„Die Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt.“ – Luzi
Irgendwann, als neulich der deutsche Filmpreis verliehen wurde, hat auch DAS FINSTERE TAL Preise eingeheimst, wurde sogar als der große Sieger verkauft. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich der Deutsche Filmpreis nicht die Bohne interessiert, denn üblicherweise werden irgendwelche Geschichtsbewältigungs-Dramen ausgezeichnet, oder höchst unwitzige Komödien. In dem Bericht, den ich zufällig darüber im Fernsehen sah (unter anderem deswegen ein Zufall, weil ich TV eigentlich nur noch vom Wegsehen kenne), war aber auch ein kurzer Trailer enthalten, mehr ein Teaser. Das sah tatsächlich interessant aus — und dann mehrten sich die Stimmen, die DAS FINSTERE TAL als »Alpenwestern« bezeichneten, gar als »Genre-Film«. Und sowas in deutscher Sprache (es ist eine österreichisch-deutsche Koproduktion)? Ich war nun nicht so heiß darauf, mir den im Kino anzusehen, als der Preis für die BluRay allerdings kürzlich im Angebot unter zehn Euro fiel, wollte ich dann doch mal einen Blick riskieren, um festzustellen, ob die euphorisch klingenden Kritiken gerechtfertigt sind.
DAS FINSTERE TAL basiert auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Willmann. Der Film handelt Ende des 19. Jahrhunderts in einem abgelegenen österreichischen Tal. In dieses kommt ein Fremder, ein Amerikaner, der vorgibt, die Gegend und die Einwohner fotografieren zu wollen. Das Dorf ist fest im Griff des Bauern Brenner und seiner sechs Söhne — und es zeigt sich, dass der Fremde völlig andere Pläne hat, als nur die Natur abzulichten.
„DAS FINSTERE TAL gibt sich als Western.“
DAS FINSTERE TAL gibt sich als Western, das ist auch ganz klar so gewollt, es wird viel geritten, und ob die Hutmode so tatsächlich in Zeit und Gegend passt, darüber darf man sicherlich geteilter Ansicht sein. Grundsätzlich macht das aber nichts, die Idee, quasi einen europäischen Western, eine Hommage an dieses Genre, vor der beeindruckenden Kulisse der Alpen zu machen, ist eigentlich genial.
Zur handwerklichen Umsetzung ist meine Meinung zweigeteilt. Die Szenenbilder sind großartig, das macht aber allein schon die Szenerie, die die Natur bietet. Die Bauten des abgelegenen Dorfes wirken authentisch und sorgen allein bereits für morbide Stimmung. Die Farbgebung ist leicht entsättigt, da der Film allerdings im Winter handelt, ist Weiß in diversen Szenen eine dominierende Farbe. Bei den Szenen im Freien ist auch gegen die Kameraführung, die oft panoramisch die Gegend einfängt, nichts einzuwenden.
„Was mich nachhaltig gestört hat, ist die Langsamkeit, mit der das Ganze inszeniert wurde.“
Was mich nachhaltig gestört hat, ist die Langsamkeit, mit der das Ganze inszeniert wurde. Langgezogene Einstellungen dominieren über weite Teile des Streifens, und das in einer Form, die mir überzogen erscheint und für Längen sorgt. Geredet wird recht wenig in DAS FINSTERE TAL, das lässt etliche Einstellungen noch langatmiger erscheinen, als sie es ohnehin bereits sind. Das ist in meinen Augen leider typisch für deutschsprachige Filme: dass sie eine übertriebene Langsamkeit geradezu zelebrieren, die allerdings bei einem Genrefilm nicht angebracht ist und den Spaß deutlich schmälert. Vielleicht meinten die Macher, das Langziehen der Szenen würde zu einem wie auch immer gearteten »Anspruch« führen, der scheinbar Ieider vorhanden sein muss, wenn ein Streifen aus hiesigen Landen stammt, egal ob Österreich oder Deutschland (erschwerend kommt hinzu, dass unter anderem das ZDF produziert hat; ich frage mich, wie der konservative Laden dazu gebracht werden konnte, gerade einen Rachewestern zu finanzieren — vielleicht hat man es ihnen als Heimatfilm untergeschoben). Dieses künstliche Verlängern, das schlecht Italo-Western-Dramaturgie zu kopieren versucht und stattdessen nur bleiern wirkt, hat mich nachhaltig genervt, hier wäre eine schnellere Inszenierung deutlich besser gewesen. Humor fehlt übrigens komplett, das geht aber in Ordnung, da Gags weder zum Thema Rachewestern noch zum Hintergrund gepasst hätten.
Glücklicherweise zieht DAS FINSTERE TAL deutlich an, wenn es dann »zur Sache geht«, es also zu dem Showdown kommt, zu dem es vorhersehbar kommen muss, aber selbst das wird noch durch unnötige Längen unterbrochen. Zumal man sich dramaturgisch ins Knie schießt (pun intended), indem plötzlich eine bis dato völlige Nebenfigur dem Hauptprotagonisten zur Seite springt — anstelle von Luzi, wie es in einem durchdachten und konsequent durchgezogenen Film der Fall gewesen wäre. Damit hätte man auch das eigentliche Thema der barbarischen Taten in diesem abgelegenen Dorf konterkariert und die weibliche Hauptfigur hätte sich emanzipieren können, statt mal wieder alles nur die Männer machen zu lassen, wie in grauer Vorzeit. Und es hätte einen Bogen zur Geschichte des zugereisten Fremden geschlagen. Dass man das versäumt hat, zeigt, dass Drehbuchautor und Regisseur das Genre eben doch nicht bis zuletzt durchdacht oder verstanden haben. Dass es nicht Luzi ist, die den entscheidenden Schuss abgibt, ist wirklich ärgerlich, unverständlich und macht einen nicht geringen Teil des vorangegangenen Storyaufbaus sinnlos.
„Ansonsten gibt Sam Riley die Rolle des mysteriösen Fremden durchaus überzeugend.“
Zu den Schauspielern ist kaum viel zu sagen, da das Spiel, das Agieren, die ganze Zeit eher minimalistisch ausfällt — ebenfalls typisch für viele deutschsprachige Filme. Man hat hier augenscheinlich auf das knorrige Aussehen der Dorfbewohner-Mimen gesetzt, das man vielleicht schon für ausreichend hielt. Wie ich andeutete: Es wird wenig gesprochen. Sam Riley als Greider geht in Ordnung, wenngleich er es für mich nicht geschafft hat, aus dem Charakter eine Sympathiefigur zu machen, das mag aber am Drehbuch gelegen haben — und war eventuell auch gar nicht beabsichtigt. Ansonsten gibt er die Rolle des mysteriösen Fremden durchaus überzeugend.
Hervorzuheben ist Paula Beer als Luzi, bei der das Skript jedoch die Möglichkeit verschenkt, der Figur mehr Raum zuzugestehen. Wäre das geschehen, hätte die Schauspielerin ihrer ohnehin sehenswerten Darstellung sicher noch Facetten hinzufügen können. Völlig schleierhaft ist mir allerdings, wofür Tobias Moretti beim Deutschen Filmpreis 2014 die Auszeichnung für die »Beste darstellerische Leistung – männliche Nebenrolle« bekommen hat. Ja, er ist ein guter Bösewicht, der auch rein vom Aussehen her bereits an Widersacher aus Italo-Western gemahnt, aber viel mehr habe ich in der Darstellung nicht gefunden. Ist ein dauerhaft finsterer Blick tatsächlich für einen Deutschen Filmpreis genug? Ernsthaft?
Schön die Musikauswahl, die zum einen auf einen klassischen, orchestralen Soundtrack zurückgreift, für Schlüsselmomente allerdings moderne Songs verwendet, was hervorragend passt und dadurch dann doch wieder ein wenig Nähe zu einschlägigen US-Produktionen herstellt. Mich hat die Verwendung moderner Musik an manchen Stellen überhaupt nicht gestört, ganz im Gegenteil, es handelt sich hierbei — clever eingesetzt– um einen gekonnten Kniff modernen Kinos.
„Abschließend bleibe ich gespalten zurück.“
Abschließend bleibe ich gespalten zurück. Ja, das ist der vermutlich beste deutschsprachige Genre-Film seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Ja, er hat seine Höhepunkte insbesondere, was die Kameraführung, Bildgestaltung und Szenenbild angeht. Dafür patzt er in einem deutlich zu konservativen und langweiligen Schnitt, der den gesamten Streifen runterzieht, weil er ihm genau wie die gesamte Inszenierung unnötige Längen verpasst. Und weil er im Teil vor der Auseinandersetzung viel in Sachen Figureninteraktion versäumt (das führt leider dazu, dass eine Charakterentwicklung nicht stattfindet). Der dramatische Showdown versöhnt dann wieder ein wenig, aber für mich bleibt DAS FINSTERE TAL hinter seinen Möglichkeiten als österreichisch-deutsche Hommage an Italo-Western weit zurück. Und auch wenn er der beste lokale Genre-Film seit Jahren, oder gar Jahrzehnten, ist, heißt das nicht, dass er sich mit internationalen Produktionen messen kann. Dafür ist er weder modern noch mutig genug. Ich zolle den Machern allerdings zumindest den Respekt, dass sie es mal versucht haben, vielleicht öffnet das ja den Weg für andere, ähnliche Projekte abseits der gähnend langweiligen Standardproduktionen aus hiesigen Landen.
Aber der Wunderfilm und das grandiose Genre-Ereignis, zu dem manche Journalisten und Feuilletons DAS FINSTERE TAL hochstilisieren wollen, ist er nun wahrlich nicht. Man könnte meinen, die waren noch nie im Kino. Ach ja: die Freigabe ab 12 ist angesichts der dargestellten Gewaltszenen völlig daneben — aber vielleicht wird alles, was Filmförderung erhält, gleich automatisch als anspruchsvoll und für Kinder tauglich angesehen. Könnte ja sein …
Besetzung: Sam Riley, Tobias Moretti, Clemens Schick, Paula Beer, Hans-Michael Rehberg, Florian Brückner, Erwin Steinhauer, Helmuth A. Häusler u.a.
Regie: Andreas Prochaska
Drehbuch: Martin Ambrosch und Andreas Prochaska, nach einem Roman von Thomas Willmann
Produzenten: Stefan Arndt, Helmut Grasser
Schnitt: Daniel Prochaska
Chef-Kameramann: Thomas Kiennast
Musik: Matthias Weber
Set-Dekorateur: Claus Rudolf Amler
Produktionsfirmen: X-Filme Creative Pool & Allegrofilm Produktion GmbH
Verleih: X Verleih
Laufzeit: 115 Minuten
Österreich/Deutschland 2014
Bildrechte: X Verleih AG