DALLAS BUYERS CLUB – Bundesstart 06.02.2014
Als das erste Bild von Matthew McConaughey im Netz zu kursieren begann, wie er sich körperlich auf seine Rolle des Ron Woodroof vorbereitet hatte, konnte man das kaum glauben. War man schon von Christian Bales körperlichen Einsatz in MACHINIST erstaunt, zeigte man sich bei McConaughey entsetzt. Es waren 25 Kilo, die den Mann vom fantastisch gebauten Stripper in MAGIC MIKE, zum ausgezehrten AIDS-Kranken in DALLAS BUYERS CLUB machten. Es ist nicht einfach nur eine die Rolle unterstützende Verwandlung, es ist fühlbarer Schmerz, der auf den Zuschauer übertragen wird. Matthew McConaughey ist wahrlich kein schöner Anblick, aber ehrlich und zutiefst verstörend.
Es ist eine Zeit, als man kaum etwas über HIV wusste. Die Schwulenkrankheit. Nichts über das sich Rodeo-Reiter Ron Woodroof Sorgen machen müsste. Er trinkt nur übermäßig, nimmt Drogen, und vögelt alle, die bereit dazu sind. Bis zum ersten Zusammenbruch. Diagnose HIV, Woodroof ist bereits an AIDS erkrankt. Die Ärzte sind erstaunt, dass er überhaupt noch lebt. Es ist 1985, und der Lebemann hat maximal einen Monat zu leben. Doch Ron Woodroof akzeptiert weder Krankheit noch sein Ultimatum, mit den scheiß Schwuchteln hat er nichts am Hut.
Ob man sich jetzt künstlerische Freiheiten gegenüber der wahren Person Ron Woodroof herausgenommen hat, oder auch nicht, das ist für diese Geschichte vollkommen irrelevant. Es ist eine kraftvolle, ehrliche und erschütternde Erzählung. Aber Regisseur Jean-Marc Vallée schafft immer wieder erfrischende Momente, die Hoffnung und Verständnis zelebrieren. Zum Beispiel da, wie der homophobe Redneck Ron auf den ebenfalls an AIDS erkrankten transsexuellen Rayon trifft. Je direkter Ron seine Abneigung gegenüber Homosexuellen vertritt, desto burschikoser lässt Rayon einfach nicht von dem nun einsamen Rodeo-Mann ab. Denn 1985 hat niemand mehr Freunde, der die Schwuchtel-Krankheit hat, besonders nicht im texanischen Hinterland. Doch es ist der unbändige Drang zu leben, der Ron weiter machen lässt. Ein Wille, der ihn sogar dazu bringt, sich mit Rayon eine innigere Beziehung zuzugestehen.
Das vielversprechende Medikament AZT zeigt bei Ron keinerlei Wirkung. Und als er feststellen muss, dass er nicht einmal mehr eine Erektion bekommt, wird er richtig aktiv. Er findet heraus, dass es in Mexiko Medikamente gibt, die in den Vereinigten Staaten nicht zugelassen sind, aber überaus effektiv wirken. Wenngleich solche Arzneien lediglich einen Aufschub bedeuten, aber niemals eine Heilung. Mit einem juristischen Trick für den Selbstgebrauch kann Ron die Medikamente in die USA einschleusen. Da auch das Verschenken solcher Medikamente nicht unter Strafe steht, gründet Ron mit Rayon, nach dem Vorbild aus anderen Städten, den Dallas Buyers Club. Die Mitgliedschaft kostet 400 Dollar, dafür bekommen die Mitglieder die wirklich helfenden Medikamente geschenkt. Doch die Arzneimittelkontrollbehörde, welche mit der amerikanischen Pharmaindustrie eng zusammen arbeitet, hat ein unerbittliches Auge auf Woodroof gerichtet, der mit seinen aus dem Ausland beschafften Medikamenten an AIDS erkrankten Menschen wirklich helfen kann. Die Behörde schikaniert den Dallas Buyers Club mit Durchsuchungen, einstweiligen Verfügungen und Beschlagnahmungen. Die Industrie möchte eben unbedingt die Arznei AZT als einzig wirksames Mittel durchdrücken.
Die Geschichte von Ron Woodroof, und seine Beziehung zu Rayon ist eine ständige emotionale Achterbahnfahrt. Doch keine der Figuren verwandelt sich auf einmal in ein geläutertes Wesen, oder vom Homophoben zum verständnisvollen Helden. Und das ist einer der beeindruckendsten Aspekte in einer Geschichte auf wahren Begebenheiten, die sich dennoch ihre künstlerischen Freiheiten nimmt. In einer Sequenz scheint Ron mit Gott zu reden, vor seinem Gesicht flackern unscharf Kerzen. Was wie eine zu Herzen gehende Szene eines gereiften Mannes beginnt, entpuppt sich dann als der betrunkene Ron Woodroof in einem Striplokal. Obwohl die Figur eine charakterliche Weiterentwicklung erlebt, ist sein Tun in erster Linie stets auf sich selbst gerichtet. Er allein, als drogenabhängiger Underdog, hat festgestellt, dass es wirklich wirksamere Mittel als das geförderte AZT gibt. Und in seiner Halsstarrigkeit, will er auch allen beweisen, dass andere Länder viel weiter in ihren Forschungen und Ergebnissen sind. Und das diverse Pflanzenextrakte mehr ausrichten, als künstlich generierte Arzneien. Wenn dutzende von Hilfesuchenden dem Dallas Buyers Club beitreten, dann ist er nicht der rettende Engel, sondern dann sind diese Menschen eine Bestätigung für seiner selbst. Und je mehr Kranken er damit helfen kann, so glaubt er zumindest, desto schneller müsste die Arzneimittelkontrollbehörde FDA seinen Bemühungen Rechnung tragen.
Jean-Marc Vallée hat keine Erfolgsgeschichte inszeniert. Er hält eine ehrliche, teils schmerzhafte Erzählung für den Zuschauer bereit. Eine Film der fesselt und fasziniert, manchmal macht er auch wütend, aber zumeist beeindruckt er durch seine direkte unverspielte Art. Dabei lässt der Regisseur seine Darsteller einfach von der Leine, und das Ergebnis ist eigentlich der Film selbst. Natürlich sind in erster Linie McConaughey und Leto die tragenden Elemente dieser tragischen, und doch Hoffnung machenden Geschichte. Eine Geschichte, die sich schon so oft in der Vorproduktion befand, um dann doch nicht gedreht zu werden. Und wie bei WALTER MITTY letztes Jahr, zeigt sich auch beim DALLAS BUYERS CLUB, dass sich das Warten auf die richtigen Kreativ-Köpfe wirklich gelohnt hat. Nach sechs Jahren Abstinenz hat sich dafür sogar Jared Leto wieder auf die Leinwand begeben. Mit 15 Kilo weniger zu seinem Normalgewicht, aber als energetisches Schwergewicht, das dem einnehmenden Charakter von Matthew McConaughey in nichts nachsteht. Ein Drama, das so ungezwungen inszeniert ist, das es nicht nur schmerzt, wenn man mit den Figuren leidet, sondern man auch sehr viel positive Lebenseinstellungen für sich entdecken kann. Und dabei ist es vollkommen irrelevant, inwieweit die wahren Ereignisse von künstlerischen Freiheiten beschnitten wurden.
Darsteller: Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Denis O’Hare, Steve Zahn, Michael O’Neill, Dallas Roberts, Griffin Dunne, Kevin Rankin u.a.
Regie: Jean-Marc Vallée
Drehbuch: Craig Borten, Melisa Wallack
Kamera: Yves Bélanger
Bildschnitt: Martin Pensa, Jean-Marc Vallée
Produktionsdesign: John Paino
USA / 2013
zirka 117 Minuten