MIDNIGHT MOVIE ist ein Buch

Cover mit Copyright von Bastei Lübbe

Tobe Hooper hat ein Buch geschrieben. Darin räumt er endlich mal mit den vielen Variationen seines Namens auf. Man spreche seinen Namen Tobiiieee aus, und nicht Tob oder Töb, schreit der Autor als Romanfigur einen anderen Charakter an. Aber zurück auf Anfang, bevor es kompliziert wird. Tobe Hooper hat ein Buch geschrieben. Bisher hat Tobe Hooper im richtigen Leben  Filme gemacht wie LIFEFORCE oder POLTERGEIST. Oder sein verloren geglaubtes Debut DESTINY EXPRESS. Ach nein, die Existenz von DESTINY EXPRESS ist ja auch Fiktion. Hooper verfasst also seinen ersten Roman. Es ist ein Horror-Roman, und in diesem setzt sich der reale Hooper als realen Hooper in eine fiktive Szene. Ein überambitionierter Filmfan gelangt an eine Kopie des verschollen geglaubten Filmdebuts DESTINY EXPRESS von Tobe Hooper und lädt den Kult-Regisseur für eine Sondervorführung zu einem Filmfest in Austin/Texas. Die Vorführung des Filmes kulminiert in einer Zombie-Epidemie. Im Verlauf des Buches entpuppt sich die Zombie-Epidemie nicht als das herkömmliche Endzeitszenario. Am Ende (was bereits ganz am Anfang zur Sprache kommt und kein Spoiler ist) wird die kurzeitige Zombie-Epidemie lediglich als Episode in die Geschichte eingehen.

Was Tobe Hooper mit MIDNIGHT MOVIE zu Papier gebracht hat, ist kein leichter Stoff. In allen Bereichen. Ob mit dem Erzählstil, mit seiner Geschichte, mit den Genres und vor allem der Wortwahl. Dies ist kein Horror-Roman, wie man ihn schon einmal gelesen hat. Und das kann man ehrlich wortwörtlich nehmen. Es ist eines der eigentümlichsten Leseerlebnisse, denen man sich in diesem Genre jemals zuwenden kann. Deswegen muss Vorsicht geboten sein, wenn man auf Tobe Hoopers Roman-Debut zugreift. Man bekommt nicht, was man erwartet. Man bekommt viel mehr als man erhofft. Was man allerdings nicht bekommt ist eine literarische Offenbarung.

Noch während der Vorführung von DESTINY EXPRESS rasten die Besucher total aus. Was folgt, ist eine Mischung aus Blut, Tränen und jeder Menge blauem Schleim. Hooper hat sich nicht gescheut, seinen Fingern auf der Tastatur einfach freien Lauf zu lassen. Ungeniert wechselt er selbst in einzelnen Seiten vom Ich-Erzähler zu einem Twitter-Dialog, zu Zeitungsartikeln oder zu einer herkömmlichen Erzählstruktur. Es gibt pornografische Szenen genauso wie blutigen Horror oder bizarre Querverweise auf unsere gesellschaftliche Kultur. Mit einem durchgeknallten Agenten der Heimatschutzbehörde, der die islamistischen Fundamentalisten unterstützt, integriert Hooper die aktuellen Ängste eines verstörten Amerikas als eigenwilliges Szenario des Schreckens. Dabei macht MIDNIGHT MOVIES allerdings niemals diesen den Leser täuschenden Eindruck, dass er schlauer sein möchte als seine grundsätzliche Ambition.

Tobe Hooper als Autor lässt die autobiografische Figur Tobe Hooper ein Remake seines Erstlings DESTINY EXPRESS drehen, in der Hoffnung, die Zombie-Epidemie rückgängig zu machen. In diesem Verlauf spart der echte Hooper in seiner Erzählung auch nicht mit sehr vielen, manchmal auch sehr versteckten, aber stets treffenden Seitenhiebe auf die eigene Karriere und den Hollywood-Zirkus im Allgemeinen. An diesen Stellen wird es für den wohlgesonnenen Cineasten immer besonders interessant. Allerdings sind diese kleinen Abrechnungen mit dem System, welches Tobe Hooper erst groß feierte und später in die zweite Liga verbannte, echte Insider-Gags. Dadurch entsteht sehr schnell der Eindruck, dass Tobe Hooper einen Roman für Fans oder Filmverrückte schreiben wollte. Das mag nicht unbedingt seine Absicht gewesen sein, aber der filmaffine Leser wird sich am ehesten und besonders von dieser aberwitzigen Geschichte angesprochen fühlen.

Amerikanisches Cover, Copyright Three River Press

Derber Sex, harte Gewalt und bösartige Satire. Tobe Hooper hat geliefert, was man in erster Linie von Tobe Hooper erwartet hat. Und wir wissen endlich, dass man seinen Namen Tobie ausspricht und nicht Tob oder Töb. Das schien dem Autor sehr wichtig zu sein, und die Nachricht ist angekommen. Weil man als geneigter Sympathisant auch zwischen den Zeilen lesen kann. Der fiktive DESTINY EXPRESS ist eine Anlehnung an Tobe Hooper reales Debut EGGSHELLS, welches die Kritiker sehr geringschätzig aufnahmen. Als der Regisseur später TEXAS CHAINSAW MASSACRE machte, war dieselbe Kritikergemeinde nach wie vor  gespalten, aber man attestierte dem Schockmeister zumindest sein Können, das Publikum in der Hand zu haben. Das ist eigentlich auch der Grundtenor, mit dem sich der Autor Hooper in seinem ersten Roman auseinandersetzt.  MIDNIGHT MOVIE ist keine literarische Offenbarung, dafür aber ein Lesevergnügen der ganz besonderen, aber auch extrem bizarren Art.

Verlag: Bastei Lübbe – 21. September 2012
Taschenbuch: 384 Seiten
ISBN-10: 340420669X
ISBN-13: 978-3404206698

Bildquelle: Three Rivers Press / Bastei Lübbe
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Gelesenes abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu MIDNIGHT MOVIE ist ein Buch

  1. Pingback: Midnight Movie und Exhumed Horror - Musik & Lesen

Schreibe einen Kommentar