ALL IS LOST – Bundesstart 09.01.2014
Hundert Minuten einem einzigen Schauspieler dabei zu zusehen, wie er in stoischer Ruhe allen Widrigkeiten trotzt, sich mit Stürmen anlegt, und aus kaum einer Habe eine Überlebensstrategie entwickelt, dazu kann man dem Publikum nicht jeden Schauspieler zumuten. Für sein ambitioniertes Werk hat J.C. Candor Robert Redford gewinnen können. Und Robert Redford muss einfach nur da sein, und hat den Zuschauer schon auf seiner Seite. Das riskante an ALL IS LOST, ist die Abwesenheit von Emotion. Einmal, ja einmal, scheint „unser Mann“, wie er im Abspann genannt wird, die Nerven zu verlieren. Doch genauso schnell hat sich der Schiffbrüchige auch wieder gefangen, und wird weiter mit abgeklärtem Gesicht sein Überleben in die Hand nehmen. Es ist ein Schiffscontainer, der mitten auf dem Indischen Ozean ein Loch in die Segelyacht Virginia Jean schlägt. Ein Unfall, der eine Kette immer schlimmer werdender Unannehmlichkeiten nach sich zieht, die durchaus mit dem einsamen und tragischen Todes unseres Mannes enden könnte. Um so tragischer, weil der unbenannte Skipper auf jedes sich auftuende Problem auch eine Lösung findet. Je knapper die Ressourcen werden, desto findungsreicher wird er. Dadurch trotzt er dem sicheren Tod erstaunliche viele Tage ab, nur um am Ende zu erkennen, dass die von ihm unmenschlich anmutenden Anstrengungen umsonst gewesen sein könnten.
ALL IS LOST ist genauso gut Drama, und Thriller, Actionfilm, aber auch durch und durch kalkuliertes Arthouse-Kino. Es ist ein mutiger Schritt von J.C. Candor, nach seinem Achtungserfolg MARGIN CALL, der erste Film, der die Bankenkrise behandelte und einigermaßen verständlich machte, mit seinem Nachfolger filmisch einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Tatsächlich entzieht sich ALL IS LOST jeder üblichen Erzählstruktur, oder dramaturgischen Technik. Wir wissen nichts über „unseren Mann“, und wir werden ihn auch am Ende nicht besser kennen lernen. Was er tut, warum er allein auf dem Ozean ist, was in motiviert, oder ob er Familie hat. Es geht um das rein pragmatische Überleben. Bis auf zwei „Fuck“ und ein geflüstertes „Nein“, gibt es keinen Dialog. Nur am Anfang ein wenige Sätze umfassender Text, sehr kryptische Anzeichen von Reue und Schuldeingeständnis. Doch ist dieser scheinbare Abschiedsbrief tatsächlich an eine Familie, oder sind die Worte gar an sich selbst gerichtet? Auch hier wird uns Candor die Antwort schuldig bleiben. Der Film springt acht Tage zurück, als ein verlorener Container die Virginia Jean aufschlitzt. Es wird Situationen im Film geben, in denen die, welche für das Schicksal „unseres Mannes“ verantwortlich sind, ihm nicht helfen werden. Dieser Mann wird auf sich alleine gestellt bleiben.
Fast meditativ folgen die Bilder dem Tun des Skippers. Erstaunlich ist dabei die Schnitt- und Inszenierkunst in den einzelnen Szenen, wie der Zuschauer lediglich durch Blicke und handeln erfährt, was passiert ist und was „unser Mann“ schließlich dagegen tun wird. Dabei bleibt das Publikum niemals zurück, oder mit einer Überraschung konfrontiert, sondern es ist immer dabei. Und das ist unglaublich spannend. Welcher Regisseur und Drehbuchautor kann tatsächlich hundert Minuten füllen, ohne erklärende Dialoge. Robert Zemeckis hat ein ähnliches Überlebensdrama mit CAST AWAY geschaffen, das ungemein spannender und vielschichtiger wahr, aber dennoch ganz klar den geregelten Erzählmuster von Hollywood folgte. J.C. Candor verzichtet vollkommen auf Hollywood, und schuf einen Film, der sich kaum einordnen, aber auch nicht in gut und schlecht bewerten lässt. Mit der Ausnahme von Frank DeMarcos Kamerabildern, die eindringlich auf dem handeln „unseres Mannes“ ruhen, aber zu keinem Zeitpunkt die unendliche Weite dieser Einsamkeit verdeutlichen, in der sich der Skipper befindet. DeMarco verweigert dem Zuschauer jedes Gefühl für die Größe dieser Welt, in dem er den dahintreibenden Mann dieser Größe niemals gegenüber stellt. Das nimmt sehr viel von der emotionalen Bindung, die man trotz seines unbekannten Wesens, für den Überlebenskämpfer entwickelt.
Hundert Minuten einem Mann zuzusehen, wie er sich Dinge einfallen lässt, wie er kämpft, wie er rational jede Situation erfasst und angeht, das ist nicht einfach. Wir kennen „unseren Mann“ nicht, dafür schenkt uns J.C. Candor Robert Redford, eine emotionale Identifikationsfigur. Hier hat sich Candor der letzten Konsequenz verweigert, hätte er ein unbekanntes Gesicht für einen unbekannten Helden erwählt. Und auch wenn es gewiss nicht Redfords eindringlichstes Spiel ist, so hilft er doch, sich intensiver auf diese Geschichte einzulassen. Sicher ist nur, dass es ebenso viele Menschen geben wird, die diese Erzählung ablehnen, wie Zuschauer, die den Film begeistert aufnehmen werden. Sicher ist, dass J. C. Candor sehr mutig war, diesen Weg der Erzählung zu wählen. Und man wird ihm im Augen behalten müssen.
Darsteller: Robert Redford
Regie & Drehbuch: J. C. Candor
Kamera: Frank G. DeMarco
Unterwasseraufnahmen: Peter Zuccarini
Bildschnitt: Pete Beaudreau
Musik: Alex Ebert
Produktionsdesign: John P. Goldsmith
USA / 2013
zirka 106 Minuten