MANDELA – LONG WALK TO FREEDOM – Bundesstart 30.01.2014
Böse Zungen behaupten, sieht man sich die unqualifizierten Bemerkungen in einigen Foren des Internets an, man habe mit dem Verleih von MANDELA abgewartet, um nach seinem Ableben vom Tode Nelson Mandelas zu profitieren. Das ist natürlich hanebüchener Unsinn. Weltpremiere feierte DER LANGE WEG ZUR FREIHEIT bereits im September 2013, und die tragische Nachricht vom Dahinscheiden des Freiheitskämpfers ereilte seine zwei Töchter erst während der Londoner Premiere im Dezember. Es ist eine traurige Geschichte, wenn traurige Gestalten mit so hässlichen Äußerungen ungerechtfertigte Stimmung machen.
Justin Chadwick inszeniert die Geschichte dieser Ausnahmefigur des Widerstandes, frei nach den Worten des großen Madiba selbst, welches William Nicholson in Drehbuchform brachte. Madiba ist der Name des Clan, aus dem Nelson Mandela entsprungen war. Und hier beginnt auch die filmische Aufarbeitung des zukünftigen Friedensnobelpreisträgers. Vom Initiationsritus zur Mannwerdung, über seine Anwaltschaft, hin zur Mitgliedschaft beim African National Congress, die Übernahme als deren Anführer, und über seine 28 Jahre Haft als Gefangener des Apartheidsystems, hin zum ersten schwarzen Präsident Südafrikas.
Viel Makel gesteht Justin Chadwick diesem Mann nicht zu, wahrscheinlich weil die Vorlage auch von Mandela selbst verfasst war. Seine Zeit als Schwerenöter, lässt der Regisseur damit begründet, dass er dadurch erst seine langjährige Weggefährtin und Mitstreiterin Winnie kennen lernen konnte. Die terroristischen Anschläge sind notwendige Aktionen, gegen ein menschenunwürdiges Regime. Etwas Selbstreflexion hätte durchaus mit einfließen können. Denn gerade ein charismatisches Schwergewicht wie Idris Elba, hätte dem Charakter durchaus wesentlich mehr Tiefe verleihen können, die über das bekannte Maß hinaus gegangen wäre. Elba ist ein echter Magnet, der den Zuschauer mitzieht, und nicht gewillt ist, diesen los zu lassen. Gerade weil er nicht um jeden Preis Gestik und Mimik Mandelas nachspielt, sondern diese nur oberflächlich mitspielen lässt, um mit seiner eigenen Charakteristik zu überzeugen. Nur in der ersten Hälfte des letzten Drittels versteckt man Elbas Gesicht unter einer unnötig grauenhaften Maske, der etwas Lächerliches anhaftet. Zum Glück für den Zuschauer und der Wirkung des Films, löst sich das Makeup-Problem zum Finale hin wieder. Mit gleicher Energie, bringt sich Naomie Harris als Winnie in den Film ein. Die Chemie zu ihrem Filmpartner ist stimmig, und diese wird am deutlichsten, wenn ihr beider Leben auseinandertriftet. Hier genügen kleine Gesten und kurze Blicke, um zu zeigen, dass auch ihre einst große Liebe ein Opfer im Kampf für die Freiheit geworden ist.
Es ist natürlich gegeben, dass man ein Drehbuch in seinen Linien aufbricht, und die Geschichte behält, während man seine Struktur in eine vollkommen andere Erzählform bringt. Bei MANDELA LONG WALK TO FREEDOM hat man das Gefühl, das Gegenteil wäre der Fall gewesen. Der Film geht einen derart geradlinigen Weg, dass ihm jegliche Überraschung fehlt. Und ihm würde auch jede Art von Spannung verloren gehen, wären die eigentlich bekannten Ereignisse trotz allem nicht so dramatisch. Chadwick arbeitete hauptsächlich fürs Fernsehen, und genau diesen Eindruck vermittelt er dem Zuschauer auch mit der Struktur von MANDELA, die sich von einem Kapitel zum nächsten hangelt. Ähnlich von Werbeblock zu Werbeblock. Da man es vermieden hat, die einzelnen Lebensabschnitte und Vorkommnisse ineinander zu verschränken, geht oftmals die Motivation des charismatischen Anführers verloren. Natürlich wollte Nelson Mandela das Ende der Apartheid, doch was ermutigte ihn dazu, sein Leben dafür zu riskieren, auch für die, die sich lieber dem System ergaben. War Mandela vor seiner Inhaftierung ein für die Sache überzeugter Bombenleger, zeigte er sich wieder in Freiheit, als Friedensaktivist. Der Zuschauer sieht die erbärmlichen und unmenschlichen Umstände zum Beispiel auf Robben Island, aber man erfährt seine Wandlung erst, wenn sie vollzogen ist. Von einem Lebensabschnitt zum nächsten.
MANDELA LONG WAY TO FREEDOM bleibt deswegen kein uninteressanter Film, doch man spürt, wie Komplex nicht nur das Leben dieses Mannes war, sondern der Umgang mit der Apartheid im Allgemeinen ist. Umfasste eine Biografie im Kino sonst das komplette Leben einer Person, war man in jüngsten Jahren dazu übergegangen, das Leben und den Charakter einer entsprechenden Persönlichkeit, an einem einprägsamen Lebensabschnitt der jeweiligen Figur festzumachen. Herausragendes Beispiel hierfür war Stephen Frears‘ THE QUEEN. Aber auch das Leben Mandelas durfte bereits in diesen Genuss kommen. GOODBYE BAFANA konzentrierte sich nur auf die Beziehung zwischen Mandela und seinem Wärter auf Robben Island. Bei MANDELA UND DE KLERK war der Blick lediglich auf die Verhandlungen zwischen Präsident de Klerk und seinen Nachfolger gerichtet. Schließlich beleuchtete INVICTUS eindringlich Mandelas Bemühungen, mit dem nationalen Rugby-Team das Land zu einen.
Man kann nicht sagen, dass die Bemühungen von Autor Nicholson und Regisseur Chadwick keinen blühenden Baum hervorgebracht hätten, allein an Früchten fehlt es ihm. Aber der Schatten des Baumes fällt zurück auf die Komplexität nicht nur im des Leben dieses Mannes, sondern der Welt, in der er leben musste. Da kann vieles nur angerissen bleiben, vieles bleibt außer Acht. Dafür erlebt man mit Idris Elba einen sehr lebendigen Nelson Mandela, der ein bisschen tiefer blicken lässt, als man diese Persönlichkeit von den Nachrichten her kennen lernen konnte. Und gerade dieses kurze Erhaschen von kleinen Teilen der Gefühlswelt des ehemaligen Präsidenten Südafrikas, lässt einen nach mehr verlangen. Ein eindrucksvoll umfangreiches Zeitdokument, reduziert sich damit selbst auf eine gelungene, aber gewöhnliche Biografie.
Darsteller: Idris Elba, Naomie Harris, Tony Kgoroge, Jamie Bartlett, Lindiwe Matshikiza, Terry Pheto, Deon Lotz u.v.a.
Regie: Justin Chadwick
Drehbuch: William Nicholson, nach Mandelas Autobiografie
Kamera: Lol Crawley
Bildschnitt: Rick Russell
Musik: Alex Heffes
Produktionsdesign: Johnny Breedt
Großbritannien – Südafrika / 2013
zirka 146 Minuten