Richtig populär geworden ist das Fantasy Filmfest bei Genrefreunden, wegen des unerschütterlichen Eifers, besser zu sein wie andere Filmfeste. An der steigenden Begeisterung für das Fest, kamen schließlich auch die Verleiher nicht herum. Das Fantasy Filmfest wurde zu einer unbedingt förderungswürdigen Institution. Weltpremieren wurden gefeiert, Testvorführungen veranstaltet, Previews lange vor Kinostart. Die Veranstalter Rosebud Entertainment ließen von nicht wenigen Filmen, die überhaupt keinen Verleiher gefunden hatten, extra für das Filmfest 35mm-Kopien anfertigen. Das sorgte nicht nur für Aufsehen bei Horror- und Thrillerfans, sondern auch für größtmögliche Akzeptanz.
Von den über sechzig Filmen in diesem Jahr, konnte ich persönlich nur sechzehn Vorstellungen besuchen. Die Auswahl viel entsprechend schwer, und terminlich verpasste man das schon einmal die ein oder andere Perle. Vielleicht. Denn gab es in den letzten Jahren immer wieder diese sogenannten Perlen, sehr überdrehte, sehr blutige, oder sehr begehrte Filme, hatte man 2014 irgendwie das Gefühl, dass Besonderheiten außen vor blieben.
Zu den vom Festival selbst ernannten Favoriten zählten NOVEMBER MAN, THE ROVER und WHITE BIRD IN A BLIZZARD. Keiner von diesen Filmen wird in Deutschland eine Kinoauswertung erfahren. Und lediglich THE ROVER wird in Deutschland auf DVD erscheinen. Dabei zählten gerade diese drei Filme zu den wirklich sehenswerteren Titeln, was Produktionen wie COLD IN JULY oder STAGE FRIGHT nicht schmälern soll. Auffallend war allerdings, dass von den von mir verzehrten sechzehn Filmen lediglich COHERENCE ins Kino kommen wird. Der Rest wird gerade einmal auf DVD / BluRay erscheinen, wenn überhaupt. COLD IN JULY, BLUE RUIN, oder OCULUS wird man nur im Ausland bestellen können. Was hat das Fantasy Filmfest nur falsch gemacht, wäre in früheren Jahren etwas wie der Thriller NIGHTCRAWLER, oder Terry Gilliams ZERO THEOREM als Vorgucker durchaus möglich gewesen. Letztendlich werden die Organisatoren gar nichts falsch gemacht haben. Nur die Verleih-Mentalität scheint sich geändert zu haben, und es zeigt sich keiner mehr am Nischen-Programm interessiert.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass ausgerechnet WHITE BIRD IN A BLIZZARD vollkommen ignoriert wird. Einen Film wie diesen zu vermarkten ist natürlich schwer, weil er sich kaum einordnen lässt. Natürlich schreit man zuerst nach den Genre Drama, weil es offensichtlich scheint. Kat Connor ist siebzehn Jahre alt, als ihre Mutter Eve spurlos verschwindet. Während ihr Vater Brock in ein emotionales Loch zu fallen scheint, kämpft Kat mit den Erkenntnissen, welche sie aus dem Verschwinden für sich und ihren Vater zieht. Wie sie zurück blickt, wird ihr klar, was für ein Miststück ihre Mutter eigentlich war. Eine Kindheitserinnerung lässt sie rekapitulieren, dass ihr Vater ein richtiger Frauenschwarm war, aber doch an Eve festhielt, egal wie sie sich ihm gegenüber benahm. Erst im Laufe der weiteren Jahre, wird Kat Connor bewusst, wie sehr sie vom Verschwinden ihrer Mutter tatsächlich beeinflusst wurde, und dies ihr Leben prägte.
In erster Linie profitiert WHITE BIRD nicht nur von einer hervorragenden Shailene Woodley, sondern auch von einer sehr freizügigen Shailene Woodley. Doch mag es im voyeuristischem Sinne lediglich einen anschaulichen Beigeschmack haben, gewinnt anderseits die Atmosphäre des Film dadurch unglaublich an Intensität. Woodley ist hier nicht mehr die verniedlichte Jugendliche, sondern ein ehrliches, greifbares Wesen. Regisseur Araki hat auch sehr gut erkannt, wie weit er gehen kann und muss, um Woodley auf der einen Seite real zu inszenieren, aber sie auf der anderen Seite nicht zur Schau zu stellen. Was allerdings nicht nur für ihre Nacktszenen gilt, sondern für ihren Charakter im Gesamten. Was sich aber auch auf Christopher Meloni übertragen lässt, der bestimmt noch keine traurigere Figur gespielt hat, die umgehend soviel Sympathie erntete. Zu keinem Zeitpunkt lässt einen die Regie alleine. Nicht nur das Spiel ist intensiv, sondern auch die Inszenierung. Denn die Handlung offenbart immer wieder Überraschungen. Wer das Buch nicht gelesen hat, den trifft eine Wendung, die alles auf den Kopf stellt. Hier wird klar, dass keinem Verleih bewusst war, wie man einen derartigen Film vermarkten soll.
Eigentlich ist ein Film wie WHITE BIRD IN A BLIZZARD genau die Art von Film, welche das Fantasy Filmfest so populär machten. Subjektiv betrachtet, kann es schon sein, dass man eine der sogenannten Perlen sieht, und sich dann betrogen fühlt, weil es dann doch nicht die kommende Blockbuster-Sensation wird, weil dem Film schlichtweg ein Verleiher fehlt. Das darf mitunter auch einmal etwas verwirrend sein, doch wenn man sich alles ein wenig von der Seele schreibt, bekommt man wieder einen klareren Blick auf die Dinge. Wie Kat Connor, die auf ihrem verwirrenden Weg zur Erwachsenen gewisse Dinge falsch sieht, einschätzt oder interpretiert. Das macht das Leben sehr spannend, für Kat Connor allerdings zum Alptraum. Und für den Genre-Freund? Der zählt die Tage zum Wochenende der Fantasy Filmfest Nights. Und dann sind es nur noch einige Wochen zum Filmfest, hoffentlich wieder mit einigen Überraschungen. Wie zum Beispiel der Änderung des Programmablaufes. Wurde das Programm in Nürnberg bisher in nur acht Tagen in zwei Kinos parallel abgespielt, hat man dieses Jahr auf ein einziges Kino reduziert, wo sich das Programm zwölf Tage Zeit ließ. Unerwünschte Überscheidungen von Wunschfilmen wurden damit ausgemerzt. Damit haben die Organisatoren ihrem Fantasy Filmfest wirklich einen großen Dienst erwiesen.
WHITE BIRD IN A BLIZZARD – nur in Amerika über iTunes oder Video on Demand
Darsteller: Shailene Woodley, Eva Green, Christopher Meloni, Thomas Jane, Shiloh Fernandez, Angela Bassett u.a.
Drehbuch, Schnitt, Regie: Gregg Araki, nach dem Buch von Laura Kasischke
Kamera: Sandra Valde-Hansen
Musik: Robin Guthrie
Produktionsdesign: Todd Fjested
USA – Frankreich / 2014
91 Minuten