96 Hours – Taken 2 / Deutschlandpremiere 11.10.2012
Wenn Liam Neeson damit kokettiert, er habe für den ersten TAKEN nur unterschrieben, weil er glaubte, es wäre eine Direkt-auf-DVD-Produktion, dann mag in dem Witz schon auch einiges an Wahrheit mitschwingen. Die Abenteuer des Ex-Agenten Bryan Mills waren aber auch zu absurd einfach gestrickt, als dass TAKEN als ernsthafter Film hätte in Betracht gezogen werden können. Der in Deutschland sinnigerweise 96 HOURS betitelte Film (Gratulation an den Verleiher) zog mit seiner geradezu provozierenden Geradlinigkeit wider Erwarten die Massen ins Kino, weltweit. Dass er dann auch im Sinne der Produzenten funktionierte, war zweifellos dem schnörkellosen Spiel und körperlichen Einsatz von Liam Neeson zu verdanken, bei dessen Namen man sofort fragt, was ihn zu so einer Produktion treiben könnte. Es hat den damals bereits 56-jährigen Charakterdarsteller zum Action-Star gemacht, zu einem Helden, dem man seinen physischen Einsatz auch abkauft. In einem Alter, bei dem es in Hollywood keine Chance gegeben hätte.
EuropaCorp ist die umtriebige Firma von Luc Besson, die ganz Europa mit einer Flut von Filmen eindeckt, von denen aber nur sehr wenige ein größeres Publikum finden. Wenn Besson jetzt Regie führt, dann bei Filmen wie THE LADY über die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Und wenn ihm danach ist, schreibt er ein Drehbuch und lässt es von anderen verfilmen. Der Erfolg von TAKEN, oder 96 HOURS, hat Bessons Oberstübchen wieder angefeuert. Nachgedacht scheint er zu haben, kreativ war er dabei allerdings kein bisschen. Ex-Agent Bryan Mills hält sich mehrere Tage in Istanbul auf. Überraschung, seine Ex-Frau und die im ersten Teil entführte Tochter sind ihm nachgereist. Das erfahren auch, Überraschung, die bösen Buben, deren Söhne im ersten Teil durch die Hand des Helden sterben mussten. Der Agent soll, Überraschung, den Schmerz spüren, welchen er in die Familien der Bösen gebracht hat.
Die Exposition von TAKEN 2 dauert fast 40 Minuten. Dabei handelt sich nicht im Geringsten um einen Spannungsaufbau, obwohl Musik und Kameraführung das vermitteln möchten. Denn der Zuschauer weiß bereits bei jedem Bild, was und warum es passiert. Dies ist kein Lars-von-Trier-Film. So ziehen sich diese 40 Minuten scheinbar endlos. Amüsieren kann man sich höchstens über die bösen Albaner, die nicht albanisch reden dürfen, weil man sonst Untertitel benötigen würde. Also reden sie englisch, dafür mit diesem witzigen Akzent, der sofort verrät, dass hier jemand einen Akzent imitieren möchte. Eigentlich nicht witzig, eher ärgerlich.
Nachdem die bösen Buben zugeschlagen haben, um den Mann zu vernichten, der so viel Leid über eine Familie gebracht hat, weil diese Familie so viel Leid über seine Familie gebracht hat, rutscht der Film endlich ins erwartete Fahrwasser. Und wie man sieht, dürfen Motivationen nicht hinterfragt werden. Es ist ein mehr als klassischer B-Film, der mit Standards nicht geizt. Das ist soweit ganz in Ordnung, weil bei guter Action und mit passenden Darstellern alles verziehen werden kann. Es ist eben ein reiner Unterhaltungsfilm, der sich auf seine Schauwerte verlässt. Und man darf annehmen, dass sich das angesprochene Zielpublikum dessen bewusst ist.
Aber selbst wenn Liam Neeson mit Filmtochter Maggie Grace endlich über die Dächer und die durch die Gassen von Istanbul hetzt, lässt die Regie von Oliver Megatron das bestimmte Etwas vermissen. Es gibt Drehungen und Wendungen, die allerdings absehbar und deren Auflösungen thematisch längst vorgegeben sind. Glänzte der erste Teil noch mit einer bitteren, fast schon menschenverachtenden Kaltschnäuzigkeit, wurde TAKEN 2 gleich von Anfang an der Schalldämpfer aufgeschraubt. Die Brutalität hält sich merklich in Grenzen, leider aber auch die Inszenierung der Action-Szenen, was ein guter Ausgleich gewesen wäre. Gerade weil Romain Lacourbas ein Kameramann ist, der mit relativ ruhigen Einstellungen arbeitet. Auch wenn die Schnittfolge erhöht ist, wären die körperlichen Einsätze intensiver und spürbarer gewesen. Aber Megatron arbeitet sich nur sehr uninspiriert von Situation zu Situation.
Dafür haben die Gejagten eine wirklich interessante Möglichkeit entwickelt, sich mit Handgranaten in der riesigen Metropole von Istanbul wiederzufinden. Das sind die haarsträubenden Szenen, die man eigentlich erwartet. Originell sollten sie sein, nicht zwangsläufig sinnig. Hier und da finden sich diese Einfälle in TAKEN 2, aber viel zu spärlich. Was den ersten Teil ausmachte, ist weitgehend verschwunden. Ein eigenes Profil allerdings findet der zweite Teil dann auch nicht, zumindest keines, das ihn von billiger Dutzendware abheben könnte. Bis auf die Mitwirkung von Liam Neeson vielleicht, der garantiert angenommen hat, dass dies eine Direkt-auf-DVD-Produktion sein muss.
Darsteller: Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen, Leland Orser, Jon Gries, D. B. Sweeney, Luke Grimes und Rade Sherbedgia u.a.
Regie: Oliver Megaton
Drehbuch: Luc Besson, Robert Mark Kamen
Kamera: Romain Lacourbas
Bildschnitt: Camille Delamarre, Vincent Tabaillon
Musik: Nathaniel Méchaly
Produktionsdesign: Sébastian Inizan
Frankreich / 2012
zirka 91 Minuten