Sinister – Bundesstart 22.11.2012
Das ist die richtige Nachbarschaft. Die Familie Oswalt ist gerade noch beim Ausladen des Umzug-LKWs, als der örtliche Sheriff schon Ärger macht. Geht da etwa etwas Dubioses vor in diesem Örtchen, wenn der Ordnungshüter die Familie ungeniert zum Verlassen des Städtchens auffordert? Ja, es ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung, und SINISTER lässt sich nicht viel Zeit mit Erklärungen. Denn nicht der Sheriff ist das Problem, sondern Ellison Oswalt selbst, der mit Sachbüchern über wahre Verbrechen sein Geld verdient. Nach dem Besuch des Sheriffs macht ihm seine Frau Tracy sofort die Hölle heiß, ob die Familie jetzt schon wieder in die Nähe eines dieser Horror-Häuser gezogen wäre. Diese Frage kann Ellison guten Gewissens mit einem klaren Nein beantworten.
Was an Scott Derricksons Film sofort auffällt, sind die langen, unaufgeregten Einstellungen mit Chris Norrs Steady-Cam. Fast schon elegisch wird der Zuschauer in den Horror hineingesogen. Der schockierende Titelvorspann macht in einer einzigen unbewegten Einstellung klar, was den Zuschauer erwarten könnte. Es ist dieser klare Blick auf die Szenen, der nicht durch irreführende Schnitte oder falsche Motive abgelenkt wird. Die scheinbar schwebende Kamera bleibt auf dem Protagonisten. Die Kamera wird zum Voyeur an der Filmfigur, so wie der recherchierende Ellison zum Voyeur verkommt, wenn das Böse sich in Form von einigen Super-8-Filmen vor ihm entfaltet. Die Kamera ist dabei das unheilvolle Element, das in SHINING die unfassbare, aber enervierende Atmosphäre erzeugte oder bei PARANORMAL ACTIVITY die Nerven zum Zerreißen gespannt hält.
Es ist im Kino längst außer Mode gekommen, mit langen Einstellungen erzählen zu können. Es gibt auch in SINISTER erschreckende Dinge, die mit schrillem Ton ins Bild springen. Dass diese Momente trotz ihrer Absehbarkeit umso effektiver funktionieren, ist dem Tempo geschuldet, in dem Scott Derrickson den Film inszeniert hat. Es mag Stimmen geben, die SINISTER ob seiner Schwerfälligkeit für misslungen halten. Doch dies ist nur scheinbar, denn gerade im Kontrast zu einer ruhigen Besonnenheit wirken die brutalen, durch Mark und Bein gehenden Schockmomente umso intensiver. Was für eine Geschichte sich für Ellison Oswalt auftut, ist vom ersten Bild an definiert, entfaltet sich allerdings erst im Verlauf des Films in seinem emotional vollen Umfang.
Auch SINISTER ist kein Horrorfilm ohne Tadel oder logischen Fehlern. Es ist ein Leichtes, diesen eigentlich effektiven Horrorfilm als vorhersehbares und unspektakuläres Szenario abzutun. Aber hinter SINISTER, dem Bösen, lauert ein weit wirkungsvollerer Horror-Thriller als man annehmen möchte. Er ist bösartig und brutal. Er schockiert und überzeugt mit ungewöhnlicher Inszenierung. SINISTER erfindet zu keinem Zeitpunkt das Genre neu, aber er geht ungewöhnliche Wege, die mehr oder weniger erfolgreichen Strukturen des aktuellen Horror-Kinos aufzubrechen und neu zu beleben. SINISTER ist oftmals weit entfernt, genauso oft auch sehr nah an allen aktuellen Trends, bleibt aber stets effektives Horrorkino. Er ist kein perfekter Film innerhalb seines Genres, aber ungewöhnlich eigenständig. Es sind eben nicht die neuen Wege, die SINISTER vorgibt zu gehen, und die dabei ihren Reiz definieren, sondern die oftmals ignorierten Mechanismen des ursprünglichen Horror-Kinos. Und es ist schön, diese wieder einmal erfahren zu dürfen.
Darsteller: Ethan Hawke, Vincent D’Onofrio, James Ransone, Fred Dalton Thompson, Clare Foley, Juliet Rylance, Michael Hall D’Addario u.v.a.
Regie: Scott Derrickson
Drehbuch: Scott Derrickson, C, Robert Cargill
Kamera: Chris Norr
Bildschnitt: Frederic Thoraval
Musik: Christopher Young
Produktionsdesign: David Brisbin
USA / 2012
zirka 109 Minuten