12 YEARS A SLAVE – Bundesstart 16.01.2014
„Ich will nicht überleben. Ich will leben.“
Man müsste glauben, schon alles über Sklaverei gesehen zu haben. LINCOLN hatte einiges zu sagen, und selbst DJANGO UNCHAINED konnte etwas beitragen, und das war erst in den letzten Jahren. Irgendwann muss ein Thema eigentlich durch sein, wenn es keine neuen Aspekte mehr zu beleuchten gibt. Doch diese dritte Langfilm-Arbeit von Regisseur Steve McQueen hat noch viele unbeleuchtete Aspekte. Es ist die wahre Geschichte von Solomon Northup, der mit Frau und zwei Kindern als freier Mann in Saratoga / New York lebt. Solomon ist Schwarzer mit ausgezeichneter Bildung, gut verdienender Musiker, und ein angesehenes Mitglied sogar in der weißen Gesellschaft. Es ist 1841, und die Northups führen ein wohlhabendes Leben. Bis Solomon von zwei Varieté-Künstler angeheuert wird, die er nach Washington für ein paar Auftritte begleiten soll. Doch Solomon reist noch viel weiter, nämlich nach Georgia, wo er als Sklave auf den Markt gebracht wird. Er weiß, dass ein Flucht unmöglich ist, und sollten Händler und Sklavenbesitzer herausfinden, dass Solomon lesen und schreiben kann, wird er schnell ein toter Sklave sein.
Gegen Ende des Films, als Solomon nicht mehr weiß, ob er aufgeben, oder die Hoffnung wahren soll, da bleibt die Kamera ganz lange auf dem Gesicht von Chiwetel Ejiofor. Langsam sieht er sich um, und sein Blick wandert direkt in die Kamera. Es ist eine sehr wagemutige Einstellung, die den Zuschauer herausfordert. Regisseur McQueen setzt nicht auf Emotionen, dafür führt er den Zuschauer direkt mit der Figur zusammen. Es ist sowieso erstaunlich, wie der Film sich gerade bei diesem Thema dagegen sträubt, mit den Gefühlen zu spielen. Sehr nüchtern, fast analytisch beobachtet Sean Bobbitt mit seiner Kamera das Leiden dieser starken Figur. Bobbitt hat mit McQueen schon HUNGER und SHAME gedreht, und zusammen einen kühl anmutenden Stil entwickelt, der auch bei 12 YEARS A SLAVE eine unangenehme Realität schafft. Für die Wirkung des Films, natürlich im positiven Sinne gemeint.
Doch das wirklich Besondere an der Umsetzung dieser Geschichte, ist der Charakter selbst. Chiwetel Ejiofor spielt diese Figur mit unglaublicher Intensität, aber doch mit dieser Spur notwendiger Zurückhaltung, die mehr die Geschichte in den Vordergrund rückt. So funktioniert 12 YEARS A SLAVE auf zwei Ebenen. Da ist zum einen Solomon Northup, ein Mann der sich nicht brechen lässt, der zu kultiviert und gebildet ist, als das er seine Situation nicht richtig einzuschätzen wüsste. Und zum anderen die Sklaverei mit ihren gesellschaftlichen Einflüssen. Auch wenn die Familie Northup im Norden des Landes anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sind, stört sich genau diese Gesellschaft nicht daran, dass im Süden Sklaverei vollkommen legitim ist. Anhand der Charakter von Benedict Cumberbatch und Brad Pitt, wird auch das Dilemma verdeutlich, unter welchem gesellschaftlichen Druck selbst gemäßigte Nutznießer der Sklaverei oder deren Gegner standen. Interessant ist auch, wie sehr ein als minderwertiger Mensch eingestufter Sklave durchaus respektiert wurde, wenn er als Eigentum eines anderen erkannt wurde. In einer aufwühlenden Szene, muss Solomon an einem Lynchmob vorbei, der gerade einen Schwarzen hängt. Ohne Repressalien lässt ihn der Mob einfach vorbei, als diese seinen Freigangschein sehen.
Ob Steve McQueen wirklich diesen wichtigen Film gemacht hat, dem man ihn nachzusagen gedenkt, ist allerdings fragwürdig. Es ist ohne Zweifel ein spannender, sehr einnehmender Film, der überzeugt. Und tatsächlich beleuchtet er das Schicksal von Sklaven und die einhergehenden gesellschaftlichen Verhältnisse weit vielschichtiger als Filme dieser Art es gewöhnlich tun. Aber letztendlich ist 12 YEARS A SLAVE eine sicherlich notwendige Aufarbeitung von historischem Interesse, ohne allerdings den heute noch vorhandenen Rassismus zu berühren. Und vom künstlerischem Standpunkt aus, könnte ein Bild auf das dunkle Kapitel der Sklaverei in der Vergangenheit, auch eine Reflexion über den aktuellen Zustand von Rassenproblemen sein. Denn wenn Amerika vorgibt, wie auch der Rest der Welt, die Rassenfrage längst im Griff zu haben, ist das nur ein Bild nach außen. 12 YEARS A SLAVE ist aber auch ein guter Anstoß zur Erinnerung, dass man sich nie wirklich ernsthaft und tiefergehend mit dem Thema Sklaverei auseinandergesetzt hat. Allerdings hätte er auch Denkzettel dafür sein können, dass gerade in Amerika die Rassenfrage noch lange nicht beendet ist.
Egal welchen gesellschaftlich relevanten Blick man auf 12 YEARS A SLAVE wirft, er ist trotz allem ein sehr wichtiger Blick. Und ein Blick, auf einen sehr herausragenden Charakter in Gestalt von Solomon Northup, die es einfach zu selten im Kino gibt. So intensiv wie Steve McQueen an das Thema geht, wird es lange keinen Film geben, der es versteht sich so vielschichtig und eindringlich mit diesem Thema auseinanderzusetzten. 12 YEARS A SLAVE ist ein einnehmender, sehr anspruchsvoller, dabei zurückgenommener Thriller, der genau sein Potenzial einzuschätzen versteht. McQueen weiß, wie er die emotionalen Daumenschrauben ansetzen muss, in dem er paradoxerweise immer etwas distanziert bleibt. Wenn Solomon einen ganzen Tag am Baum hängt, und sich selbst nur mit den Zehenspitzen vom strangulieren bewahrt, das Leben auf der Farm um ihn herum allerdings wie gewohnt weiter läuft, dann brennt sich das beim Zuschauer ein. Eines der vielen Bilder, die 12 YEARS A SLAVE außergewöhnlich und bedeutend machen.
Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch, Paul Dano, Garret Dillahunt, Paul Giamatti, Scoot McNairy, Lupita Nyong’o und Brad Pitt u.a.
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: James Ridley
Kamera: Sean Bobbitt
Bildschnitt: Joe Walker
Musik: Hans Zimmer
Produktionsdesign: Adam Stockhausen
USA / 2013
zirka 134 Minuten