DIE BESTIMMUNG – DIVERGENT

DIVERGENT – Bundesstart 10.04.2014
Divergent-1, Copyright Summit Entertainment / Concorde FilmverleihMan kann ohne Übertreibung sagen, dass DIVERGENT die beste Roman-Adaption seit Jahren ist. Der geneigte Leser muss nichts aus der Geschichte vermissen. Der Film geht sogar soweit, dass er weniger plausible Handlungsteile des Buches sauber umgeht. Zweifellos ist DIVERGENT eine beispielhafte Adaption, nur war der Roman selbst eine eher durchschnittliche Leseerfahrung. Der inflationäre Ausstoß von Jugendroman-Trilogien scheint sich damit zu begründen, dass die großen Filmstudios gerne und schnell die Rechte erwerben. Unter dem Deckmantel der Jugend, können auch weniger durchdachte Geschichten ohne weiteres veröffentlicht werden. Womit man der lesenden Jugend allerdings Unrecht tut. Wie andere, vorangegangene Buchreihen, spielt auch DIVERGENT mit einer düsteren Zukunftsvision. Solche Visionen wirken meist nur oberflächlich stimmig. Beginnt man zu hinterfragen, zeigen diese gezeichneten Welten sehr schnell Risse. Auch Veronica Roth‘ DIVERGENT-Reihe kann sich nicht vor diesen Rissen retten. Doch in erster Linie geht es ums Erwachsenwerden, das Loslassen, die Selbstbestimmung. Zumindest dieser erste Film, ist thematisch eine große coming-of-age-story, in der in diesem Fall Beatrice Prior ihre Platz in dieser Welt finden muss, und der Weg dorthin ist selten schmerzlos. Und das Ganze wurde mit einem gigantischen Deckmantel von dystopischer Zukunft umhüllt.

Die Welt begrenzt sich hier auf die abgeriegelte Stadt Chicago. Die Gesellschaft ist in fünf Fraktionen aufgeteilt, und egal in welcher Fraktion man aufwächst, kann man in entsprechendem Alter selbst eine Fraktion erwählen, der man angehören will. Mit einem Test kann man feststellen, für welche Fraktion man wirklich geeignet ist. Die Amite sind für die Lebensmittelversorgung vor den Toren der Stadt zuständig. Die Ferox fast selbstzerstörerische Kämpfernaturen, welche die Stadt beschützen. Wissenschaftler und Lehrer sind bei den Ken zu finden. Bei den Candor, die niemals lügen, wird das Rechtssystem verwaltet. Und die eigentliche Regierung wird von den Altruan gestellt, die mit ihrer inneren Einstellung zur Selbstaufopferung, wirklich dem Wohle des Volkes dienen. Doch es gibt noch die Unbestimmten. Menschen, die nach alter Weltordnung nicht von einem einzigen Kodex bestimmt werden, sondern alle menschlichen Tugenden in sich einen. Sie wären Freigeister, nicht kontrollierbare Individuen. Sie würden die Gesellschaftsordnung auf den Kopf stellen, deswegen werden sie mit allen Mittel zur Strecke gebracht. Beatrice Prior muss entdecken, dass sie eine Unbestimmte ist, und hofft mit der Wahl, eine Ferox zu werden, ihre eigentliche Bestimmung zu verbergen.

Neil Burger hat einen technische tadellosen Film inszeniert, bei dem Bildgestaltung, Schnitt, Tempo und Effekte ein harmonisches Erlebnis machen. Zwei visuelle Effekte hätten etwas Nachbearbeitung gebrauchen können, aber sie fallen nicht allzu unangenehm auf. Auch bei DIVERGENT bleibt die Kamera bei Zweikämpfen zu nah an den Protagonisten, anstatt mit weiteren Einstellungen die Choreografie hervor zu heben. Das ist allerdings eine persönliche Betrachtungsweise. Auch die immer wieder eingestreuten Pop-Songs sind einfach etwas zu dick aufgetragen, sind aber ein natürliches Zugeständnis an das eigentliche Zielpublikum unter zwanzig Jahren. Was dann aber wirklich überwältigt, sind die Kulissen des verwahrlosten Chicago. Das Produktionsdesign unter Andy Nicholson hat sich grandiose Gedanken zu dem gegebenen Szenario gemacht, und die bekannteren Ecken der Stadt hervorragend der Verwilderung ausgesetzt. Besonders tun sich dabei die Strom erzeugenden Windfänger an den Häuserfassaden hervor. Ein genialer Einfall für eine Stadt mit dem Spitznamen Windy City.

Nachdem sie trotz ihrer kleineren Rolle in THE DESCENDANTS einem breiteren Publikum aufgefallen war, spielt sich Shailene Woodley als aufgewühlte Beatrice definitiv ganz nach oben. Ohne eine komplette Bandbreite von Emotionen wirklich voll ausspielen zu müssen, bindet sie den Zuschauer mit ihrer Chemie zur Kameralinse. Aber auch Theo James, der nach ersten Szenenphotos lediglich den Anschein erweckte, nur wegen des Aussehens besetzt worden zu sein, ist ein respektabler Darsteller, der seine Rolle als Ausbilder Four hervorragend ausfüllt. Obwohl gut gespielt, muss sich der Rest des Ensemble eher mit Rollenklischees herum schlagen. Allerdings funktionieren diese Stereotypen immer noch in dem gegebenen Szenario.

Alles in allem könnte DIVERGENT also ein sehr guter Film sein, mit guten Spannungsmomenten, überzeugenden Action-Sequenzen, einigen Überraschungen, und angemessenen Darstellern. Wie Neil Burger seine Protagonisten inszeniert hat, ihre zufälligen, und manchmal beabsichtigten Berührungen, unbewusste Blicke, zwanglose Dialoge, die dennoch viel sagen. Aus Woodley und James hat Burger ein wirklich einnehmendes Pärchen gemacht. Doch Burger stellt sich seinem Film etwas anderes entgegen, und das ist ein Jugendroman, der von Anfang an als Trilogie konzipiert war, und unbedingt eine pessimistische Zukunftsvision sein musste. Veronica Roth ist eine passable Schriftstellerin, die mit einem flüssigen, und auch auf den Punkt kommenden Stil ihr Handwerk beweist. Allerdings mangelt es Roth daran, ein plausible Welt zu erschaffen, die in einer stringenten Weiterführung unserer aktuellen Gesellschaft kein stimmiges Bild von der Zukunft schafft. Und genau das hat der Film, wie die Gesamtheit seiner Handlung, eins zu eins übernommen. Eine Form von zukünftiger Gesellschaft, die sich all zu leicht demontieren lässt.

Wer die richtigen Fragen stellt, der könnte DIVERGENT vielleicht augenblicklich in der Luft zerreißen. Aber will man das wirklich? Muss eine wirklich spannend erzählte Geschichte, wirklich allen Regeln der Logik unterworfen sein? Das ist eine Streitfrage, die objektiv nicht zu beantworten ist, weil sich die Kunst der Unterhaltung in vielerlei Richtungen expandiert. Das Problem ist die Auflösung. Denn vielleicht hat Veronica Roth in ihren Romanen die richtigen Antworten, nur werden sie dem Zuschauer nicht im ersten, aber entscheidenden Band offeriert. Viel schlimmer noch, es bleibt zu befürchten, dass selbst nach drei Büchern keine befriedigenden Lösungen angeboten werden. Genau das tut der Film DIVERGENT mit dem Zuschauer, er zwingt ihn sich auf Teil zwei und drei einzulassen. Grundsätzlich muss man sich fragen, ob es wirklich funktionieren kann, das Menschen auf eine bestimmte Fraktion konditioniert werden können. Und wie kann diese Ordnung tatsächlich bestehen bleiben. Im Film geht es darum, wie diese Gesellschaft auseinanderbricht. Und nach dem, hätte diese Ordnung erst gar nicht entstehen können.

Doch auch wenn man bereit ist, gerne die Logik zu brechen, weil man dafür dennoch eine gute Geschichte erzählt bekommt, ist es statthaft, dem Zuschauer eine Trilogie aufzuzwingen? War STAR WARS nicht in sich geschlossen, und wagte erst mit EPISODE 5 eine offene Handlung? Selbst DIVERGENTs thematischer Mitbewerber TRIBUTE VON PANEM machte aus dem ersten Teil eine in sich geschlossene Verfilmung. Hier treffen sich die zwei konzeptionellen Probleme von DIVERGENT als Film. Er wirkt wie eine einzige groß inszenierte Exposition, anstatt aufzulösen, baut er immer weiter und weiter auf. Und dann entlässt er den Zuschauer, nicht unbedingt mit einem Cliffhanger, aber mit einem definitiv offenen Ende. Man muss gerechterweise sagen, dass es durchweg unterhaltsame Momente, mit exzellenten Anleihen an das moderne Kino gibt, und oberflächlich betrachtet auch einen gelungenen Film ergeben. Aber er ist nicht stimmig. In sich trägt er zu viele wunde Punkte, mit denen man ihn zu Fall bringen könnte. Wie gute Science-Fiction, sind auch bis auf das letzte durchdachte Dystopien selten geworden. Und genau einen Tag vor diesen Zeilen, teilt Lionsgate mit, dass der dritte Band von Veronica Roth auf zwei Filme aufgeteilt werden wird. Da kann man als Zuschauer wirklich auf diverse Gedanken kommen.

Divergent-2, Copyright Summit Entertainment / Concorde Filmverleih

Darsteller: Shailene Woodley, Theo James, Ashley Judd, Jai Courtney, Ray Stevenson, Zoë Kravitz, Miles Teller, Tony Goldwyn, Maggie Q, Mekhi Pfeiffer und Kate Winslet  u.a.
Regie: Neil Burger
Drehbuch: Evan Daugherty, Vanessa Taylor, nach Veronica Roth‘ Roman-Trilogie
Kamera: Alwin H. Küchler
Bildschnitt: Richard Francis-Bruce, Nancy Richardson
Musik: Junkie XL
Produktionsdesign: Andy Nicholson
USA / 2014
zirka 139 Minuten

Bildrechte: Summit Entertainment / Lionsgate / Concorde Filmverleih
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