PAIN & GAIN – Bundesstart 22.08.2013
Ohne Fleiß, kein Preis. Die eigentlich korrekte Übersetzung des Originaltitels, trifft eher Michael Bays Bemühungen, tatsächlich eine wahre Geschichte erzählen zu wollen. Zuerst scheint PAIN & GAIN eine dieser realitätsfremden Unterhaltungsphantasien zu sein, mit denen Bay ein erwartungsvolles Publikum mit der verführerischen Kunst moderner Stilmittel zu überwältigen versteht. Übermenschliche Helden, aufreizende Frauen, skrupellose Gangster, viel Neonfarben, und jede Menge Kamera-Spielereien. Das Erfolgsrezept von Michael Bay. Nur, dass er diesmal mit verdrehten Rollenklischees arbeiten musste. Denn die Skrupellosen sind dieses mal die Helden, und das Übermenschliche geht aus dem mutmaßlichen Gangster hervor. Einfach hat es sich Michael Bay in seinen Filmen mit den Figuren nie gemacht. Sie waren immer grenzwertige Charaktere, irgendwo zwischen Gut und Böse, aber stets ehrenwert. Menschen die einem Comic ähnlichen Universum entsprungen zu sein schienen. Doch hier hat sich Michael Bay einer besonderen Herausforderung gestellt, weil PAIN & GAIN einer wahren Begebenheit zugrunde liegt. Und wer nun glaubt, dass Christopher Markus und Stephen McFeely ihr Drehbuch zugunsten des Popcorn-Kinos sehr freizügig gestalten haben, der irrt gewaltig. Dies ist eine wahre Geschichte, und der Mann, der Bruce Willis auf einen Asteroiden geschickt hat, und gigantische Autobots auf die Welt losließ, hat diese wahre Geschichte erstaunlich nah an der Realität inszeniert.
Schmerz und Ausbeute, Pain & Gain. Das ist Daniel Lugos Blick auf die Welt. Nur in einem perfekten Körper kann das Leben lebenswert sein. Dicke Menschen verachtet er, weil sie ihren Körper nicht respektieren. Mehr als 5% Körperfett, und schon läuft die Welt aus dem Ruder. Daniel Lugo ist aber auch Teil des lebenden Organismus der sich Amerika nennt. Er versteht sich als der Muskel, der die Fettzellen verbrennen lassen will. Warum also, soll er am Rande des Existenzminimums leben, wenn andere zu viel von allem haben? Zu Daniel Lugos Verständnis gehört es, dass man sich nimmt, was man nicht von selbst bekommt. Der Körper muss hart trainiert, und ausgewogen ernährt werden. So versteht Lugo sich selbst, und seinen Blick auf Amerika.
Als Trainer hat Daniel Lugo die heruntergekommene Body-Builder-Bude Sun Gym zu einem florierenden Geschäft gemacht. Die Schönen und Reichen haben sich eingefunden, die ihren Trainer Lugo als Kumpel ansehen, aber nicht wirklich als einen von Ihnen. Seinem Kollegen Adrian Doorbal geht es nicht anders, Erfolg im Job bedeutet noch lange nicht den finanziellen Segen, den man im wirklichen Leben bräuchte. Als noch der abgebrannte aber extrem durchtrainierte Paul Doyle im Studio auftaucht, scheint sich ein perfektes Trio gefunden zu haben. Sie entführen den Geschäftsmann Victor Kershaw, ein Kunde des Studios, der Lugo viele private Dinge anvertraut hat, und selbst nicht immer den Weg des Gerechten ging. Die Entführer wollen Kershaw dazu bringen, ihnen nach und nach Besitz und Konten zu überschreiben. Aber der Kolumbianer Kershaw ist extra aus seinem Land abgehauen, um solchen Dingen wie Entführung und Erpressung zu entgehen und verweigert schon aus Prinzip jede Art von Kooperation. So bleibt dem Trio nur ein Ausweg, den Daniel Lugo scheinbar sehr gerne geht, exzessive Folter um das Ziel von Glück und Reichtum zu erreichen.
Es gab selbstverständlich einen Aufschrei der Entrüstung, als ausgerechnet Michael Bay die Geschichte dieser im Grunde kranken Gangster verfilmte. Man dürfe aus grausamen, rücksichtslosen Menschen, die ohne Skrupel folterten und mordeten, keine sympathischen Hollywood-Loser machen, lautete der Vorwurf. Soweit waren die Argumente durchaus angebracht. Aber Michael Bay ist ein überaus schwieriger Spagat gelungen, indem er Lugo und seine Bande anfangs zwar als liebenswerte Verlierer einführt, sie aber sehr schnell als die manischen Idioten darstellt, die sie in Wirklichkeit auch waren. Natürlich kommt man bei einer Produktion dieser Art nicht umhin, den Hauptdarstellern gewisse Sympathiewerte zuzugestehen, dafür hat das Drehbuch ihnen ein nicht minder rücksichts- und skrupelloses Opfer entgegengestellt, das Tony Shaloub mit grandioser Spielfreude erfüllt. Doch Wahlberg, Johnson und Mackie bleiben mit ihren Rollen keineswegs zurück, wenn sie gleichzeitig rücksichtslose Gangster und überforderte Trottel verkörpern. In der überdrehten Geschichte bleiben sie dennoch authentisch. Es dürfte sogar Dwayne Johnsons bisher tiefgründigste Darstellung in seiner Karriere sein. Und dann darf man natürlich die körperlichen Attribute für diese Figuren nicht vergessen, die Wahlberg und Mackie, Johnson schon von Haus auf, mit eisernem Training vor den Dreharbeiten ausbauten, um ihre Charaktere mit der notwendigen, physischen Identifikation zu unterstützen.
Aber es bleibt ein Film von Michael Bay ohne Kompromisse. Übersättigte Farben, Bilder extremer Entschleunigung, ausgeprägte Kameraperspektiven. In Optik und Ästhetik könnte PAIN & GAIN fast BAD BOYS 3 sein, nur mit vertauschten Rollenklischees. Ein kraftvoller Thriller, dem es nicht an schwarzhumorigen Sequenzen mangelt, eingepackt in Bays visuellen Markenzeichen. Da kann es schnell passieren, dass die Ereignisse auf der Leinwand als überspitzte Farce missverstanden werden. Tatsächlich gibt sich der Film in manchen Teilen als Farce, aber das ist weniger überspitzt, als man annehmen möchte. Mitten im Film, während einer absurden Verfolgungsjagd erscheint plötzlich auf der Leinwand der Untertitel: „Noch immer nach einer wahren Begebenheit“. Und das ist keineswegs übertrieben. Wer Pete Collins‘ Artikel PAIN & GAIN auf der Hompage von ‚Miami New Times‘ nachließt, der wird sich wundern, wie sehr sich Markus und Freely im tieferen Sinne eines glaubwürdigeren Drehbuchs zurückgenommen haben. So misslingt die Entführung von Victor Kershaw im Film in drei slapstick-artigen, aber exzellent umgesetzten Sequenzen, bevor die Lugo-Bande seiner beim vierten Versuch habhaft wird. In Wirklichkeit benötigten die vermeintlichen Entführer ganze acht stümperhafte Anläufe. Markus und Freely dünnten weite Teile der Geschichte aus, führten verschiedene Charaktere zu einer Figur zusammen, und nahmen nur die notwendigsten dramaturgischen Veränderungen vor. Lediglich die Namen von drei Personen der wahren Ereignisse wurden für das Drehbuch übernommen. Doch die Geschichte selbst blieb in ihren Grundzügen bis zu ihrem bitteren Ende erhalten.
Ausgerechnet Michael Bay, Meister der Überspitzung, Schöpfer überbordeder Phantasien, hat einen der ganz wenigen Filme geschaffen, bei dem die Schlagzeile einer wahren Geschichte, tatsächlich die wahre Geschichte wiedergibt. Ohne das der Regisseur auf seine vom Publikum geschätzten Eskapaden verzichten musste. Im Gegenteil, es tut dem Film merklich gut, dass ausgerechnet diese wahre Begebenheit in diesem extrovertierten Stil von Tempo, Farben und Kameraperspektiven umgesetzt wurde. Es gibt dem ernsten Hintergrund der Ereignisse, den unbedingt notwendigen Charakter von absurder Anmut. Das dabei ein exzellenter Thriller mit Action-Einfluss herausgekommen ist, der hervorragend unterhält, ist nicht nur einem tadellosen Drehbuch zu verdanken. Es sind Michael Bays Bemühungen eine wahre Geschichte erzählen zu wollen, ohne sich selbst zurück nehmen zu müssen. Diese besondere Herausforderung hat er zum Gefallen seines Publikums fantastisch bewältigt. Ohne Fleiß eben kein Preis.
Darsteller: Mark Wahlberg, Dwayne Johnson, Anthony Mackie, Tony Shaloub, Ed Harris, Rob Corddry, Bar Paly, Rebel Wilson, Emily Rutherfurd, Ken Jeong u.a.
Regie: Michael Bay
Drehbuch: Christopher Markus, Stephen McFeely, nach dem Artikel von Pete Collins
Kamera: Ben Sresin
Bildschnitt: Tom Muldoon, Joel Negro
Produktiosdesign: Jeffrey Beecroft
USA / 2013
zirka 129 Minuten