HER – Bundesstart 27.03.2014
Theodore ist ein einsamer Mann, der mit einer traumhaften Frau verheiratet war, aber nicht seiner Traumfrau. Nicht die Frau, die alles für ihn gegeben hätte. Und so ist Theodore trotz bester und innigster Freunde, doch irgendwie ein einsamer Mann, der introvertiert durch ein Los Angeles der Zukunft läuft. Wer kennt sie nicht, diese Angst vor der Einsamkeit. Aber wer kennt nicht auch die die Angst vor einem neuen Betriebssystem. Installation, und dann? Theodore ist so abgelenkt von seiner eigenen Traurigkeit, das er sich darüber keine Sorgen macht, und das heiß umworbene Betriebssystem erwirbt. Künstliche Intelligenz soll es haben, und sich selbstständig den Bedürfnissen und Angewohnheiten des Benutzers anpassen. Theodore ist zuerst erheitert, gibt dem BS während der Installation eine weibliche Identität, und es stellt sich schließlich als Samantha vor. Theodores anfängliche Erheiterung wandelt sich in Staunen, denn Samantha gibt ihm nicht das Gefühl, eine künstliche Intelligenz sein, sondern ein Wesen, das sich voll und ganz auf ihn einlässt, nur für ihn da ist. Seine Traumfrau etwa?
Eins muss man Spike Jonze lassen, er zeigt Nerven zu glauben, mit so einem Stoff durch zu kommen. Aber der Mann der schon mit BEING JOHN MALKOVICH erfolgreich war, und sich mit einer schrägen ADAPTION behauptete, der sollte auch eine Beziehung zwischen einer Stimme eines Computer-Betriebssystems und einem menschlichen Wesen glaubhaft werden lassen. Und das tut er auch, weil Jonze von seinem Stoff überzeugt ist. Theodore beginnt seine Welt mit Samantha zu teilen. Er lässt das Video-Auge seines Smart-Phones aus der Hemdtasche sehen, und das Betriebssystem sieht und erlebt alles, wie Theodore sein Leben lebt. Jonze setzt nicht etwa die Rationalität in den Kontext seiner Geschichte, sondern die schlichte Frage: Warum nicht? Aber HER ist dennoch kein Märchen, keine lustige Anekdote, oder schriller Klamauk. HER funktioniert als warmherzige, reale Geschichte, an deren Glaubwürdigkeit man selbst als Zuschauer überhaupt keine Zweifel hegt. Das enorme schauspielerische Talent von Joaquin Phoenix und die auf das wesentliche konzentrierte Regie von Jonze geben dem Zuschauer gegen jede Vernunft, eine greifbare und mitfühlende Beziehung, die man nachempfinden kann.
Der künstlerische Kniff ist dabei, alles normal wirken zu lassen. So tanzt Theodore mit seinem Smart-Phone, sprich Samantha, ausgelassen durchs Einkaufszentrum. Und keine Mensch würdigt ihn eines zweiten Blickes. Es sind Theodores Momente, sind seine Gefühle, und nicht ablenkende Reaktionen einer verständnislosen Umwelt. Im Zeitalter der Kommunikation gibt es kein Unverständnis mehr. Wir haben diese Welt angenommen, und jetzt gehen wir in ihr auf. Es ist kaum zu beschreiben, was es am Ende wirklich ausmacht, dass auch der Zuschauer keinen Zweifel an dieser Beziehung hegt. Nicht einmal anfangs schleicht sich der Gedanke von Absurdität ein, der unter anderen Umständen vielleicht umgehend das Filmvergnügen gekippt hätte. Liegt es an Theodores leuchtenden Augen, seinem stets milden Lächeln, oder ist es die einnehmend sanfte Stimme von Samantha. Die ihren Namen daher hat, dass Samantha Morton zuerst das Betriebssystem sprach, und die Dialoge am Set mit Joaquin Phoenix spielte. Was nach Phoenix‘ Spiel zu urteilen, vor Ort perfekt harmonierte, war nach Meinung des Regisseurs, und Samantha Morton selbst, am Schneidetisch ein eher unbefriedigendes Resultat. Scarlett Johannson synchronisierte schließlich Samantha, mit nicht minder zur Herz gehender Sanftmut.
HER spielt in einer nahe Zukunft. Aber es ist keine fremde, unwirkliche Zukunft. Mit dem Produktionsdesign eröffnet HER eine zweite Ebene. Es ist die logische Weiterentwicklung einer aktuell bestehenden Gesellschaft. HER sollte als Beispiel in die Schulen aufgenommen werden, wie man eine glaubhafte Zukunft erschafft. Die Stadtbilder, die Kostüme, das Set-Design, die Ausstattung. Mit ganz wenig, wurde hier sehr viel erreicht. Der futuristische Eindruck entsteht durch nur geringe Veränderungen an aktuellen Moden und Mobiliar, aber auch der gezeigte Umgang mit Technik. Großzügige Stadtansichten von Los Angeles runden ein perfekten Bild ab, wobei Shanghai als Double diente, aber den Eindruck tatsächlich verstärkt. Kamermann Hoyte van Hoytemna wählte stets Bildausschnitte, die Phoenix wohl in den Vordergrund setzten, aber genug Raum ließen, um die Größe und Atmosphäre der Stadt erleben zu können. All diese kleinen Veränderungen, ergeben ein großes, beeindruckendes Bild einer Zukunft, die schon vor der Tür steht. Denn wenn im Grunde die gezeigte Beziehung im Film auf die Wirklichkeit übertragen, absurd erscheint, so ist in dieser Wirklichkeit unsere Faszination, Affinität und bereits auch Abhängigkeit von den modernen Kommunikationsmöglichkeiten, schon sehr nah an der Geschichte.
Ein leicht schräger Soundtrack von Arcade Fire und Owen Pallett, angereichert mit vielen unbekannten, und nicht weniger schräger Songs, runden ein Filmvergnügen ab, das damit fast als perfekt zu bezeichnen wäre. Fast, wäre da nicht HERs überbeanspruchte Länge. Kein Zweifel, dass es wirklich erholsam ist, wieder einmal einen einfühlsam ruhigen Film zu sehen, der sich Zeit nimmt. Einzelne Szenen gewinnen enorm, an ihrer zeitlich freizügigen Inszenierung, weil es sie authentischer und ehrlicher macht, aber damit auch dem Zuschauer mehr Gelegenheit einräumt, das Spiel und die Atmosphäre zu genießen. Das bedeutet, das HER nur um einige Szenen zu lang ist. Als ob Spike Jonze nicht von seinen Figuren und der Stimme ablassen konnte. Aber es ist nur dieser kleine Tick, dieses leichte Gefühl, dass die Handlung eigentlich etwas zügiger voranschreiten könnte. Denn man hat sehr schnell die Beziehung zwischen der künstlichen Intelligenz und dem Menschen verstanden und nachvollzogen. Eben auf Grund der feinfühligen Regie und dem perfekten Spiel, nicht nur Phoenix‘, sondern aller Darsteller. So wäre mit etwas mehr Tempo in der Handlung, keineswegs innerhalb der Szenen, tatsächlich nur in der Handlung, aus dem exzellenten, ein perfektes Filmvergnügen geworden. Der Film ist einen Besuch trotz allem wert. Wer will denn nicht sehen, wie die Zukunft aussieht, und das vielleicht mit einem Betriebssystem an deiner Seite.
Darsteller: Joaquin Phoenix, Amy Adams, Rooney Mara, Olivia Wilde, Chris Pratt, Matt Letscher, Portia Doubleday und als Samantha: Scarlett Johansson
Regie & Drehbuch: Spike Jonze
Kamera: Hoyte van Hoytemna
Bildschnitt: Eric Zumbrunnen, Jeff Buchanan
Musik: Arcade Fire, Owen Pallett
Produktionsdesign: KK Barrett
USA / 2013
zirka 126 Minuten