Diese Besprechung wurde bereits am 10. September im Rahmen des Fantasy Filmfestes 2014 veröffentlicht. Zu jenem Zeitpunkt war eine deutsche DVD-Auswertung noch nicht absehbar, geschweige denn, dass der Film einen deutschen Kinoverleiher finden würde.
Dwight lebt in seinem Auto, welches auf einem aufgelassenen Parkplatz vor sich hin rostet, ohne bewegt zu werden. Er ernährt sich aus Mülleimern, und ist ganz offensichtlich ein geschundenes Kind von Traurigkeit. Als eines Tages eine Polizistin an seine Wagentür klopft, erahnt man auch den Grund für Dwights miserablen Zustand. Die Polizei muss ihm mitteilen, das Wade Cleland aus dem Gefängnis entlassen wird, der Mörder seiner Eltern. Scheinbar der Tag, auf den Dwight gewartet hat. Er baut die Batterie zurück in seinen Wagen, löst die schützende Plastikplane, und macht sich auf den Weg, Wade Cleland zu töten. Dabei löst er eine nicht zu stoppende Spirale der Gewalt aus. Eine Spirale, die Jeremy Saulnier in seiner zweiten Langfilm-Regie mit einnehmender Konsequenz inszenierte.
Mit Regie, Drehbuch und Kamera hat sich Jeremy Saulnier fast schon einen künstlerischen Alleingang gegönnt. Und in Macon Blair als Dwight, hat der Filmemacher auch den perfekten Wegbegleiter gefunden. Im unabhängig produzierten Kino, sind es meist reine Herzensangelegenheiten, welche die Filmemacher für sich selbst inszenieren. Und dies geht meist mit ungewöhnlichen Charakterstudien einher. Ein Studio-Film ist auf eine mehr oder weniger gefällige Geschichte, und ausgefeilte Nebencharaktere ausgelegt, um einen breiteren Massengeschmack anzusprechen. Um diesen Fesseln entgegen zu wirken, produzieren findige Filmemacher mit unabhängigen Finanzmitteln. Wie Jeremy Saulnier, der sich in BLUE RUIN und in seiner künstlerischen Freiheit ganz seinem Charakter Dwight hingibt.
Natürlich wird man am Ende von BLUE RUIN zu dem Schluss kommen, das Macon Blair diesen Film durchaus tragen konnte, dass es sogar ungemein spannend war, ihn zu beobachten. Doch Blair ist in fast jeder Szene präsent, und trotz der intensiv spannenden Handlung, fragt man sich unweigerlich immer wieder, ob ein erweiterter Handlungszweig und ausgeprägtere Nebenfiguren dem Film nicht besser gestanden hätten. Vielleicht. Aber lässt man BLUE RUIN noch einmal Revue passieren, hat Saulnier doch alles richtig gemacht. Es ist nicht das Rachespektakel, welches den Zuschauer hämisch händereibend, für den Rächer skandieren lässt. Es ist eine teilweise sehr brutale, weil realistische Inszenierung. Es wird nicht gestorben, wie in Filmen gestorben wird. Hier besticht BLUE RUIN mit blutigen Details, die selbst dem Zuschauer weh tun. Und es wird sich auch heraus stellen, das die wirkliche Welt nie Schwarz oder Weiß ist, aber Dwight sein handeln dennoch nicht mehr stoppen kann. Ebenfalls Attribute, die mit dem Independent-Kino einhergehen.
BLUE RUIN ist ein bemerkenswerter Film, der genauso spannend wie tiefgründig ist. Auf alle Fälle ist er nicht dieses schön inszenierte Hollywood-Kino, sondern eine ehrliche, meist auch schmerzhafte Erfahrung, die dem Zuschauer immer wieder die Frage aufzwingt, ob die von einem selbst oftmals leichtfertig ausgesprochenen Vergeltungsgedanken tatsächlich so erstrebenswert wären. Nicht die Unterhaltung in den Vordergrund stellen, sondern auch einmal das Gewissen zu strapazieren. Noch so ein Attribut, und BLUE RUIN spielt sie bestens aus.
Darsteller: Macon Blair, Devin Ratray, Amy Hargraves, Kevin Kolack, Eve Plumb, David W. Thompson u.a.
Kamera & Drehbuch & Regie: Jeremy Saulnier
Bildschnitt: Julia Bloch
Musik: Brooke Blair, Will Blair
Produktionsdesign: Kaet McAnneny
Frankreich – USA / 2013
90 Minuten