Dieser Film ist typisches Oscar-Futter. Oh, wie dieser Film nach Oscars schreit. „Moneyball“ hat Überlänge, es geht um Sport, die Handlung ist reduziert, die Darsteller sind nur sehr oberflächlich gesehen gegen ihren Typ besetzt, er führt den uramerikanischen Anspruch, dass der Glaube ans sich selbst zum Erfolg führt, und der Aufbau des Films ist so alt wie das Kino selbst. Das sind Kriterien für gute Chancen bei den Academy Awards, durchaus. Doch was macht ihn letztendlich auch noch zu einem wirklichen Gewinner-Kandidaten? Weil „Moneyball“ trotz platter Produktions-Klischees, trotz seiner absehbaren Abhandlung oder vielleicht gerade wegen dieser Attribute sehr gut funktioniert.
Wer trotz Robert Redford oder Kevin Costner noch immer nicht die Regeln von Baseball richtig verstanden hat, braucht sich nicht zu fürchten. Zu keinem Zeitpunkt des Films wird ein sachliches oder emotionales Verständnis für dieses Spiel vorausgesetzt. Und sollte bei dem einen oder anderen doch eine Frage aufkeimen, befreit das Drehbuch den Zuschauer mit pointierten Dialogen sofort von dieser möglichen Störung. Baseball ist nur durch Zufall der alles umschließende Mantel, welcher dann doch nur schmückendes Beiwerk sein soll, denn „Moneyball“ will eine Geschichte über Menschen erzählen und über grundlegende Veränderungen in deren Leben. Und mit allen voran Brad Pitt, Jonah Hill und Philip Seymour Hoffman gibt diese Geschichte weit mehr her, als man denken mag.
Der Film beginnt mit dem Spiel der Oakland Athletics gegen die New York Yankees 2001. Eine Tafel zeigt, was die jeweiligen Teams für ihre Spieler bezahlt haben. Oakland 41 Millionen Dollar, die Yankees 125 Millionen Dollar. Die Athletics verlieren nicht nur das Spiel, sondern gleichzeitig ihre drei besten Spieler an die Yankees. Mit einem wesentlich geringeren Haushalt als die meisten Major League Vereine muss Billy Beane (Pitt) als Geschäftsführer der Athletics eine neue liga-fähige Mannschaft zusammenstellen. Hier kommt Paul DePodesta ins Spiel, der im Film Peter Brand (Hill) heißen muss, weil der echte DePodesta sich unsicher gegenüber der Produktion zeigte. Peter Brand ist alles andere als ein Sportler und hat selbst nie einen Baseballschläger geschwungen. Aber Brand hat eine alles umfassende Datenbank über alle Liga-Spieler, sogar über die Vereine und das jeweilige Management selbst.
Billy Beane ist zuerst misstrauisch, wurden Spieler bisher selbstverständlich nach allgemeiner Leistung, Beliebtheit, moralischer Integrität und einen nach diesen Kriterien beurteilten finanziellen Wert eingekauft. Da die Athletics aber einfach nicht das Geld haben, um gegen Größen wie die Yankees Spieler einzukaufen, setzt Beane alles auf Peter Brand. Er engagiert ihn als Assistent, vertraut auf dessen Statistiken und kauft Spieler, die im Allgemeinen nicht gut sind, aber dafür auf bestimmten Positionen die besten Werte erzielen. Das würde bedeuten, dass die jeweiligen Positionen während des Spiels fest besetzt bleiben müssten. Das ist allerdings dem Team-Manager Art Howe (Hoffman) ein Dorn im Auge, der weiterhin das Spiel im traditionellen Rotationsprinzip spielen lässt, schon allein weil er eine persönliche Fehde gegen Beane führt.
Werden die Oakland Athletics trotzdem eine Chance haben? Können sie am Ende sogar …? Ruhe bewahren, denn dies ist, wie schon erwähnt, ein typischer Oscar-Kandidat. Bennett Miller kann als Regisseur dem Film keine besondere Dramaturgie verleihen, nichts, was ihn von ähnlich angelegten Filmen wirklich unterscheiden könnte. Aber Miller arbeitet mit einen erstklassigen Ensemble, das bis in die kleinsten Nebenrollen echte Spielfreude beweist. Dass Brad Pitt und ein umwerfender Jonah Hill so gut beim Publikum ankommen, ist eben auch dem gesamten Umfeld geschuldet, welches einen greifbar realistischen Rahmen bildet. Und dazu ein Philip Seymour Hoffman, der nicht einmal Dialog braucht, damit man ihn nicht mag. Herrlich.
Was Hoffman weniger an Dialog hat, bekommen die anderen Darsteller in geschliffenen, pointierten Zeilen, die dem gesamten Film erst die richtige Dramaturgie verleihen. Steven Zailian hat das Drehbuch geschrieben, allerdings merkt man sofort, wo Aaron Sorkin mit seiner Art Dialog zu verfassen unterstützend eingegriffen hat. Da lässt das oscar-prämierte Buch von Sorkin grüßen, mit dem er „Social Network“ zu einem der spannendsten Filme der letzten Jahre machte. Nebenher erfährt man noch einige Besonderheiten aus dem amerikanischen Liga-Betrieb, was zumindest in Deutschland beim Publikum vielleicht Ungläubigkeit hervorrufen kann. Diese Absonderlichkeiten werden dem vermeintlichen Zuschauer sofort auffallen, deswegen an dieser Stelle gleich der Hinweis, dass hier weder übertrieben noch erfunden wurde.
„Moneyball“ ist genau der Film, von dem man bekommt, was man von ihm erwartet. Er ist weit von einem Meisterwerk entfernt, schon allein weil er die Dramatik im Sportfilm nicht neu zu ordnen versteht oder gar auf den Kopf stellt. Bennett Miller inszenierte diesen Film mit der gleichen traditionellen Sturheit, mit der Art Howe sein Team spielen lässt. Aber in jedem Spiel gibt es eben Spielführer, und die heißen hier Sorkin, Pitt und Hill. Und sollte man auch nur mit einem knappen Sieg vom Platz gehen, dann ist der Sieg den Home Runs von Sorkin, Pitt und Hill zu verdanken.
Darsteller: Brad Pitt, Jonah Hill, Philip Seymour Hoffman, Robin Wright, Spike Jonze, Chris Pratt, Stephen Bishop, Kerris Dorsey u.a.
Regie: Bennett Miller
Drehbuch: Steven Zailian, Aaron Sorkin
Kamera: Wally Pfister
Bildschnitt: Christopher Tellefsen
Musik: Mychael Danna
Produktionsdesign: Jess Gonchor
USA / 2011
zirka 133 Minuten