NIGHTCRAWLER – 13.11.2014
Autor und Regisseur Dan Gilroy nimmt sich eines nicht sehr einfachen Themas an, und hat damit Erfolg, weil er dabei die Medienwelt sehr direkt angeht. Nur das Gilroy versucht hat, in seine eigentlich brisante Geschichte, so etwas wie Satire einfließen zu lassen. Hin und wieder verwässert diese Absicht leicht die Intensität der Handlung. Und so genial Jake Gyllenhaal spielen mag, überkreuzt sich sein simpler Charakter mit der Kaltschnäuzigkeit seines Tuns. Louis Bloom glaubt an Arbeit, er glaubt an den amerikanischen Traum, davon überzeugt, das Leistung entlohnt wird. Louis Bloom geht dabei sehr blauäugig durch die Welt. Er klaut einen Bauzaun und verkauft diesen an den Chef einer anderen Firma, nur um diesen dann um einen Job anzubetteln. Aber er stellt niemals einen Dieb an, ist die trockene Antwort. Louis Bloom ist ein Charakter, der diese Ablehnung nicht wirklich nachvollziehen kann. Und wenn er gerade nichts zu tun hat, steht Louis an seinem Wohnzimmerfinster, sehr milde lächelnd, und gießt seine Zimmerpflanze. Mehr gibt es aus dem eigentlichen Leben von Louis Bloom nicht zu sehen. Diese eine Ecke im Wohnzimmer, mit dem Fenster, einem Fernseher, einer Couch, und der Topfpflanze. Dan Gilroy reduziert seinen Charakter im Privaten auf das Minimalste, und lässt ihn erst in seiner Profession mit manischem Eifer von der Leine.
Bei einem Unfall wird der schaulustige Louis auf die sogenannten Nightcrawler aufmerksam. Freie Videoreporter, die Nachts den Polizeifunk abhören, um als erste am Tatort zu sein. Das Material wird dem meistbietenden Sender mit Nachrichtenredaktion verkauft. Kurzerhand klaut Louis ein Fahrrad, und kann es in der Pfandleihe gegen eine Videokamera und einen Funkempfänger eintauschen. Und Louis lernt schnell. Nach anfänglichen Ärger mit anderen Videoreportern, wird er nicht nur vorsichtiger, sondern auch schneller, und wesentlich ausgefuchster. Es geht nicht um den schnellen Dollar, es geht darum ganz schnell, ganz nach oben zu kommen. Bewusst sucht sich Louis den schwächsten der lokalen Fernsehsender aus, um schneller einen Fuß in die Tür zu bringen, und in der Nachrichtenredakteurin Nina eine starke Verbündete zu finden. Hier wird ein schmutziges Geschäft offenbart, das durchaus als Kritik an der Praxis mancher Medien verstanden werden kann. Das ist die offensichtliche Ebene, welche die Geschichte behandelt. Doch je weiter Gilroy seinen Film erzählt, desto intensiver stellt sich die Frage, wer eigentlich Schuld trägt an der Verwässerung von Nachrichten und Sensationsgier. Gegen die mahnenden Stimmen aus der Redaktion, wird Nina sich immer wieder über diese Stimmen hinwegsetzen, um mit Louis‘ Bildern die niederen Instinkte eines wählerischen Publikums zu bedienen. Nina mag die vermeintlich Böse sein, befriedigt letztendlich aber nur einen begierigen Zuschauer.
Ist NIGHTCRAWLER thematisch ein sehr aktueller, auch moderner Film, hat er dennoch einen streng klassischen Aufbau. Drei Akte, mit ihren jeweiligen Plotpoints, also Punkten an denen die lineare Handlung eine andere Richtung einschlägt. Wendung in der Mitte, und Auflösung am Ende inklusive. Die Drehbuch-Standardform nutzt Gilroy allerdings sehr geschickt, und gewinnt daraus eine besondere Dynamik, welche die Entwicklung der Handlung in Einklang mit der Entwicklung des Charakters bringt. Zudem verdüstert Gilroy in diesen sequenziellen Abschnitten auch schrittweise die Atmosphäre. Louis Bloom ist nicht nur ein guter Schüler des Lebens, sondern verliert zu keinem Zeitpunkt sein eigenes Motto aus den Augen. Jeder der in der Lotterie gewinnen will, sollte sich ein Los kaufen können. Aber eine Videokamera ist eine Videokamera, wie macht dann daraus ein Lotterielos. Louis denkt über das bloße Bild der Kamera hinaus. Und da kann man schnell über das herkömmliche Nachrichten-Material hinaus innovativ werden. Die richtige Bildkartrierung ist dabei Louis Blooms geringste Herausforderung. Aber die Frage, ob er immer nur der Beobachter sein soll, oder auch Teilnehmer sein könnte.
In den ersten zwei Akten ist NIGHTCRAWLER der Beobachter, wie Louis sich einfügt, wie er sich entwickelt. Es mag den Beigeschmack von Satire haben, doch nur weil das Geschäft, welches hier beleuchtet wird, ein so absurder Moloch geworden ist, dessen man sich im wahren Leben kaum bewusst wird. Das ist die eine Seite, die dem Zuschauer eine wirklich spannende Geschichte erzählt. Tatsächlich kann Dan Gilroy im letzten Akt dann noch einmal die Intensität steigern, in dem er das Geschehen in einen packenden Thriller wandelt. Ohne allerdings von dem vorangegangenen, wenngleich absonderlich erscheinenden Realismus abzuweichen. Aber Louis Bloom hat einfach ein bisschen glaubwürdiges Glück ins Drehbuch geschrieben bekommen, und was er daraus macht, das hat dann schon viel Verstörendes an sich, nicht ohne dabei eine gewisse Faszination auszuüben. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es das Sehverhalten des Zuschauers nicht nur auf der Leinwand ist, welches von Louis diesen unberechenbaren Psychopathen einfordert.
Es ist spürbar, dass Dan Gilroy versucht hat, eine Medien-Satire zu inszenieren. An diesem Ansatz ist er gescheitert. Aber NIGHTCRAWLER ist trotz allem in seinen Grundzügen ein sehr gelungener Thriller. Auch wenn Jake Gyllenhaals darstellerischer Einsatz immer wieder einmal gegen die Erzählung arbeitet. Aber sich konstant steigernde Thriller gibt wirklich sehr selten. Zuletzt vielleicht bei PRISONERS, ebenfalls mit Gyllenhaal. Spannungsfilme, die ihren fesselnden Aufbau derart verändern können, und dennoch homogen zu der eigentlichen Grundstimmung bleiben, das ist noch viel seltener.
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rene Russo, Riz Ahmed, Bill Paxton u.a.
Regie & Drehbuch: Dan Gilroy
Kamera: Robert Elswit
Bildschnitt: John Gilroy
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: Kevin Kavanaugh
USA / 2014
117 Minuten