GET THE GRINGO – Bundesstart 28.02.2013
Gute Rollen sind für Mel Gibson nicht schwer zu finden. Hingegen ein gutes Publikum zu finden, das Mel Gibson sehen möchte, ist kaum noch möglich. Kein anderer Superstar der Traumfabrik hat sich in jüngster Zeit selbst so brutal aus dem Orbit geschossen, wie der Überheld des Buddy-Films. DER BIEBER hat Gibson als ernsthaften Mimen erneut bestätigt, und bei GET THE GRINGO hat er seinen Charme als liebenswert verschmitzter Halunke nicht verlernt. Aber davor, dazwischen und danach war dann eben doch zu viel Alkohol, Gewalt gegen Frauen und Antisemitismus. Irgendwo auf dieser Strecke wäre er noch entschuldigt gewesen, aber die eine oder andere Fahrzeugkontrolle war dann doch zu viel.
Während Tom Cruise’ Verbindung zu Scientology nur in Deutschland für Aufsehen sorgt und Harrison Ford ganz langsam über die Jahre durch die sinkende Qualität seiner Filme ins Abseits gerutscht ist, hat der Schmied seines eigenen Glücks Gibson mit einem Schlag seine Karriere beendet. Nicht mit schlechten Filmen und erst recht nicht mit schlechter Leistung. Sein Rauswurf bei HANGOVER 2 wegen Bedenkens des Teams wird zwar nach wie vor dementiert, der Zeitpunkt lässt allerdings kaum Raum für Spekulationen. Weil aber Gibson es immer noch drauf hat und die Lust zum Spiel nach wie vor brennt, macht er eben alles selbst. Er schreibt die Geschichte, produziert und besetzt sich selbst in der Hauptrolle. Und weil der Gringo seine Situation vielleicht doch richtig einschätzt, verzichtet er in vielen Ländern gleich auf eine Kinoauswertung.
In Deutschland hat der geneigte Zuschauer das Glück, GET THE GRINGO im Kino zu sehen. Das Glück dreht sich dabei nicht um die tadellos umgesetzten Actionszenen, sondern um den wirklichen Hauptdarsteller des Films. „El Pueblito“ war ein bis ins Jahr 2002 geöffnetes Gefängnis. Und wer als aufgeklärter Europäer „El Pueblito“ das erste Mal auf der Leinwand bewundern darf, der könnte in Versuchung geraten, dem Drehbuch und dem Produktionsdesign sehr anstößige und verletzende Worte an den Kopf zu werfen. Aber „El Pueblito“ hat es tatsächlich in dieser Form, mit diesen Auswüchsen gegeben. Es war ein Experiment, das für 2.000 Gefangene konzipiert war, welche die Möglichkeit hatten, mit ihren Familien innerhalb der Mauern ihre Haft abzusitzen. Es geriet außer Kontrolle und wäre auch beinahe nicht zu stoppen gewesen. Am Ende bevölkerten 6.000 männliche Gefangene die Institution, und fast vierhundert Frauen und Kinder tummelten sich vor Ort. Es gab Imbissbuden, ein Kasino, Tattoo-Shops und Waffen, wer es sich leisten konnte, sowie einen freien Drogenhandel. „El Pueblito“ musste mit einem riesigen Aufgebot an Polizei und Militär geräumt werden, die Gefangenen wurden anschließend in normale Gefängnisse verlegt.
Der namenlose Gringo entkommt mit vier Millionen Dollar bei einer Verfolgungsjagd den amerikanischen Gesetzeshütern, indem er einfach den Grenzwall nach Mexiko durchbricht. Die mexikanischen Grenzbeamten würden den unliebsamen Gast gerne auf dem kleinen Dienstweg zurückgeben, entdecken dabei allerdings die Taschen mit den vielen Dollars. Damit sollte er dann doch lieber ein mexikanisches Problem bleiben. Das Geld verschwindet irgendwie auf mysteriösen Wegen, und der Grenzgänger wird nach „El Pueblito“ abgeschoben. Sich in dieser Welt zurechtzufinden ist für den Gringo anfangs schwer, aber er erhält unerwartet Hilfe eines zehnjährigen Kindes, welches ebenso ohne Namen bleiben wird. Es kristallisiert sich schnell heraus, dass das Kind einen sehr persönlichen Grund hat, dem Gringo zu helfen. Denn dieser Mann riecht förmlich nach Ärger, einer, der die Systeme durchschaut, sie zu umgehen versteht. Selbst ein System, wie es sich in “El Pueblito” etabliert hat.
Die Action-Szenen variieren in ihrer Inszenierung. Von herkömmlichen Standards bis hin zu grandiosen Choreografien reichen die explosiven und rasanten Sequenzen. Der Belgier Benoit Debie entschied sich bei seiner Bildgestaltung für überzeichnete Farben und Kontraste, was einen modernen Eindruck erweckt, allerdings sehr erzwungen wirkt. So modern hätte sich der Film gar nicht geben müssen, eine etwas konservativere Umsetzung wäre ihm zuträglicher gewesen und hätte ihn ehrlicher gemacht. Aber das macht GRINGO keineswegs zu einem missglückten Film, ganz im Gegenteil. Nach wie vor ist er ein sehenswerter Streifen, der mit seinem ungewöhnlichen (aber realen) Setting überzeugt und seinem Hauptdarsteller reichlich Gelegenheit gibt, das auszuspielen, was man bei einem Charakter wie dem Gringo sehen möchte. Seine ironisierte Off-Voice-Stimme verrät uns, wie er die Dinge und Situationen erfasst und kategorisiert, seine durchtriebenen Handlungen machen ihn zu einem unberechenbaren Teufelskerl. Das ist dieser liebenswürdige Bösewicht, für den man stimmt.
GET THE GRINGO ist wirklich nicht die Neuerfindung des Action-Kinos. Mel Gibson selbst hat schon wesentlich bessere Filme angeführt. Gerade beim Showdown gerät der Film in ein Fahrwasser, das dem vorangegangenen Handlungsablauf nicht sehr gut tut. Was immer es zu bemängeln gibt, wird dadurch wettgemacht, dass GET THE GRINGO wesentlich mehr zu bieten hat, als man zuerst annehmen möchte. Kein tadelloses, aber grundsolides Actionkino mit einem perfekt aufgelegten Mel Gibson. Hätte er sein Fluchen nur auf seine Filme beschränkt.
Darsteller: Mel Gibson, Daniel Gimenez Cacho, Jesus Ochoa, Roberto Sosa, Dolores Heredia, Kevin Hernandez, Fernando Becerril, Peter Stormare u.a.
Regie: Adrian Grunberg
Drehbuch: Adrian Grunberg, Mel Gibson, Stacy Perskie
Kamera: Benoit Debie
Bildschnitt: Steven Rosenblum
Musik: Antonio Pinto
Produktionsdesign: Bernardo Trujillo
USA / 2012
zirka 96 Minuten