THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY – Bundesstart 13.12.2012
DER HOBBIT: EINE UNERWARTETE REISE ist dahingehend ein Phänomen, dass seine Umsetzung durchaus kontrovers diskutiert werden könnte, aber niemand davon spricht. Obwohl man sich zum einen ernsthaft fragen muss, ob nicht Guillermo Del Toro doch die vernünftigere Wahl als Regisseur gewesen wäre, um eine differenziertere Atmosphäre in der Vorgeschichte zum ultimativen HERR DER RINGE zu schaffen. Und dann die barbarische Laufzeit, nur um das Epos um einen dritten Teil erweitern zu können. Gleich an dieser Stelle muss allerdings angemerkt werden, dass gewisse Längen nicht mit Langweile gleichgesetzt werden dürfen. Erst ein zweiter Besuch in Mittelerde könnte die Geduld eventuell etwas strapazieren. Soll es das gewesen sein, was es zur filmischen Umsetzung des kleinen Hobbit zu sagen gibt? Natürlich nicht, nur vorerst. Denn obgleich man kontrovers diskutieren könnte, spricht man über Wichtigeres.
Game Changer nennt man gewisse Personen oder Vorgänge, die Altbekanntes auf den Kopf stellen und, wie in diesem Fall, das Publikum herausfordern. Da ist – nicht an erster Stelle, aber für zukünftige Kinoproduktionen die wichtigste Neuerung – der Ton. Die Mädels und Jungs von Dolby, in der Filmbranche duzt man sich gerne, haben ein wenig getüftelt und das blutjunge Kind 7.1 in die Babyklappe gegeben. Der neue Nachwuchs nennt sich Dolby Atmos, nachfolgend nicht mehr bei seinem Familiennamen genannt, und Atmos hebt das Niveau von Surround Sound auf eine bisher unbekannte Ebene. Ob man bei Atmos wirklich von einer Revolution sprechen sollte, wage ich persönlich zu bezweifeln. Doch das neue Tonverfahren schafft ein räumliches Klangerlebnis, das zweifellos lange nicht überboten werden kann. Letztendlich ist es aber eine logische und zu erwartende Weiterentwicklung von 5.1 oder 7.1 gewesen, bei denen der Kinosaal in fünf oder eben sieben starre Klangzonen eingeteilt war. Atmos könnte man als 64.2 bezeichnen, weil Kinos mit bis zu 64 einzelnen Lautsprechern und gleich zwei Subwoofer ausgerüstet werden können. Der Tonmeister muss keine Gruppen an Lautsprechern mehr ansteuern, sondern kann jeden Lautsprecher einzeln belegen. Surround Sound im wahrsten Sinne seiner Worte.
Wenn riesenhafte Spinnen auf der Hütte von Zauberer Radagast krabbeln, dann krabbelt das auch beim Zuschauer. Denn Atmos kommt nicht nur von vorne, seitlich oder hinten, sondern endlich auch über dem Publikum. Der Ton ist kein bloßer Effekt aus einer Richtung, sondern bewegt sich fließend dorthin, wo er stattfinden soll. Die Macht der Schwingen von Gandalfs gigantischen Vögeln kann man nicht nur sehen, sondern auch hören. Und wenn dreizehn Zwerge gegen drei Trolle antreten, dann ist das Publikum plötzlich mitten im Kampfgetümmel. Ein schreckhaftes Wegducken ist bei so manchen Szenen durchaus die Folge. Atmos ist eine Neuerung, die für den Cinephilen längst überfällig war und dankend angenommen werden muss. Dumm nur, dass das Cinecitta in Nürnberg das einzige Kino in ganz Deutschland ist, das sich bisher die 100.000 Euro Investition von Atmos gegönnt hat.
Wesentlich mehr Kinos hingegen haben ihre Projektoren auf HFR und 4K-Auflösung umgerüstet. Durfte man bisher digitale Projektion in 2K mit einer Auflösung von 2048 Pixel in der Breite bewundern, schafft 4K mit 4096 Pixeln das Vierfache an Bildinformationen. Aber bei den für Peter Jackson üblichen Landschaftsüberflügen und schnellen Kamerazooms über sich gegenseitig dezimierende Armeen kann es deswegen noch immer zu Bewegungsunschärfen kommen. Seit Douglas Trumbull mit seinem Showscan am Problem der Bewegungsunschärfe experimentiert, hecheln andere Filmemacher diesem perfekten Bild hinterher.
Jackson nahm sich an Trumbull ein Beispiel und ließ bei den Aufnahmen für die Hobbit-Trilogie die Bildrate von 24 auf 48 Bilder pro Sekunde erhöhen. Das menschliche Auge nimmt ab 24 Bildern pro Sekunde die einzelnen Aufnahmen als fließende Bewegung wahr. Was dadurch entstanden ist, nennt man jetzt gerne „Film Look“. Die fotografische Belichtung von einer Vierundzwanzigstelsekunde kann allerdings nicht die Details erfassen, die dem menschlichen Auge aber möglich wären. High Frame Rate, unter Duzfreunden HFR genannt, schafft dem Zuschauer eine Detailgenauigkeit im Bild, die fast schon erschreckend ist. Dazu muss die Aufnahme aber nicht nur mit 48Bps aufgenommen, sondern auch abgespielt werden. Fälschlicherweise ist dabei der Begriff vom Soap-Effekt entstanden, bezugnehmend auf die Aufnahmequalität von Seifenopern, die sich durch die elektronische Aufnahme deutlich vom sogenannten Film Look abhob und daher eine künstliche Qualität erlangte. Dieser Vergleich zu HFR könnte nicht unzutreffender sein, selbst wenn sich das Auge des Zuschauers im ersten Moment zu dieser Vermutung hinreißen lässt.
Aber spätestens beim ersten Flug über das Auenland wird klar, was HFR dem Filmemacher ermöglicht und dem Zuschauer damit bieten kann. Bewegungsunschärfen sind weitgehend verschwunden, Schwerter und Lanzen sind im Kampf noch immer klar zu erkennen. Selbst bei schnellen Schnitten erfasst der Zuschauer umgehend alle Details, die winzigen Punkte auf der riesigen Leinwand in den Höhlen der Orcks sind einwandfrei als unsere Helden zu erkennen, und man erkennt jedes einzelne Blatt an den Büschen, wenn Radagast mit unglaublicher Geschwindigkeit auf seinem Hasen-Schlitten durch den Wald prescht. Zweifellos ist HFR in seiner kontrastreichen Klarheit gewöhnungsbedürftig, vielleicht sogar störend, zumindest anfänglich. So etwas nutzen die Kritiker natürlich und bezichtigen das Format als Versuch eines Dolchstoßes für den wirklichen Film. Aber der wirkliche Film war auch einmal Schwarz-weiß, noch dazu, dass einst nur der Film ohne Ton der wahre Film war.
Persönlich ist es schwierig, den 80 Jahre gepflegten „Film-Look“ einfach so schwinden zu sehen. Aber filmische Großereignisse werden auf kurz oder lang den Weg von HFR beschreiten. Zudem werden „kleinere“ Filme weiterhin auf 24Bps gedreht werden, sei es aus finanziellen Gründen oder wegen krampfhaften Festhaltens an Traditionen. Auch das wäre persönlich sehr begrüßenswert. Aber man darf sich den Entwicklungen nicht verschließen, weil man als Konsument am Ende doch nur das Nachsehen hätte. Man sollte auch in Betracht ziehen, dass im Gegensatz zu der gewaltsamen Einführung von 3D die High Frame Rate gerade bei Beispielen wie dem HOBBIT wesentlich mehr zum Erleben des Films beiträgt. Dass Autorenfilmer oder unabhängige Produktionen von einer höheren Bildrate vorerst Abstand nehmen, wäre zu begrüßen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass man den „Film-Look“ 80 Jahre lang ertragen konnte.
Trotz aller traditionell begründeten Bedenken oder ästhetischen Einwände bleibt DER HOBBIT mit HFR-3D ein visuelles Ereignis, das zu überwältigen versteht. Die Kamera- und Computer-Abteilungen bei WETA haben Erstaunliches geleistet und bewiesen, dass man mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl und viel Selbstvertrauen durchaus mit den Traditionen brechen und dabei trotzdem erfolgreich sein kann. Wer immer den „Film-Look“ vermissen wird, muss sich dennoch eingestehen, dass man mit dem HOBBIT einem technologischen Fortschritt beiwohnen durfte, der das Kino zum Besseren hin revolutionieren wird. Die Akzeptanz ist nachweislich verhalten, die Entwicklung allerdings nicht aufzuhalten. Entgegen den brachialen Einfällen von unnötigen 3D-Fehlschlägen wird diese Entwicklung schleichender sein, dafür aber gewinnbringender für den Zuschauer. Und es ist herausfordernder für die Macher.
Wieso aber diskutiert man so heiß über die Technik eines Films, wenn der Hintergrund des Films selbst das eigentliche Ereignis sein sollte? Nun, wer immer sich für die Vermarktung in diesem speziellen Fall verantwortlich zeigt, hat nicht viel Fingerspitzengefühl bewiesen. Warum sollte man sich den HOBBIT überhaupt ansehen? Was ist dieser HOBBIT überhaupt, wenn man nicht tiefer mit Literatur verhaftet ist? Er ist ein Abklatsch der bahnbrechenden HERR-DER-RINGE-Trilogie. Dieses Gefühl beschleicht einen jedenfalls, wenn man den HOBBIT sieht. Er ist leichter im Ton inszeniert, schließlich ist der Krieg der Ringe noch nicht entbrannt. Aber sei es Führung, Bildgestaltung oder Aufwand – der HOBBIT ist ein seltsam anmutendes Plagiat vom HERR DER RINGE. Das erfreut den Fan, das lässt die Herzen der Kinogänger höherschlagen, aber wieso versucht das einem niemand zu vermitteln? Zwei Dinge stehen im Vordergrund, und das sind Peter Jackson und ein Filmereignis, das man nicht versäumen sollte. Die Marketingabteilung versteift sich dabei auf 3D und HFR, und man vergisst darüber die Einzigartigkeit von Tolkiens Erzählung.
Vielleicht kann sich jemand dazu durchringen, den HOBBIT anzusehen, weil er eine bekannte Geschichte verfilmt sehen will, und/oder weil er die Magie von Mittelerde in Peter Jacksons Händen gut aufbewahrt weiß. All die Technik, die Neuerungen und teilweise auch kostspieligen Experimente sollten in erster Linie nettes Beiwerk sein. Erst dann entfaltet sich das eigentliche Abenteuer. Nicht nur das Abenteuer eines kleinen Hobbits, sondern das Abenteuer für den forschenden Zuschauer, sich in eine ferne, magische Welt entführen zu lassen. Eine Geschichte zu sehen und zu hören, sie zu erleben, wie man eine Geschichte noch nie erfahren konnte. So entfaltet sich aus der Magie einer Geschichte die Magie des Kinos. Nicht zwingend in 3D, mit 48Bps und Dolby Atmos. Aber wenn gut gemacht, doch mit überwältigendem Eindruck.
Darsteller: Martin Freeman, Ian McKellen, Richard Armitage, Ken Stott, Graham McTavish, William Kirchner, James Nesbitt, Stephen Hunter, Dean O’Gorman, Aidan Turner, John Callen, Peter Hambleton – sowie Ian Holm, Elijah Wood, Hugo Weaving, Cate Blanchett, Christopher Lee und Andy Serkis
Regie: Peter Jackson
Drehbuch: Peter Jackson, Fran Walsh, Philippa Boyens, Guillermo del Toro
Kamera: Andrew Lesnie
Bildschnitt: Jabez Olssen
Musik: Howard Shore
Produktionsdesign: Dan Hennah
Neuseeland / 2012
zirka 169 Minuten