ONLY GOD FORGIVES

ONLY GOD FORGIVES – Bundesstart 18.07.2013

only-god-forgives-03, Copyright Radius TWC / Tiberius Film

ONLY GOD FORGIVES ist eine Offenbarung. Er bebildert die Geschichte von Julian, einen nach Bangkok geflüchteten Drogenschmuggler, der zur Tarnung einen Muay-Thai-Club betreibt. Julians Bruder Billy wurde ermordet und Mutter Crystal ist aus Amerika angereist, um von Julian Rache einzufordern. Doch die Sache ist nicht so einfach, denn die ganze Angelegenheit ist eine Spirale von Schuld und Vergeltung, die immer brutalere Züge annimmt. Und an graphischen Details spart Regisseur Nicolas Winding Refn wahrlich nicht.

Aber ONLY GOD FORGIVES ist eine Offenbarung, weil er wirklich ganz anders ist, als man erwarten würde, oder sogar zu erwarten hoffte. Wenn ein Regisseur nach einem von Kritik und Publikum hochgelobten Erfolg mit DRIVE einen Film wie ONLY GOD FORGIVES macht, dann zeugt das nur von der Integrität des Regisseurs. Den Wenigstens dürfte gefallen, was sie dabei erleben. Und nur wenige werden sich fallen lassen können, in diesen hypnotische Alptraum von Gewalt, aber auch menschlicher Schwäche und Sehnsucht. Julian zögert dem Verlangen seiner herrischen Mutter nachzukommen, denn Billy hat sein Leben verloren, weil er zuvor selbst eine fünfzehnjährige Prostituierte abgeschlachtet hatte.

Der Film ist langsam, sehr langsam. Wer erwartet, er darf einen Rachefeldzug mit Thriller-Zügen sehen, der irrt gewaltig. Jede Einstellung ist durch und durch gestylt, Szenen wie Gemälde inszeniert. Manchmal verharren die Figuren für Sekunden, Dialoge sind sowieso auf wirklich das Notwendigste reduziert. Die Geschichte erzählt sich aus den oftmals quälend langen Sequenzen, allerdings nur wenn man bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen. Farben werden von Kameramann Larry Smith exzessiv eingesetzt, ganze Passagen werden in düsteres Rot oder unheilvolles Orange getaucht, oftmals ohne Referenzlicht, was die Stimmung noch unangenehmer werden lässt. Doch mit Chang, dem Racheengel auf Polizeiseite, werden die Bilder auch lebendig bunt und versprühen den grellen Neon-Charme eines Klischee behafteten Bangkok.

Immer wieder springen die Szenen, wirken aus dem Kontext gerissen. Winding Refn verstört absichtlich, in dem er den Zuschauer aufzwingt, Fragen zu stellen, und sich diese selbst zu beantworten. Wie ist die wahre Beziehung von Julian zu seiner dominanten Mutter? Wer ist dieser Julian überhaupt, der nur die coole Hülle des coolen Ryan Gosling hat, aber in seinem Inneren zerrissen scheint von Schmerz und unerfüllter Zuneigung. Gosling demontiert hier sein mit seinen letzten zwei Filmen aufgebautes Image des schweigsamen Helden, der allen Situationen gewachsen ist. Julian ist weder Held, noch Verlierer. Er taugt im Grunde überhaupt nicht für diese Welt aus Kriminalität und Gewalt. Selbst in seinen Sex-Fantasien bleibt er ein Träumer, ein schüchterner Pubertierender. Ihm steht Chang als kalter, berechnender Rächer gegenüber, der mit seinem Schwert stets das spirituelle Gleichgewicht bei Verbrechen wiederherstellt. Vithaya Pansringarm spielt diesen Chang mit einer stoischen Gelassenheit, die zuweilen stark übertrieben wirkt, und dennoch aus Chang einen der eindrucksvollsten Charaktere im aktuellen Kino macht. Für ihn darf kein Verbrechen ungestraft bleiben, nur Gott vergibt. Es ist etwas metaphysisches, wenn Chang in seiner gnadenlosen Konsequenz die Verbrechen gegeneinander aufwiegt und sühnt.

Nicolas Winding Refn wird viele Zuschauer verstören, und noch mehr vor den Kopf stoßen. In Cannes durfte er genauso viele Buh- wie Bravo-Rufe entgegennehmen. Wenn er sich dadurch nicht irritieren lässt, beweist er sich als radikaler Visionär, von dem noch viele Überraschungen zu erwarten sind. Und dies ist eben die Offenbarung in ONLY GODD FORGIVES. Nach DRIVE standen ihm alle Türen offen. Nach ONLY GOD FORGIVES kann man förmlich hören, wie diese wieder zugeschlagen werden. Leicht verdaulich ist es wahrlich nicht. Zuweilen anstrengend, manchmal konfus. Aber wenn man wirklich gewillt ist, diese Figuren zu hinterfragen, dann kann man auch ein ganz spektakuläres Filmerlebnis genießen, wenn man dies in Angesicht der exzessiven Gewalt so ausdrücken darf. Wirklich nicht jedermanns Sache, und bei Zweifel eher abzuraten. Aber irgendwie bleibt es doch ein faszinierendes Experiment.

only-god-forgives-02, Copyright Radius TWC / Tiberius Film

Darsteller: Ryan Gosling, Vithaya Pansringarm, Kristin Scott Thomas, Gordon Brown, Yayaying Rhatha Phongam, Tom Burke, Sahajak Boonthanakit, Pitchawat Petchayahon,  Charlie Ruedpokanon u.a.
Drehbuch & Regie: Nicolas Winding Refn
Kamera: Larry Smith
Bildschnitt: Matthew Newman
Musik: Cliff Martinez
Produktionsdesign: Beth Mickle
Frankreich – Thailand – Schweden – USA / 2013
zirka 90 Minuten

Bildquelle: Radius TWC / Tiberius Film
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