AUGUST: OSAGE COUNTY – Bundesstart 06.03.2014
„Weißt du, wenn ich meine Mutter eine Lügnerin genannt hätte, hätte sie mir meinen verdammten Kopf von den Schultern geschlagen.“ – Violet Weston
Es geht heiß her bei der Familie Weston. Doch das bezieht sich nur zweitrangig auf die trockenen, heißen Tage in Osage County / Oklahoma. Teil jenes Landstriches, der sich über mehrere Bundestaaten zieht, und sich als Great Plains ein Namen gemacht hat, wo Agrarwirtschaft sehr kompliziert, aber bei richtiger Handhabe extrem lukrativ ist. Weite Teile der Great Plains sind auch unter der weniger schmeichelhaften Bezeichnung in Übersetzung als Staubkessel bekannt, wozu sich Osage County zählen darf. Trockene Luft, extreme Hitze, und kaum Niederschlag. Das hat auf den ersten Blick nur wenig mit einem Familiendrama gemein. Doch hintergründig steht dieser Landstrich als Versinnbildlichung der schwelenden Konflikte in der Familie Weston. Ist das Klima in Osage County etwa Auslöser für die aufbrechenden Abgründe, oder doch nur reflektierende Begleiterscheinung? Auf alle Fälle sind die Ereignisse in Osage County das einnehmendste Ensemble-Kino der vergangenen Jahre. Denn Regisseur John Wells, der in allen Fachbereichen von Filmproduktionen zuhause ist, hat das außerordentliche Geschick bewiesen, all seine Figuren, und somit auch die Darsteller, in jeder Szene auf eine Ebene zu bringen.
„Meine Frau schluckt Pillen, und ich trinke. Das ist die kleine Vereinbarung die wir getroffen haben. Ein kleiner Paragraph in unserem Ehevertrag.“ – Beverly Weston
Tracy Letts hat die Struktur seinen Stücks beibehalten, dafür von dreieinhalb Stunden auf verdaulichere zwei Stunden gekürzt. Allerdings hat man nie den Eindruck als würde im Handlungsablauf etwas fehlen, oder gewisse Ereignisse zu überstürzt passieren. Ein großer Vorteil, wenn ein Bühnenautor bei einer Drehbuch-Adaption zugegen ist. Das Tracy Letts das Buch hier gleich selbst verfasste, ist letztendlich der ganz große Wurf für den Film. Obwohl es Risiken bergen kann, gerade was Kürzungen angeht, weil niemand sein Baby gerne zerstückelt. Aber die Besorgnis erweist sich als unbegründet. Ganz im Gegenteil. Die Vorlage für Regisseur John Wells ist eine stimmige, fließende Sache die ihren Figuren immer genug Raum lässt, aber niemals ins Stocken kommt. John Wells hat daraus einen ungemein einnehmenden Film gemacht, der trotz seiner begrenzten Spielorte, die einengende Atmosphäre eines Kammerspiels vermeidet. Mit nur wenigen Ortswechseln löst sich der Film komplett vom Charakter eines Theaterstückes. Dabei spürt man, dass der Regisseur seine Darsteller weitgehend von der Leine gelassen hat. Ihr Spiel und die Interaktionen sind erschreckend authentisch.
„Zerschmeißen wir jetzt irgendeinen Scheiß, ja. Ich kann irgendeinen Scheiß zerschmeißen. Hey. Siehst du, jeder kann irgendeinen Scheiß zerschmeißen.“ – Barbara Weston
Der desolate Zustand der Familie hängt sich förmlich an den Zuschauer. Wenn in der einen Minute Figuren miteinander lachen, und sich in der Nächsten beginnen zu zerfleischen, dann ist das ohne Ausnahme im Ensemble nicht einfach nur bravourös gespielt, sondern bindet das Publikum immer fester an die eigentlich unangenehmen Selbstzerfleischungen. Alte Ressentiments brechen auf, Vorurteile werden gepflegt, und jeder ist sich in erster Linie selbst der Nächste. Das sich die Ereignisse nicht zu einem unschön schmerzlichen Erlebnis für den Zuschauer ausweiten, ist die große Finesse in der Inszenierung. Denn John Wells kann mit seinen Darstellern den harschen Dialogen immer wieder etwas Erheiterndes entlocken. Es ist ein stetiger Unterton von leichter Satire der die Handlung durchzieht. Und je weiter diese Handlung fortschreitet, desto stärker beginnt man ein gewisses Verständnis für die einzelnen Charaktere zu entwickeln. IM AUGUST IN OSAGE COUNTY ist eben keine an den Haaren herbei gezogene Familientragödie, sondern der allseits bekannte ganz normale Wahnsinn von Menschen die nie gelernt haben wirklich miteinander zu reden.
Darsteller: Meryl Streep, Julia Roberts, Chris Cooper, Ewan McGregor, Sam Shepard, Abigail Breslin, Margo Martindale, Dermot Mulroney, Julianne Nicholson u.a.
Regie: John Wells
Drehbuch: Tracy Letts, nach ihrem Bühnenstück
Kamera: Adriano Goldman
Bildschnitt: Stephen Mirrione
Musik: Gustavo Santaolalla
Produktionsdesign: David Gropman
USA / 2013
zirka 121 Minuten