LUCY – Bundesstart 14.08.2014
Der Film beginnt mit einem sehr ungewöhnlichen, für Eric Serra hingegen nicht überraschenden Soundtrack, der in seiner einfachen und sehr eingeschränkten Orchestrierung den Zuschauer sofort aufmerksam werden lässt. Seit IM RAUSCH DER TIEFE von 1988 begleitet Serra den französischen Ausnahmeregisseur Besson auf seinen Wegen durch das europäische Action-Kino. Was im Arthouse-Kino wunderbar funktionierte, gilt noch lange nicht für das Mainstream-Establishment. BOND-Regisseur Martin Campbell wollte für GOLDENEYE den französischen Komponisten, sorgte am Ende bei den Zuschauern letztendlich nur für Verwirrung. Diese Verwirrung überträgt sich allerdings auch auf andere Produktionen von Luc Besson, der seinem Geschmack und seinem Stil treu blieb, und der Ungewöhnlichkeit von Eric Serras Kompositionen die Stange hielt. Musikalisch ist LUCY durchaus im Trockenen, was die Zusammenarbeit von Serra mit Besson nur unterstreicht. Wo außergewöhnliche Themen auf eine besondere Abhandlung treffen. Wir sind im Jahr 2014, wo Angelina Jolie aus Termingründen eine von Action geprägte Rolle an Scarlett Johansson abgeben musste. Eine Glückskecks geschwängerte Komposition, die durchaus ihre Rechtfertigung findet. Jolie war nach dem ersten TOMB RAIDER Abenteuer die in Hollywood und ihren auserkorenen Anhängerschaften angesagte Action-Heldin, was sie mit den anschließenden SALT und WANTED zu unterstreichen wusste. Währenddessen machte sich Johansson im Marvel-Universum als Black Widow breit, und bewies sich fortan als die Power-Frau im Testosteron gesteuerten Superhelden-Zirkus.
Besson schon immer sehr einfallsreich, widmet sich dieses Mal dem Gehirn. Im Volksmund glaubt man, dass der Mensch nur zehn Prozent seines Hirns nutzt. Das diese Aussage in der Form keine Gültigkeit mehr hat, ist längst wissenschaftlich bewiesen. Das hält den Macher nicht davon ab, trotzdem daran fest zu halten, um seine Geschichte auf das Notwendigste herunter zu brechen, um dann mit den steigenden Prozentzahlen die Spannungsbögen zu setzen. Das funktioniert allerdings nur leidlich, mit dem Regisseur, der sein DAS FÜNFTE ELEMENT wirklich nicht mehr großartig aufgefallen ist. Dafür hat Besson mit seinen Geschichten und Drehbüchern das europäische Action-Kino im Alleingang hoch gehalten. CPH4 heißt die Designerdroge, wovon Lucy eine Packung in ihren Bauchraum operiert wurde. Was diese Droge bewirken soll, erfährt man nicht, dafür ihre Nebenwirkungen. Je höher die Dosis, desto mehr Gehirnkapazität wird genutzt. War Lucy Anfangs das unschuldige ängstliche Mädel, wird sie bei 20 Prozent zu einer kaltherzigen Mordmaschine.
Immer wieder unterschneidet Besson seine Szenen mit Dokumentarbilder, wie wilden Tieren die ihre Beute reißen. Das ist zu Beginn ein hübsches Stilmittel, nutzt sich allerdings viel zu schnell ab. Science Fiction wollte der Franzose machen, und das macht er insofern gut, dass er seine Versatzstücke von Action-Inszenierungen von TRANSPORTER bis hin zu 96 HOURS mit hinein strickt. Allerdings ist Luc Besson darin nicht konsequent genug, und lässt damit die Struktur des Films auseinander brechen. Bereits nach 45 Minuten ist LUCY bei den Szenen angekommen, die im Allgemeinen den Showdown bilden würden. Danach wandelt sich das Action-Szenario zu einem hypothetischen Wissenschaftsstück, das kaum noch an die erste Hälfte erinnert. Gelegentliche Einlagen werten dann LUCY doch immer wieder auf, aber der metaphysische Überbau ist ein zu weit gegriffener Block, der sich sowieso nicht untermauern lässt. Als Wissenschaftler erklärt Morgan Freeman einem Hörsaal, und somit auch dem Film-Auditorium, dass mit gesteigerter Gehirnfunktion nicht nur die Intelligenz zunehmen würde, sondern bei zum Beispiel 40% der Mensch Dinge mit den Gedanken manipulieren könnte. Telekinese, Telepathie, Teleportation, das volle Programm. Auf die Frage, was bei 100% passieren würde, schüttelt Freeman sehr unheilschwanger den Kopf, „ich habe keine Ahnung“.
Luc Besson hatte vielleicht auch keine Ahnung, aber eine Vision. Und sobald wir die Frage nach den 100% hören, wird diese Vision bereits sehr früh offenbart. Aber das hätte er nicht machen dürfen. Besson hätte geschickter schreiben müssen, nicht allzu konkret werden. Und er hätte niemals die 100% anvisieren dürfen. Zwei so unterschiedliche Genres, die hier aufeinander treffen, müssen sich gegenseitig stützen und nicht dem anderen den Freiraum abgraben. In einer Action-Sequenz wird diese anzustrebende Harmonie besonders deutlich, wenn bei einer Autoverfolgung der Fahrer nicht nur Hindernissen ausweicht, sondern Lucy nebenher Kraft ihrer Gedanken entgegenkommende Fahrzeuge aus dem Weg drückt. Da hat Besson dem Action-Kino wieder eine ganz besondere Szene geschenkt. Doch je weiter der Film kommt, desto exzessiver will er einfach nur metaphysische Science Fiction sein, und das geht dann doch nicht auf. LUCY ist ein guter Action-Film, bei dem der geneigte Fan seine Freude haben wird. Aber als zukunftsweisendes Gedankenspiel geht er nicht durch.
Darsteller: Scarlett Johansson, Morgan Freeman, Min-sik Choi, Amr Waked, Julian Rhind-Tutt, Pilou Asbaek, Analeigh Tipton u.a.
Regie & Drehbuch & Schnitt: Luc Besson
Kamera: Thierry Arbogast
Musik: Eric Serra
Produktionsdesign: Hugues Tissandier
Frankreich / 2014
90 Minuten