Kopfkino: ZERO DARK THIRTY

ZERO DARK THIRTY – Bundesstart 31.01.2013

Die Vorproduktion war bereits in vollem Gange. Mark Boals Drehbuch behandelte eine fast zehnjährige Jagd, die als gescheitert erklärt werden sollte. Dann kam am 2. Mai 2011 die Nachricht, Osama Bin Laden sei von einer Spezialeinheit in Abbottabad, Pakistan getötet worden. Jetzt hatte Kathryn Bigelow sogar eine für Hollywood typische, in sich geschlossene Handlung. Boal musste sein Drehbuch komplett umschreiben, die Planungen wurden mühsam umgeworfen. Die für Hollywood typische, in sich geschlossene Handlung ist geblieben. Der Film selbst ist alles andere als Hollywood. Er ist eine erschreckend nüchterne Betrachtung diverser Stationen während der zehn Jahre, in der Bin Laden gejagt wurde.

Ihr Name ist Maya, könnte ein Deckname sein oder ihr Wirklicher. 2004 stößt sie zum CIA-Team, das versucht die Strukturen von al-Qaeda aufzudecken und ihrer Anführer habhaft zu werden. Maya ist zuerst angewidert und verstört, es folgt eine unbestimmte Euphorie, dann tritt nach und nach Ernüchterung ein, am Ende ist Mayas Jagd nach Bin Laden nur noch Nebenbeschäftigung in der von ihr besetzten Außenstelle von Pakistan. Bis entscheidende Hinweise eingehen. Es wird für Maya eine peinigende Bewährungsprobe, und für die Regierung der Vereinigten Staaten ein Tag, an dem alles aufs Spiel gesetzt wird. Denn würde sich der Angriff auf den festungsgleichen Komplex als Fehlschlag erweisen, wären die Beziehungen der U.S.A. zu Pakistan in ein Nichts zerfallen. Und der einzige Mensch, der Osama Bin Laden zur Strecke bringen konnte, wäre arbeitslos geworden.

Kathryn Bigelow hat mit HURT LOCKER einen der wichtigsten Kriegsfilme im aktuellen Kino, für die jetzige Generation gemacht. Sie tat gut daran, diesen Stil weiter zu verfolgen. Buch und Inszenierung sind frei von jeder Stellungnahme. Eine Geschichte ist kaum vorhanden. Die lose Abfolge von Mayas Untersuchungen und deren kaum gedeihenden Fortschritten werden immer wieder von al-Qaeda-Attentaten unterbrochen, die zeigen, dass das Netzwerk weiterhin funktioniert. Was den Film unsinnigerweise vorgeworfen wird, ist seine eigentliche Stärke. Ständig wird der Zuschauer gefordert sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Publikum muss sich mit dem Film, oder vielmehr mit den Verfahrensweisen während der Menschenjagd, auseinandersetzen. Keineswegs legitimiert der Film die sogenannten „erweiterten Verhörtechniken“. Aber er zeigt sie, und er zeigt sie in aller Deutlichkeit. Dabei ist es weniger die blutige Brutalität der Szenen, als die demütigenden Erniedrigungen von Menschen. An vielen Stellen wird sogar ziemlich klar, dass die wenigsten Folterungen zu einem Ergebnis führen.

Warum die Kontroverse ausgerechnet auf Bigelow und Boal abgewälzt wird, die Folter in einem Film zeigen, der die Geschichte von Folter erzählt, und sich nicht davon distanzieren, ist unbegreiflich. Selbst die CIA schoss sich auf die Filmemacher ein, der Film sei reine Dramatisierung der Ereignisse und habe mit der tatsächlichen Geschichte nichts zu tun. Das die wirkliche CIA „erweiterte Verhörtechniken“ gerade auf der Jagd nach Bin Laden einsetzte, und wahrscheinlich noch heute in anderen Zusammenhängen tut, wird nirgendwo zur Debatte gestellt. Aber genau das behandelt der Film. Nach den Vorfällen im Gefängnis Abu Ghuraib zieht sich die amerikanische Regierung unsicher zurück, Folterungen sollen kein öffentliches Thema mehr werden. Maya sagt während dieser Entwicklung einmal, wie viel schneller es doch gehen würde, wenn man wieder unbedarft arbeiten könnte. Das Osama Bin Laden am Ende in Abbottabad ausfindig gemacht wird, ist kein durch Folter erbrachter Erfolg.

Die Kritik an Folter ist im Film allein durch die Handlung gegeben. Absurd, einem Film vorzuwerfen, er würde Folter legitimieren, nur weil er sich thematisch nicht davon distanziert. Eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit von dieser historischen Tragweite, wäre tatsächlich verzerrt, hätte das Drehbuch die Abläufe nach Hollywood-Standards ausgerichtet, oder die Inszenierung mit moralischen Werten angereichert wäre. Maya spricht nie davon, Bin Laden dingfest zu machen, sondern sie will ihn wortwörtlich töten. Nach ergebnislosen Jahren schreit auch ein CIA-Oberster sein Team an, sie sollen ihm endlich jemanden zum töten bringen. ZERO DARK THIRTY ist Kino das zum Mitdenken und einer eigenen Meinung zwingt. Für den es zu viel wird, ist es scheinbar einfacher die Verantwortung abzutreten, oder eben gleich zu dementieren.

ZERO DARK THIRTY ist ein sehr packender, intensiver Thriller, der auch ohne ausgeklügelte Handlungsstränge funktioniert, weil sein realer Hintergrund genug Spannungsmaterial darstellt. Auch wenn der Film den Eindruck einer großartig, eindringlichen One-Woman-Show von Jessica Chastain erweckt, ist die Ensemble-Leistung nicht zu unterschätzen. Allen voran Jason Clarke als Verhörspezialist Dan, dem die Arbeit mit „erweiterten Techniken“ zu viel wird. Greig Frasers Kamera zeichnet einen sehr authentischen, fast dokumentarischen Look. Dass er dabei die wirklich typischen, selbstzerstörerischen Attribute von Schulterkamera soweit umgeht, das sie weder störend noch aufdringlich wirken, ist eine willkommene Wohltat.

Auf der einen Seite steht also ein technisch und künstlerisch tadelloser Film. Und dann gibt es die Kontroverse. Wäre die Diskussion in die richtigen Bahnen gelenkt worden, hätte ZERO DARK THIRTY einen wichtigen Beitrag zu den Traumata des elften September leisten können. So haben sich Wichtigtuer, Gutmenschen und Lobbyisten schnell selbst ins Rampenlicht gesetzt, anstatt Wirklichkeit gegen filmischen Denkanstoß abzuwägen. Niemand zweifelt an den Praktiken und der Richtigkeit der Methoden des CIA, es wird sogar als selbstverständlich akzeptiert. Dass man wegen dieser Dinge ausgerechnet einen Film in die Verantwortung nimmt, zeigt, wie dringlich die Debatte ist und wie wichtig der Film selbst. Somit hat Kathryn Bigelow die zwei wichtigsten Kriegsfilme im aktuellen Kino, für die jetzige Generation gemacht.

Darsteller: Jessica Chastain, Jason Clarke, Joel Edgerton, Jennifer Ehle, Mark Strong, Edgar Ramirez, James Gandolfini, Chris Pratt u.a.
Regie: Kathryn Bigelow
Drehbuch: Mark Boal
Kamera: Greig Fraser
Bildschnitt: Dylan Tichenor, William Goldenberg
Musik: Alexandre Desplat
Produktionsdesign: Jeremy Hindle
USA / 2012
zirka 157 Minuten

Bildquelle: Columbia Pictures / Universal Pictures International
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