und COLOR OF TIME fand nicht einmal den Weg in die Kinos. Ist es da nicht ein Phänomen, wie selbstverständlich man Jessica Chastain als greifbaren Star in ZERO DARK THIRTY wahrnahm. Oder ihren Einsatz zu schätzen wusste, in einem eher billig produzierten Horrorfilm wie MAMA mit zu wirken. Es ist erstaunlich, weil Al Pacinos nachfolgende Regie-Arbeit SALOMÉ, wiederrum überhaupt keine Beachtung fand. Und erst DAS VERSCHWINDEN DER ELEANOR RIGBY nicht nur wegen seiner innovativen Umsetzung von sich reden machte, sondern auch wegen seiner Darstellerin Jesica Chastain. Es hat den Anschein, als könnte die charismatische Schauspielerin stark präsent sein, und je nach Laune des Publikums nicht existent. Doch am meisten überrascht, wie selbstverständlich sich ihre Name und ihre Erscheinung von jetzt auf gleich manifestierte. Und niemand zeigte sich verwundert.
Zählt man die finanziell erfolgreichen Werke, welche auch medial die größte Aufmerksamkeit erregen, sind es von 14 Filmen seit TAKE SHELTER sieben Filme die man mit Jessica Chastain in Verbindung bringt. Zuerst klingt das nicht nach sehr viel, doch dass dies in einem schmalen Zeitraum von nur drei Jahren passierte, macht es schon wieder zu einer Besonderheit. Mit vier Filmen war sie 2014 im Kino zugegen. 2015 werden es drei Filme werden. Eine sehr umtriebige Frau, die im großen Mainstream von INTERSTELLAR genauso zuhause ist, wie in bescheiden produzierten Arthouse-Filmen wie MISS JULIE. Ob die Filme nun gesehen werden, oder nicht, dieses markante Gesicht und das überzeugende Talent bleibt erhalten. So, als ob es sie schon seit ewigen Zeiten eine Institution wäre.