Recherchen im Internet bringen manchmal Überraschendes an den Tag. Männer wie zum Beispiel Roland, der selbst nach dreizehn Jahren noch immer dem Autokino auf seiner Homepage huldigt. In dem Fall dem Autokino Marienberg, dereinst in Nürnberg, welches 1968 als elftes Autokino in Deutschland mit LADY IN ZEMENT eröffnet wurde. Vierzig waren es einmal in der Hochphase, und hat sich heute auf noch 18 verbleibende Spielstätten gesenkt. Die immer komfortabler werdenden Multiplex mit ihren klimatisierten Sälen und ihrer besseren Vorführbedingungen wurden immer stärker bevorzug. Dabei hatten diese Zuschauer allerdings vergessen, wobei es beim Autokino, dem Drive-In, eigentlich ging. War es Anfangs die Bequemlichkeit, und die Möglichkeit auf Ausgeh-Etikette verzichten zu können, so wie die weit billigere Selbstversorgung, entwickelte das Kinovergnügen immer mehr einem Event-Charakter. Kein Event bei dem der Film hinten angestellt wurde, sondern immer noch der Hauptdarsteller blieb. Picknicks sind keine Seltenheit, Open-Air bei mitgebrachten Gartensesseln, Disco während der Filmpause. Und zum zehnjährigen Jubiläum gab es am Marienberg in Nürnberg ein ordentliches Feuerwerk, dazu einen Film, wie er klassischer nicht konnte, Sam Peckinpahs CONVOY. Und wenn Roland dagewesen wäre, dann auf seinem aufblasbaren Sofa, welches vor die Leinwand postiert war, ausgerüstet mit Thermoskanne, falls es frischer werden sollte, und einem selbst entworfenen Technikrack, für den persönlichen, vom Auto unabhängigen Ton.
Es war der Chemie-Industrielle Richard M. Hollingshead, der 1932 das Patent auf das Konzept eines Autokinos anmeldete. Ein Jahr später eröffnete er in New Jersey das erste Drive-In für 400 Autos, und warb mit dem Slogan „Die ganze Familie ist willkommen, egal wie laut die Kinder sind“. Was witzig klingt, war durchaus sehr ernst zu nehmend für Familien, zudem man sich einen teuren Babysitter sparen konnte. Ein Jahr lang hatte Hollingshead getüftelt, wie hoch die Leinwand sein muss, wie die Beschaffenheit der Rampe aussehen muss, damit die Auto nach vorne erhöht stehen, damit sie sich nicht die Sicht blockieren. Nur mit dem Ton wurde es schwierig, weil der Erfinder natürlich wie in einem richtigen Kino den Lautsprecher an die Leinwand setzten wollte. Wer weiter von der Leinwand weg stand, hatte eine Verzögerung im Ton, zudem war dieser leiser, während in den vorderen Reihen der Ton wieder zu laut sein konnte. Zwei Jahre nach Hollingheads Installation, versuchte ein Kino Abhilfe, indem vor den Autos eine ganze Reihe von Lautsprechern installiert wurde. Doch erst 1941 brachte RCA das Lautsprecher-System auf den Markt, welches sich für die kommenden Jahrzehnte bewährte. Eine Säule am Standplatz, mit einem individuellen Lautsprecher der ins Innere des Wagens gehängt werden konnte, und über einen persönlichen Lautstärkeregler verfügte.
War der Erfolg des Drive-In anfangs der Familienfreundlichkeit geschuldet, wurde es in den Fünfzigern und Sechzigern immer mehr zum Treffpunkt der Teenager, und Wahl für ein erstes Date. Hier erlebte das Drive-In mit zirka 4000 Leinwänden seine Hochphase in Amerika. Da wurde in Deutschland gerade einmal ab 1954 in Erlangen auf dem Gelände der Firma Frieseke & Höpfner das erste mobile Autokino getestet, und brachte Verwirrung ins Publikum, wie man mit dieser Sache umgehen sollte. Es heißt, dass die meisten Besucher aus ihren Fahrzeugen ausstiegen, um den Film zu sehen. Auch keine bequeme Art, einen Film zu genießen. Erst 1960 eröffnete in Gravenbruch bei Frankfurt das erste feste Autokino mit DER KÖNIG UND ICH, eines der erfolgreichsten und auch heute noch am stärksten besuchte Kino dieser Art. Da hatte bereits das große Sterben in Amerika eingesetzt. Der Fernseher übernahm die Familienunterhaltung, und die Kinos wollten mit Gewalt und Action im Programm wenigstens das jugendliche Publikum binden, was wiederum noch mehr Familien vergraulte. Der Stand von 2013 gibt Drive-Ins in Amerika mit einer Zahl von nur noch 357 an.
In der Hochphase 1972 behaupteten sich 40 Autokinos in Deutschland, doch die Zahl sank bis heute auf 18. Prozentual um ein vielfaches mehr, als im Auto vernarrten Amerika, wo das Fortbewegungsmittel sofort nach dem eigenen Heim einzustufen ist. Heute könnten es in Deutschland noch 19 Autokinos sein, hätte die Tucher-Stiftung 2002 den Pachtvertrag für das Autokino Marienberg nicht auslaufen lassen. Doch zwei nun an dieser Stelle angesiedelte Autohäuser bringen wohl einen finanzkräftigeren Pachtvertrag. Nur so als Verdacht. Was bleibt sind Erinnerungen. Wundervolle Erinnerungen, nicht nur filmischer Natur. Schließlich war das Autokino die erste Stätte, zumindest im Großraum Nürnberg, wo man „Hamburger“ genießen konnte. Diese amerikanischste aller amerikanischen Speisen. Die waren in der Snack-Bar zwar unbezahlbar, aber ab und an gönnte man sich doch diese „Spezialität“ ob ihrer Besonderheit.
In vierzehn Reihen bot das Marienberg exakt 1111 Fahrzeugen Platz. Für 2 Millionen Mark erbaut, schrieb das sehr kritisch betrachtete Projekt in nur einem Jahr bereits schwarze Zahlen. Ein unerwarteter Erfolg, der gegenüber anderen Kinos in Deutschland, zu keinem Zeitpunkt abriss. Um mit den Standards normaler Kinos einigermaßen Schritt halten zu können, blieben zwar die Lautsprecher an den Säulen erhalten, doch der Filmton wurde schließlich auch über eine eigene UKW-Frequenz in Dolby Digital übertragen. Und wer in jener Umstellungsphase bereits über ein Stereo-Radio verfügte (Ja, es gab diese Zeit ohne Stereo tatsächlich), hatte ein erstklassiges Kinovergnügen. Wenn es nicht regnete.
An den Säulen mit den Lautsprechern, befand sich ebenfalls ein Heizlüfter, für die kälteren Jahreszeiten. Irgendwie musste man diesen Heizlüfter im Fußraum unterbringen. Der brannte entweder dem Beizuschauer, oder dem eigentlichen Fahrer die Füße weg, während der Partner trotz allem schlotterte. Nicht nur das die Heizlüfter wenig effizient waren, sie demonstrierten auch eine Lautstärke, die dem Filmton wirklich abträglich war. Aber am Ende war es Teil des Vergnügens, oder besser gesagt, des Erlebnisses. Wie der plötzlich einsetzende Regen, wo die Intervall-Schaltung des Scheibenwischers Bestandteil des Filmbildes wurde. Immer mit der Furcht, dass die ständig eingeschaltete Zündung nicht die Batterie leeren würde.
Wer in der Filmpause glaubte, er müsse sich in der Snack-Bar eine amerikanische Köstlichkeit gönnen, dem konnte es wegen des enormen Andrangs passieren, dass er zehn bis zwanzig Minuten der zweiten Hälfte versäumte. Wem also nur nach koffeinhaltigen Erfrischungsgetränken, oder Schöller-Eiscreme gelüstete, für den gab es den Mann vom Service. Vor der Werbung und während der Pause leuchtete ein Dia von der gigantischen Leinwand, welches eine gezeichnete Figur zeigte, die überhastet mit einem Service-Wagen zu eilen schien, und der Text beschwor, „wenn die grüne Lampe brennt, unser Mann vom Service rennt“. Am Lautsprecher befand sich nicht nur der Lautstärkeregler, sondern auch ein Knopf, der eine grüne Lampe an der Säule aktivierte, die einem Mann mit eine Wagen voller Snacks und Getränken signalisieren sollte, das er ans Auto kommen konnte, um Verkäufe zu tätigen. Wer ein oder zweimal die grüne Lampe aktivierte, hat es danach nie wieder getan, weil der Mann von Service nicht gerannt kam, sondern es sogar fertig brachte, ignorant an einer grünen Leuchte gemächlich vorbei zu schlendern.
Und dennoch war alles ein Teil des besonderen Charmes. All die negativen, aber vorwiegend positiven Ereignisse, machten das Erlebnis Autokino zu etwas Besonderem. Wie bei Roland, der als Kino-Fan die perfekte Technik von Dolby Atmos, 3D, digitaler Projektion, und Amphitheater Bestuhlung durchaus zu schätzen weiß, aber auch das Besondere in einer Vorführung unter freiem Himmel, mit allen möglichen Widrigkeiten, zu geniessen versteht. Mit seinen Bildern hat er lang verloren geglaubte Erinnerungen wiederbelebt. Diese Erinnerungen mögen nostalgisch verstaubt sein, aber es sind gute Erinnerungen, welche man zu keiner Zeit missen möchte.