ALBERT NOBBS – Bundesstart 26.09.2013
Im ausgehenden 19. Jahrhundert arbeitet Albert Nobbs als Butler in einem Hotel in Dublin, Irland. Albert ist verschlossen, aber tüchtig, tadellos und, zumindest in seiner gesellschaftlichen Stellung, respektiert. Albert spart sich jeden Schilling ab, um sich eines Tages selbstständig zu machen. Ein Tabak- und Süßwarenladen soll es sein. Selbstständigkeit, das ist es, was Albert anstrebt. Für seine Person, ein sehr schwieriges Unterfangen, denn Albert Nobbs hat ein Geheimnis. Für einigermaßen informierte Zuschauer dürfte die Enthüllung des Geheimnis keine Überraschung sein. Im Verlauf der Handlung wird dieses sehr spät gelüftet, als der im Hotel beschäftigte Maler Hubert Page aus Versehen Mister Nobbs im gemeinschaftlichen Zimmer überrascht. Doch dadurch wird Albert Nobbs‘ Traum von Selbstständigkeit und seinem Weg zum Umgehen von gesellschaftlichen Restriktionen erst richtig beflügelt. Gerade als der eigentlich zurückgezogene Albert glaubt, sich mehr seiner im Hotel geschlossenen Welt öffnen zu können, beginnt nicht nur seine Fassade zu bröckeln, sondern erhält sein ihn bis dahin schützendes Umfeld selbstzerstörerische Risse.
Es kann nicht sein, was nicht sein darf. So funktioniert die Geschichte, die vom Publikum natürlich sehr schnell entlarvt wird. Aber ausgehend von den gesellschaftlichen Gegebenheiten dieser Zeit, zudem im puritanischen Irland, ist trotz aller Offensichtlichkeit, das Szenario eines Trickbetrügers durchaus nachvollziehbar. Weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf. Rodrigo Garcia lässt das immer wieder in vielen kleinen Gesten in der Inszenierung durchschimmern. Glenn Close ist natürlich strahlender Mittelpunkt, dieser großartig besetzten und sehr sensibel inszenierten Produktion. ALBERT NOBBS hätte eine burleske Komödie sein können, aber ebenso ein erschütterndes Drama. Doch dieses Wunschprojekt, welches Glenn Close fast dreißig Jahre verfolgte, entschied sich für einen sehr entspannten Mittelweg, der nicht minder spannend und nicht weniger amüsant ist. Close verkörperte die Rolle des Geheimnis umwitterten Butlers bereits 1982 in einer Off-Broadway-Produktion, und strebte seitdem eine filmische Adaption an, die in den Neunzigern mit Regisseur István Szabó beinahe umgesetzt worden wäre. Close und Szabó haben sich bei ZAUBER DER VENUS kennen und schätzen gelernt.
Mit sehr viel Fingerspitzengefühl, und handwerklichem so wie künstlerischen Geschick, lässt dieser Film eine Zeit wieder auferstehen, die aus heutiger Sicht sehr überholt und unwirklich erscheint. Aber Dank seiner einfühlsamen Umsetzung, spürt man den beunruhigenden Realismus in der Geschichte. Mit dem eindringlichen Blick auf die Zeit und den Hintergründen in Albert Nobbs Leben, zeichnet der Film auch ein sehr kritisches, aber auch nüchternes Abbild einer streng hierarchischen Gesellschaft. Aber ALBERT NOBBS zeigt keine Ambitionen für billige und offensichtliche Kritik. In erster Linie ist es ein Charakterstück, das mit einem sehr behutsamen und realen Umgang mit seinen Figuren, ein gesittetes, aber doch einnehmendes Spiegelbild seiner dargestellten Zeit ist. Ernüchternd, aber auch erschütternd, aber immer eindringlich und unterhaltsam, ist ALBERT NOBBS ein gehobenes Stück Kinounterhaltung mit exzellenten Darstellern und technischer Finesse. Auch wenn das Geheimnis um Mister Nobbs nicht unbedingt ein Geheimnis ist, bleibt der Film durchweg spannend, unterhaltsam, zum Teil auch vergnügt, aber immer auf einer realen Ebene, die den Zuschauer auf einem Level des Unerwarteten hält, und sich damit weit vom gewöhnlichen Unterhaltungskino abhebt.
Darsteller: Glenn Close, Janet McTeer, Pauline Collins, Mia Wasikowska, Aaron Taylor-Johnson, Brendan Gleason, Antonia Campbell-Hughes, Maria Doyle Kennedy u.v.a.
Regie: Rodrigo Garcia
Drehbuch: Gabriella Prekop, John Banville, Glenn Close, nach einer Geschichte von István Szabó
Kamera: Michael McDonough
Bildschnitt: Steven Weisberg
Musik: Brian Byrne
Produktionsdesign: Patrizia von Brandenstein
Großbritannien – Irland – Frankreich – USA / 2011
zirka 118 Minuten