SNOWPIERCER – Bundesstart 03.04.2014
Wenn der Snowpiercer in langen Schleifen die diversen Kontinente durchstreift, und den Globus umrundet hat, dann hat er 438.000 Meilen hinter sich gebracht, und exakt ein Jahr dazu gebraucht. Seit 18 Jahre nun schon, achtzehn mal um die vereiste, tote Welt. Außerhalb des gewaltigen Zuges ist ein Überleben unmöglich, würde er anhalten, müssten alle Insassen sofort erfrieren. Dennoch ist er ein Wunder der Technik, und die letzte Bastion menschlichen Lebens. Die hinteren Waggons sind voll gepfercht mit Elend, verwahrlosten Kindern, nur das notwendigste an Kleidung, keine Duschen, und lediglich Protein-Blocks als Nahrung. Das es denen im vorderen Bereich des Zuges besser geht, wissen die von Hinten. Der charismatische Curtis ist einer von ihnen, der sein Recht auf bessere Lebensbedingungen einfordern will. Revolution keimt auf, im tosenden Fahrwind des Zuges, und dem endlosen Geratter auf den Schienen. Doch Curtis will auch kein Anführer sein, er fühlt sich nicht danach, und lehnt es ab. Durch Zufall ist es aber ausgerechnet Curtis, der feststellt, dass die Wachen überhaupt keine Munition mehr in den Gewehren führen. Wahrscheinlich aufgebraucht beim letzten, niedergeschlagenen Aufstand der hinteren Abteile. Mit ausgefuchsten Ideen, beginnt der Sturm nach vorne, denn wer die Maschine beherrscht, der beherrscht das Leben im Zug.
Die Grenzen für apokalyptische Welten sind weit gesteckt. Aber eine nachvollziehbare, glaubwürdige Dystopie hingegen zu erschaffen, ist schon viel schwerer. Viele dieser düsteren Zukunftsaussichten errichten ihre eigene, in sich geschlossene Welt. Ein eigener Kosmos, der stimmig sein muss, und in dem wechselseitige Vorkommnisse auch logisch miteinander korrespondieren. SNOWPIERCER umgeht die Auseinandersetzung mit seine Schwächen dieser geschlossenen Welt, sehr geschickt mit vagen Andeutungen. Ist am Anfang noch vollkommen unklar, wie der Zug überhaupt angetrieben wird, gibt es am Ende ebenso vage Bilder, welche eine vom Zuschauer selbst zusammen gereimte Erklärung sein könnte. Selbst als bei einem gewissen Punkt im Film plötzlich wieder mit Munition bestückte Waffen zum Einsatz kommen, könnte eine vielfach interpretierbare Ansprache des Zugführers eine Lösung anbieten. Könnte. SNOWPIERCER ist in dieser Beziehung sehr geschickt, wenngleich nicht sehr befriedigend, weil es nicht wirklich stimmig wirkt. So wie die atemberaubenden 50 Meilen in der Stunde, mit der sich der Zug durch die Eislandschaft frisst. Bei 438.000 Meilen im Jahr und 8750 Stunden, die ein Jahr hat, ein einfache Rechnung. Die wenigen Außenaufnahmen vermitteln unentwegt eine Geschwindigkeit von mindestens 150 MpH. Und es gibt Szenen, die eine weit höhere Geschwindigkeit als 50 MpH nicht nur plausibel, sondern dringlich erforderlich machen.
Nichtsdestotrotz ist SNOWPIERCER spannendes Action-Kino, mit einer außergewöhnlichen Prämisse. Die Weltgemeinschaft entschließt sich endlich etwas gegen die Klimaerwärmung zu tun. Auch hier wird der Film nicht wirklich konkret, was CW-7 eigentlich ist, doch es wirkt. Weit stärker als erwartet, die Erde wird zu einem unwirklichen Eisplaneten, auf dem jedes Leben unmöglich wird. Nur Erfinder und Ingenieur Wilford hat mit seinem irrwitzigen Plan, eine Eisenbahnstrecke rund um den Globus zu bauen, der Katastrophe vorgebaut. Die letzte Zuflucht vom Rest der Menschheit. Wenn der Film beginnt, ist der Zug bereits 18 Jahre unterwegs, die Stimmung an Bord entsprechend. Was gleich zu Beginn auffällt, ist dank hervorragendem Set-Design und raffinierten Computer-Grafiken, die perfekte Illusion eines fahrenden Zuges, bei dem man mehrere Waggons in die Tiefe blicken kann. Ab der zweiten Hälfte verliert sich dieser Effekt leider immer weiter.
Chris Evans hat als ungewollter Anführer keine große Ansprüche zu erfüllen, aber er wird seinem Charakter mit verschleppter Wut durchaus gerecht. Viel auffallender ist da natürlich Tilda Swinton, die sich auch hier wie bei GRAND BUDAPEST HOTEL, hinter einer einzigartigen Maske versteckt. Swintons Auftritte sind unbestrittene Glanzlichter dieses Films. Der Süd-Koreaner Joon-ho Bong inszenierte seinen Film mit straffen Tempo, gibt aber auch ausreichend Zeit für die vielen einzigartigen Expositionen, die der Zug im Laufe des Klassenkampfes preis gibt. Der Sushi-Waggon, das Klassenzimmer, dies Discothek. Dazu gibt es immer wieder Action-Einlagen, in der sich die Soldaten der Elite-Passagiere grausame Kämpfe mit den Unterprivilegierten liefern. Diese Kämpfe sind tadellos eingeführt und optisch umgesetzt. In der Axt-Schlacht allerdings schlagen die Protagonisten immer wieder allzu offensichtlich am Gegner vorbei, was die Tonspur allerdings als saftige Treffer verkauft. Das ist deswegen so schade, weil es im Grunde eine sehr intensive, und einnehmende Sequenz ruiniert.
Könnte man die erste Hälfte von SNOWPIERCER als uramerikanisches Zukunftsspektakel mit dunkler Stimmungen bezeichnen, schwenkt Joon-ho Bong schließlich zu einem asiatischen Ton über. Die Stimmung wird greller, etwas absurder, und aufkeimender Humor schwankt zwischen Slapstick und Zynismus. Diese Art von Inszenierung muss man mögen, und könnte gerade Freunde des gepflegten Mainstream leicht verschrecken. Doch alles in allem bleibt SNOWPIERCER ein mit viel Spannung und Überraschungen inszeniertes Endzeit-Szenario. Und das er derart gut seine Schwächen für eine glaubhafte Dystopie überspielen kann, das muss man ihm dazu hoch anrechnen. Ähnlich gelagerte Filme, mit finsteren Hintergründen einer ganz neuen Weltordnung, lassen sich da sehr viel einfacher demontieren. Allerdings muss man sagen, dass auch bei SNOWPIERCER immer dieser leicht faule Geschmack mitspielt, diese Welt sei nicht wirklich bis zur letzten Konsequenz durchdacht. 126 spannende Minuten bleiben es allemal, sogar mit dieser philosophischen Einlage, die noch einmal versucht, die Grenzen zwischen Gut und Böse aufzuheben. Denn tatsächlich hat jeder an Bord seine Bestimmung. Und wie es scheint, erfolgt auf jede Aktion eine bereits im voraus kalkulierte Reaktion. SNOWPIERCER spielt gewiss nicht in der obersten Liga esoterischer Zukunftsspiele, aber er beweist, dass hinter seiner Geschichte eine weit tiefere Bedeutung beabsichtigt war. Und das ist doch gar nicht einmal so schlecht für einen Film, der vordergründig nur Spannungskino zu sein scheint.
Darsteller: Chris Evans, Jamie Bell, Tilda Swinton, Luke Pasqualino, Octavia Spencer, Kang-ho Song, Ah-sung Ko, Ed Harris, John Hurt u.a.
Regie: Joon-ho Bong
Drehbuch: Joon-ho Bong, Kelly Masterson
Kamera: Kyung-pyo Hong
Bildschnitt: Steve M. Choe
Musik: Marco Beltrami
Produktionsdesign: Ondrej Nekvasil
Tschechien-Frankreich-Korea-USA / 2013
zirka 126 Minuten