Die Welt von Steven Spielberg ist eine Welt der Emotionen. Keinem Regisseur gesteht man im Kino so viel überhöhtes Sentiment zu wie dem Mann, der in jedem Genre zu Hause ist. Und wenn er emotional über das Ziel hinausschießt, dann nimmt man ihn das nicht übel. Bereits mit „Private Ryan“ verband er in einem Film wechselwirkend brutalste Bildsprache und die Leichtigkeit von unbeschwerter Inszenierung. Bei „War Horse“ war ein Kinderbuch die Vorlage, so bleibt das, was an Bildern möglich gewesen wäre, auf das Nötigste beschränkt. Aber Steven Spielberg ist ein Regisseur der Emotionen, somit kann er auf das Nötigste beschränkt bleiben und dennoch größtmögliche Wirkung erzielen.
Die Geschichte von einem Jungen und seinem Pferd, die wegen der Wirren des ersten Weltkrieges voneinander getrennt werden, schreit ja förmlich nach wilder Romantik, Herzschmerz und den ganz großen Gefühlen. Michael Morpurgo hat das Buch 1982 aus der Sicht des Pferdes erzählt. Filmisch ist das sehr schwer umzusetzen, so orientierten sich die Autoren Hall und Curtis an der erfolgreichen Bühneninszenierung von Nick Stafford. Ein Junge und sein Pferd, beobachtet und in Szene gesetzt vom erfolgreichsten Regisseur der Welt, wird dann genau das, was der Stoff vermuten lässt: Wilde Romantik, Herzschmerz und ganz große Gefühle. Eine obskure Mischung aus „Black Beauty“ und „Im Westen nichts Neues“. Nur eben nicht aus der Sicht des Pferdes erzählt. Und daran krankt der Film letztendlich, weil er keine besondere Ebene auftut, sondern sich klar an das hält, was man von ihm erwartet.
Bildgestalter Janusz Kaminski ist weg von der kompromisslosen Grobkörnigkeit, die „München“ und „War of the Worlds“ so bildgewaltig dramatisierten. In den ersten 45 Minuten inszenierte Spielberg einen gefälligen Familienfilm, der in satten, hauptsächlich grünen Farben erstrahlt. Dazu steter goldener Schein der untergehenden Sonne in den Gesichtern der Figuren. Das karge Leben eines vom Grundbesitzer gedemütigten Bauern wirkt nicht hart, sondern idealisiert. Dazu immer die untergehende Sonne im Hintergrund, egal, in welche Richtung die Kamera sieht. Es ist die Zeit, in der sich das Pferd Joey und der Junge Albert kennenlernen und anfreunden. Man ist wieder bereit, Spielberg diese emotionale Überhöhung zu verzeihen. Doch dabei darf man es ihm nicht so einfach machen.
Da die Geschichte eben nicht aus der Sicht des Pferdes erzählt wird, fungiert Joey lediglich als verbindendes Glied zwischen den Einzelschicksalen, die er auf seiner leidvollen Odyssee kennenlernt. Engländer, Deutsche, Franzosen, wieder die Deutschen. Die Schrecken des Krieges vermittelt Spielberg nicht wirklich, da trotz allem sein emotionaler Fokus auf dem Pferd liegt und weniger bei den agierenden Menschen. Im Zuge dessen passiert bei „War Horse“ etwas, das der Großmeister der Regie eigentlich nicht machen dürfte. Er bedient sich der ganz großen Klischees. Die Deutschen desertieren, der Engländer kämpft tapfer weiter. Es ist ärgerlich, wie bestimmte Figuren stereotyp stilisiert wurden.
Erst nach zwei Stunden findet der Film seine Stimme, die alle Ärgernisse und Unzulänglichkeiten vergessen macht. Die Szene im Niemandsland zeigt, dass Steven Spielberg tatsächlich in der Lage ist, sich selbst immer wieder einmal zu übertreffen. Die Niemandsland-Szenen werden in einigen Jahren zu den Ikonen der großen Kino-Momente gezählt werden. Die Dramatik, die Spannung, und die Auflösung in einem absurd anmutenden, aber emotional grandiosen Geschehen reißen den Zuschauer förmlich aus dem Sessel. Hier beschränkt sich der Regisseur schließlich nicht mehr auf das Nötigste, sondern bietet alles auf, was die Magie des Kinos ausmacht, was Kino immer noch rechtfertigt und demonstriert, warum Spielberg immer noch der Größte im Mainstream ist.
„War Horse“ ist kein wirklich großer Ausritt, aber man muss ihm zugestehen, dass er genau das bringt, was man von ihm erwartet. Ein Pferd und sein Junge, das sind eben wilde Romantik, Herzschmerz und das ganz große Gefühl. Und wenn der Film einige Male über das Ziel hinausschießt, dann ist man bereit durchaus zu verzeihen. Denn man hat wissen müssen, was einen erwarten kann – und von wem.
Darsteller: Jeremy Irvine, Peter Mullan, Emily Watson, David Thewlis, Niels Arestrup, Tom Hiddleston, Toby Kebbell u.a.
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: Lee Hall, Richard Curtis – nach dem Stück von Nick Stafford
Kamera: Janusz Kaminski
Bildschnitt: Michael Khan
Musik: John Williams
Produktionsdesign: Rick Carter
USA / 2011
zirka 146 Minuten