BLACKFISCH – Bundesstart 07.11.2013
Anders als Gabriela Cowperthwaite in ihrer Dokumentation BLACKFISH von ihren Interviewpartnern äußern lässt, gibt es sehr wohl registrierte Angriffe von freilebenden Schwertwalen auf Menschen. Es ist eine sehr überschaubare Anzahl von Attacken, die alle glimpflich abliefen, und keine endete tödlich. Hingegen gibt es vier tote Menschen, die durch Orcas ums Leben kamen, die in Gefangenschaft leben. In drei dieser Fälle war der Bulle Tilikum involviert. Tilikum wurde 1983 im Alter von zwei Jahren vor Island gefangen, und ist mit über 5 Tonnen und knapp 7 Meter Länge der größte Orca in Gefangenschaft.
Gabriela Cowperthwaite hat einen leidenschaftlichen Blick auf die Folgen von Wildtieren in Gefangenschaft geworfen. Es ist ein sehr einseitiger Blick, etwas, das man in einer Dokumentation eigentlich vermeiden sollte. Hingegen hat das Management der im Film angegriffene SeaWorld-Themenparks jede Mitwirkung oder Interviews abgelehnt. Dieser leidenschaftliche Blick kommentiert sich nur mit den Worten ehemaliger Tiertrainer, Walfänger und Familienangehörigen betroffener Opfer. Und mit zahllosen, teilweise schockierenden Aufnahmen von selbst gefilmten Videos oder Überwachungskameras. BLACKFISH funktioniert wie ein verschachtelter Thriller, der mit dem Tod der erfahrenen Trainerin Dawn Brancheau eine zu erwartende, aber nervenzerreißende Auflösung findet.
BLACKFISH beginnt im Jahre 2010 mit einer Aufzeichnung eines Polizei-Notrufes, in dem ein aufgelöster Mann meldet, dass eine Frau von einem Schwertwal gefressen wurde. Später wird es von Seiten SeaWorlds heißen, die Trainerin habe sich unprofessionell verhalten und mit ihrem blonden Pferdeschwanz Tilikum irritiert, welchen das Tier für ein Spielzeug hielt, und deshalb die Frau unter Wasser zog. Cowperthwaite und ihr Cutter Eli B. Depres kontern diese Aussage mit etlichen Amateuraufnahmen, wo Trainerinnen bei der Arbeit mit blondem Pferdeschwanz zu sehen sind. Der Film soll entlarven, und manipuliert mit sehr viel Geschick. Wenn SeaWorld schon jede Kooperation verweigert, dann wollte Cowperthwaite wenigstens subjektive Stimme der Tiere sein. Keine Rücksicht, keine Diskussion. Dies ist die Geschichte von Tilikum und seinen Leidensgenossen. Und das diese Geschichte so nüchtern und kompromisslos einseitig erzählt wird, macht sie extrem emotional. Dieses eigentliche „no go“ für Dokumentationen, macht den Film zum Anwalt der geschundenen Kreaturen. Denn auch wenn Tilikum in aggressiver Absicht diese drei Menschen getötet hat, dann bleibt er dennoch Opfer seiner Lebensumstände. Während ein Biologe erklärt, das es seit Jahrzehnten bekannt ist, dass Orcas in freier Wildbahn 80 bis 100 Jahre alt werden können, zeigt eine Kollage von diversen Mitarbeitern verschiedener Meeresparks, die unisono den interessierten Besucher vermitteln, dass Schwertwale in Gefangenschaft 30 bis 35 Jahre alt werden können, also älter als in freier Natur.
BLACKFISH, der Name den die Ureinwohner dem Orca gaben, weil sie um seines Mystizismus wussten, ist aber bei weitem mehr als nur ein ideologisches Greenpeace-Pamphlet. Er funktioniert über seine perfekt strukturierte Erzählform. Neben Tilikums Lebensweg, ergeben sich viele bisher unbekannte Fakten für den unbedarften Zuschauer. So verstehen sich nur Orcas durch ihren DNS-Strang aus dem selben Familienstammbaum als Artgenossen, während zwei Exemplare aus unterschiedlichen Familien kaum eine Beziehung zueinander finden. Und in Vergnügungsparks werden kaum Schwertwale der selben Familie zusammengeführt, aggressives Verhalten unter den Tieren ist dadurch unumgänglich. Ein cleverer Schachzug Cowperthwaites ist den Konflikt tatsächlich nur auf Tilikum, SeaWorld und seine ehemaligen Trainer herunter zu brechen. Die moralischen Kontroverse auf alle Institutionen von Meeresparks auszuweiten, hätte die Filmemacherin in Bedrängnis bringen können, während explizit SeaWorld die tatsächlichen Abläufe zu verschleiern versuchte. Das war es auch, was Gabriela Cowperthwaite auf die Thematik aufmerksam machte. Blonder Pferdeschwanz, ein verhaltensauffälliger Wal, eine der erfahrensten Orca-Trainerinnen im Geschäft.
Die zu Wort kommenden Trainer, sind ausnahmslos ehemalige Mitarbeiter von SeaWorld, die sich erst später ihrer Blauäugigkeit bewusst wurden, und sich schnell eingestehen mussten, welchen Fehler sie begangen hatten, die Haltung und das Training der Wale zu unterstützen. In den Aussagen erfährt man auch, dass die Mitarbeiter von vorangegangenen Zwischenfällen nie erfuhren. So arbeiteten Trainer mit einem auffälligen Wal im selben Becken, ohne über seine tatsächliche Psyche informiert worden zu sein. Sogar der Jäger, der für Tilikums Gefangennahme verantwortlich war, muss unter Tränen eingestehen, wie falsch er lag, und wieviel er damals über das soziale Verhalten von Orcas lernte, was ihn seine Taten umgehend bereuen ließ. Die gejagte Orca-Familie flüchtet nicht, als Tilikum den Walfängern in die Hände fällt. Sie bleiben direkt am Boot und schreien nach ihrem Familienmitglied. Das die Momente von Tilikums Gefangennahme auch noch bildlich dokumentiert sind, rechtfertigen die rein auf Emotionen ausgelegten Statements der Protagonisten.
Die wirkungsvollsten Instrumente in Gabriela Cowperthwaits Dokumentation sind allerdings die zahlreichen Aufnahmen von Überwachungskameras und Amateurvideos. Spannender und aufregender, aber auch erschütternder als jeder inszenierter Thriller, oder alle Effekte-Abenteuer sind die dokumentierten Aufnahmen eines Fehlverhaltens seitens eines Orcas, der seinen Trainer immer und immer wieder für mehr als eine Minute zum metertiefen Beckenboden zieht, und erst im letzten Moment auftauchen lässt. Der erfahrene Trainer weiß, wie man nur allzu deutlich im Video sehen kann, dass dies seine letzten Minuten auf Erden sein könnten. Im letzten Moment gelingt es dem Trainer, dass der Orca seine Bein loslässt, und er aus dem Becken flüchten kann, nicht ohne vom Schwertwal zum Beckenrand gejagt zu werden. Das ist extremstes Spannungskino, das in dieser Intensität nicht inszeniert werden könnte, und es ist gleichzeitig ein aufrüttelndes Statement.
Was Cowperthwaite ebenfalls außer Acht lässt, ist SeaWorlds Beitrag zum Artenschutz. Die Kette ist eine der angesehensten zoologischen Institute der Welt. Viele vom Aussterben bedrohte Arten, wurden in SeaWorld erfolgreich nachgezüchtet. Es wäre also am Management gelegen, Gabriela Cowperthwaite entgegen zu kommen. Stattdessen tritt der Zynismus eines Großkonzerns zutage, wenn SeaWorld gegen BLACKFISH mit Worten ins Feld zieht, dass er dem Andenken Dawn Brancheau schaden und die Familie erneut dem Schmerz und Leid aussetzen würde. Gleichzeitig rückt das Management nicht davon ab, dass eine der erfahrensten Wal-Trainerinnen selbst Schuld an ihrem Tod trägt, was aber Filmaufnahmen ganz klar widerlegen. Das der Film dadurch sehr subjektiv geworden ist, kommt zumindest der Dramatik und dem Spannungsverlauf entgegen. Das Plädoyer verfehlt seine Wirkung nicht, und nach 83 atemberaubenden, aber auch zu Herzen gehenden Minuten, werden diese Vergnügungsparks beim Publikum wenigstens nicht unreflektiert bleiben.
Mitwirkende: Tilikum, John Hargrove, Samantha Berg, Jeffrey Ventre, John Jett, Mark Simmons, Dean Gomersall, Kim Ashdown, Carol Ray, Christopher Porter, Eric Walters, Steve Huxter, Ken Balcomb, Howard Garrett, Lori Marino, Dave Duffus, John Crowe, Szanne Allee, Estefania Rodriguez, Mercedes Rodriguez
Regie: Gabriela Cowperthwaite
Drehbuch: Gabriela Cowperthwaite, Eli B. Despres
Kamera: Jonathan Ingalls, Chris Towey
Bildschnitt: Gabriela Cowperthwaite
Produktionsmanagement: David A. Davidson
USA / 2013
zirka 83 Minuten