PHILOMENA – Bundesstart 27.02.2014
Als Regisseur und Schauspieler Peter Mullan 2003 seinen zweiten Langfilm vorstellte, löste er eine Welle ungläubigen Entsetzens aus. Junge Mädchen, die 1963 in einem im Heim eines katholischen Klosters unter unmenschlichen Verhältnissen leben und arbeiten mussten. War das die christliche Nächstenliebe? Die Zustände im Film DIE UNBARMHERZIGEN SCHWESTERN waren verstörend. Aber eine ehemalige Bewohnerin, oder Gefangene, des Magdalena-Stifts, bescheinigte dem Film, dass er nicht annähernd die Zustände wiedergeben konnte, wie sie die Mädchen tatsächlich erlebt hatten. Eine unbedachte, leichtsinnige Handlung bringt Philomena Lee 1951 in eine noch bedauernswertere Lage. Die Jugendliche wird schwanger, und weil im erzkatholischen Irland, umgehend in ein Kloster gesperrt, wo sie ohne medizinische Unterstützung einen Jungen zur Welt bringt. Einmal am Tag darf sie ihn dann anschließend sehen, für gerade eine Stunde. Philomena beißt sich durch, ackert unmenschliche Stunden in der Wäscherei, immer im Glauben, mit ihrer Volljährigkeit und ihrem geliebten Sohn ein gutes Leben außerhalb der Klostermauern beginnen zu können. Doch Kleinkinder bedeuten für das Kloster auch Finanzen. Hilflos muss Philomena mit ansehen, wie ihr Sohn Anthony mit einem Ehepaar davon fährt, welches Anthony für 1000 Pfund adoptiert hat. Ein Schrecken, den Philomena erst 50 Jahre später verarbeiten kann.
Auch wenn es eine wahre Geschichte ist, scheint PHILOMENA auf den ersten Blick keine sehr außergewöhnliche Geschichte für großes Gefühlskino. Die Eckpfeiler von Befremden, Annäherung, emotionalen Ausbrüchen, und Konfrontation geben den Anschein von Standards eines Dramas. Dazu ist er ein fast klassischer Road-Movie, bei dem nach einer beschwerlichen Reise, am Ausgangspunkt die Erfüllung steht. Doch Englands erster Filmregisseur Stephen Frears braucht keine außergewöhnliche Geschichten, sondern er zeichnet außergewöhnliche Figuren, und er setzt sie in ganz gewöhnliche Situationen. Die eigentlich ganz normale Fahrt auf einem Personentransporter am Flughafen zum Beispiel, in der sich neben einer fröhlich plappernden Philomena, Journalist Martin Sixsmith sichtlich unwohl fühlt, weil er in dem Gefährt aus der Menge heraus sticht. Und hier beginnt auch das besondere Geschick in der Erzählung, weil Frears heimlich und fast unmerklich mehr Augenmerk auf Martin Sixsmith legt. Natürlich kommt die Geschichte und der Charakter von Philomena Lee keineswegs zu kurz, letztendlich ist sie stets die treibende Substanz für den Politreporter, der sich für Boulevard-Journalismus eigentlich viel zu schade ist.
Was hingegen viel offensichtlicher ins Bewusstsein rückt, ist die Balance von Stephen Frears Umsetzungen der Stimmungslagen. Diese Balance bezieht sich nicht darauf, dass dem Humor die selbe Gewichtung zufällt, wie den tragischen Momenten. Vielmehr inszeniert Frears, wie er es immer tut, und so seine Filme zu einem homogenen Erlebnis werden lassen. Der Humor ist dezent, die Lacher keine Schenkelklopfer, und die emotionalen Elemente sind nicht zum Tränenrausch hin geplündert, oder dramatisch überfrachtet. Das macht die Figuren und ihre Geschichte glaubhaft und real, zeitgleich auch spannend und mitfühlend. Dadurch wird die zwischenmenschliche Beziehung zwischen der hilfesuchenden Philomena und dem nach Herausforderung ringenden Martin geistreich und sehr subtil untermauert. Fast unmerklich, wie sie sich anfänglich nie verstehen, was der andere mit seinen humorigen Bemerkungen eigentlich meint. Dass diese Momente nicht breit ausgespielt, oder auf Komödien-Niveau hochstilisiert werden, macht den eigentlichen Genuss von PHILOMENA aus.
Doch diese Komödie ist auch ein sehr intelligentes, weil ehrlich emotionales Drama. Was Hauptdarsteller Steve Coogans Drehbuch auch vorzüglich angeboten hat. An einem Punkt gibt es für Philomena eine herbe Niederlage in ihrer Suche nach ihrem Sohn. Eine Situation, die der Zuschauer auch schon geraume Zeit erahnt hat. Doch mit einem selbstbewussten Verständnis für die gegebenen Lage, überrascht Philomena nicht nur ihren Gegenpart, sondern auch das Publikum, und bietet stattdessen selbst eine nur allzu logische Alternative für einen ohnehin ausweglosen Umstand. Gerade diese Szene, hätte genügend Potential um unendlich tief in die Tränenkiste zu greifen, was wirklich kein Zuschauer dem Regisseur übel genommen hätte. Aber es wäre unehrlich und irreführend gewesen. Und ausgerechnet das macht PHILOMENA zu einem sehr sensiblen Stück. Nicht weil der Film künstlich und inszeniert Emotionen weckt, sondern weil er stets menschlich nachvollziehbar bleibt, und ein bereitwilliges Publikum respektvoll und ehrlich behandelt. In diesen Augenblicken wird PHILOMENA zu einem Erlebnis, das den Zuschauer mitnimmt, und nicht dem Zuschauer zu dessen Gefallen hinterher hechelt.
Der Vorwurf an die Weinstein Company, bei Veröffentlichung der UNBARMHERZIGEN SCHWESTERN noch Miramax genannt, gerne auf die Institution der katholischen Kirche einzuschlagen ist berechtigt. Doch die Geschichte der Philomena Lee, auch stellvertretend für all die anderen bitteren Schicksale in Heimen und Klöstern, sollte durchaus nach draußen getragen werden. Das tut PHILOMENA mit einer so selbstverständlichen Leichtigkeit, dass man sich seiner einnehmenden Kraft kaum entziehen kann. Er gibt keine Meinung vor, und ist auch nicht so anklagend, wie er tatsächlich sein könnte. Stephen Frears hat erneut einen gesellschaftlichen Zustand beschrieben, welchen er durch Menschlichkeit lebendig werden lässt. Der skeptische Journalist Sixsmith wird am Ende derjenige sein, der seinen Weltblick verändert hat. Nicht weil in Irland im Namen der Kirche soviel Unrecht geschehen ist, sondern weil es eine Frau geschafft hat, aus ihrem erdrückenden Leid auszubrechen, weil sie unvoreingenommen die Welt von allen Seiten betrachten konnte. In diesem Sinne kommt Film und die Umsetzung der Geschichte eigentlich denen entgegen, die sich verantwortlich zeigen müssten, was dereinst geschehen war. So äußerte Stephen Frears auf einer Pressekonferenz seinen größten Wunsch für PHILOMENA, nämlich dass der Pabst ihn sich ansehen möge.
Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Mare Winningham, Barbara Jefford, Peter Hermann, Ruth McCabe u.a.
Regie: Stephen Frears
Drehbuch: Steve Coogan, Jeff Pope, nach dem Buch von Martin Sixsmith
Kamera: Robbie Ryan
Bildschnitt: Valerio Bonelli
Musik: Alexandre Desplat
Produktionsdesign: Alan MacDonald
Großbritannien – Frankreich – USA / 2013
zirka 98 Minuten