BEASTS OF THE SOUTHERN WILD – Bundesstart 20.12.12
Hier kommt der Liebling des Festivalzirkus von 2012. Selbst beim Fantasy Filmfest wurde Benh Zeitlins Regiedebut mit dem Publikumspreis bedacht, von Zuschauern die Horror- und Splatter-Orgien bevorzugen, oder asiatische Filmkunst zelebrieren. Nichts davon hat BEASTS OF THE SOUTHERN WILD zu bieten. Oder vielleicht doch? Von Sundance, über Cannes, nach Deauville, und weit über Karlovy Vary hinaus, begeisterte dieser Film die Festivalbesucher. Aber wahrscheinlich auch nur die, denn BEASTS entzieht sich vollkommen jeder Annäherung an das Mainstream-Publikum. So wie er sich auch jeder Annäherung an Erklärungen entzieht. Von BEASTS nicht fasziniert zu sein, ist kaum möglich. Aber was ist er? Märchen, Abenteuer, Fantasy, oder am Ende doch Horror?
Hushpuppy ist 6 Jahre alt und lebt auf einer vom Festland abgeschnittenen Insel vor Louisiana, die sich umgangssprachlich Bathtube nennt. Ihr Vater ist hart zu ihr, ja, und er schlägt Hushpuppy auch, wenn es angebracht scheint. Aber auch das hat seinen Grund, denn die Liebe zu seiner Tochter kann Wink nicht in Worte fassen, und auf was er die Kleine vorbereiten muss, kann er noch viel weniger erklären. Die Mutter ist längst weg, über die See davon geschwommen, sagt Wink. Mit der Naivität eines Kindes akzeptiert Hushpuppy diese Erklärung, und mit derselben Naivität glaubt sie auch an die Rückkehr ihrer Mutter.
Hushpuppy und Wink leben in improvisierten Hütten aus allerlei Unrat. Hochwasser ist ein ständiger Gegner, deswegen wurden die Unterkünfte von vornherein erhöht gebaut. Und jetzt wo die Polkappen schmelzen, lebt die eingeschworene Gemeinschaft von wenigen Menschen auf Bathtube in ständiger Gefahr vor Hochwasser. Aber, schmelzen die Polkappen wirklich? Und was ist mit den urzeitlichen Auerochsen, die aus den geschmolzenen Eisbergen ausbrechen und sich mit ihren drei Metern Schulterhöhe auf die Suche nach Hushpuppy machen?
Die Menschen auf der Bathtube sind so unglaublich arm, das es fast wie eine Überspitzung in die Phantastik anmutet. Aber nicht nur in Louisiana sind Gegenden und Zustände wie in BEASTS dargestellt keine Übertreibung. Was also zeigt Benh Zeitlin dem Zuschauer mit seinem Film? Wohin führt die Erzählung? Wer dem Film eine Chance gibt, wird zuerst nicht begreifen, ob er einen Film sieht der nach der Apokalypse spielt, oder ob diese Zustände eines Lebens im wirklichen Leben tatsächlich möglich sind. Benh Zeitlin hält die Hintergründe der Geschichte ganz bewusst sehr vage. BEASTS soll sich trotz seines realen Hintergrundes deutlich von der Realität abheben, obwohl er in einer realen Welt angesiedelt ist. Auch wenn man diese Welt als rationaler Mensch einer Mittelschicht nicht begreifen kann.
BEASTS ist keine überhöhte Ode an die Armut, wie sie Menschen und ihr Leben prägen kann, wie die Armut Menschen zusammenschweißt. Nein, das ist er ganz gewiss nicht. Es ist auch kein Fantasy-Abenteuer, das die endzeitliche Stimmung dieser Armut zu nutzen versteht. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD ist eine Lobgesang auf das Leben, auf die Akzeptanz des Schicksals, und ein optisch überwältigendes Abenteuer an Menschlichkeit. BEASTS wird aus der Sicht der sechsjährigen Hushpuppy erzählt, und dieser Pfad wird auch nicht verlassen. Und die Welt aus der Sicht einer Sechsjährigen ist für einen erwachsenen Zuschauer oftmals schwer zu begreifen. So etwas löst diesen Film von allen bekannten Konventionen, und trägt zum Mystizismus des Dargestellten bei.
Hier erklärt sich der Erfolg bei den Zuschauern der einzelnen Festivals. BEASTS entzieht sich all seinen mühsamen Erklärungen, die Kritiker bereithalten, um den Erfolg überhaupt verständlich zu machen. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD ist ein unberechenbares Abenteuer für Auge, Ohr und Verstand. Wo immer sich dieses Abenteuer seinen Erklärungen zu entziehen versucht, fordert es den Zuschauer nur noch weiter heraus. Und so etwas ist im Kino wirklich selten geworden. Nun ist es am Interessierten, sich darauf einzulassen, Hushpuppys Gedankenwelt zu erleben und zu erforschen. Sind die urzeitlichen Auerochsen wirklich nur Ausgeburten der Fantasie?
Darsteller: Quvenzhane Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly, Lowell Landes, Pamela Harper, Gina Montana, Nicholas Clark, Jovan Hathaway u.a.
Regie: Benh Zeitlin
Drehbuch: Benh Zeitlin, Lucy Alibar nach dem Bühnenstück von Lucy Alibar
Kamera: Ben Richardson
Bildschnitt: Crocket Doob, Affonso Goncalves
Musik: Dan Romer, Benh Zeitlin
USA / 2012
zirka 93 Minuten