Dies ist ein Steven-Spielberg-Moment: Ein marodierender Panzer rumpelt durch die fiktive marokkanische Stadt Bagghar und schiebt in einer für den Regisseur typisch irrealen Überhöhung ein ganzes Hotel vor sich her. Am Ende der Verfolgungsjagd bricht der Panzer vom Hotel frei und zieht seiner Wege, während der Besitzer des Hotels herauskommt und erstaunt aber kommentarlos feststellt, dass sein Haus nun direkt am Strand steht. Ebenso schweigsam dreht er sich einfach um und klebt auf das Hotelschild neben die zwei vorhandenen einen dritten Stern.
„Tim und Struppi“ ist gespickt mit diesen Spielberg-Momenten. Was ist es dann, was diesem Film fehlt, um letztendlich ein wirklicher Steven Spielberg zu sein? Wenn das einstige Wunderkind Hollywoods behauptet, dass die Abenteuer von „Tim und Struppi“ auch eine Inspiration für „Indiana Jones“ gewesen waren, möchte man das sofort glauben und nicht als Marketingklischee verstanden wissen. Einmal am Laufen, läuft der Film ohne Unterlass, warum aber läuft er nicht rund?
Komplett am Computer entstandene Filme bieten alle Freiheiten dieser Welt. Vielleicht ist es das, was sich Spielberg schon bei „Indiana Jones“ gewünscht hat. Oben genannte Verfolgungsjagd ist in einer scheinbar einzigen Kameraeinstellung gedreht. Oder entwickelt? Wie auch immer man diese Arbeit am Computer bewerten möchte. Zumindest hat Jamie Bell in seinem Motion-Capture-Anzug alle Bewegungen während dieser Verfolgungsjagd tatsächlich vorspielen müssen. Aber ist das wirklich ein Ersatz für das geschundene Gesicht von Harrison Ford, wenn dieser an einem Panzer hängt und gegen eine Felsformation gedrückt werden soll? In seinen Action-Sequenzen hat Spielberg nie so richtig die Grenze zur Realität akzeptiert. Ausgenommen bei „Private Ryan“ selbstverständlich. Bei Spielberg bestechen gerade die Abenteuerfilme mit selbstverständlichen Überspitzungen und realitätsfernen Seitensprüngen, die aber genauso selbstverständlich in Kauf genommen werden. Denn Spielberg inszeniert so unbeschwert charmant auf höchstmöglichen Unterhaltungswert hin, dass man gewisse Dinge gar nicht erst in Frage stellen will.
Als nach einer Action-Sequenz Doctor Jones mit Elsa Schneider aus den Katakomben von Venedig durch einen Kanaldeckel auf einen von Touristen überfüllten Platz steigt, ruft er zur Ablenkung überrascht, „ah, Venedig!“. Dies ist ein Steven-Spielberg-Moment. Kein Schenkelklopfer, kein Mördergag, aber etwas überraschend Erheiterndes, das die Anspannung wieder löst. Und es ist steter Beweis, dass das Wunderkind trotz Schindler, Amistad oder der lila Farbe nicht von seinem unbeschwerten, fast kindlich anmutenden Gemüt lassen kann. Ob lustig oder dramatisch, funktioniert im Kino der emotionale Moment grundsätzlich über Identifikationsfiguren. Das ist Richard Dreyfuss, wenn er im „weißen Hai“ als Antwort auf Robert Shaws zerdrückte Dose einen Kaffeebecher zwischen den Fingern zerquetscht. Aber es ist auch Haley Joel Osment, wenn er in „A.I.“ einfach nur dasitzt und Jahrhunderte darauf wartet, bis die blaue Fee mit ihm spricht. Oder es ist Harrison Ford.
Es ist ein Unternehmen der Herzen. Zwei der populärsten Produzenten und Regisseure bündeln ihre Energie für ein Projekt, das im für den Umsatz entscheidenden Markt Amerika sonst kaum Chancen hätte. Für den zweiten Teil werden Regisseur und Produzent ihre Funktionen tauschen. Nicht so aufwendig wie das geglückte Wagnis „Herr der Ringe“, aber ein cineastisches Experiment, welches durchaus mit der in „Indy“ aufgegangenen Kollaboration zwischen Lucas und Spielberg zu vergleichen ist. Lediglich der finanzielle und auch kulturelle Erfolg wird ein anderer sein. „Tim und Struppi“ entpuppt sich als Nonstop-Achterbahnfahrt, die kaum Verschnaufpausen lässt. Richtig tiefgründig oder originell ist die Geschichte nicht, fällt dabei allerdings überhaupt nicht ins Gewicht. Die straffe und auf den Punkt gebrachte Regie macht alles andere wett. Tatsächlich haben Jackson und Spielberg einen der actionreichsten, dazu auch stimmigsten Abenteuerfilme auf die Leinwand gebracht, der in den letzten Jahren auf die Leinwand gekommen ist.
Nicht weit von einem Jahrhundertwerk, hätte man mit echten Schauspielern und klassischer Inszenierung gearbeitet. Steven Spielberg ist ein Schauspieler-Regisseur, und das ist das, was „Tim und Struppi“ leider vermissen lässt. Es sind zum einen diese kalten toten Augen, die bei jedem Motion-Capture-Film sofort auffallen. Stellt sich die Frage, warum es bei „Planet der Affen“ funktioniert hat. Motion-Capture hat große Fortschritte gemacht, doch viele Szenen entlarven das Verfahren immer noch durch manch unnatürlich oder ungelenk wirkenden Ablauf in den Bewegungen. Hinzu kommt ein stereoskopisches Bild, das außer einer gewissen Räumlichkeit nichts zur Erzählebene beizutragen versteht. Nicht einmal ein paar ins Auge springende Gimmicks gönnen einem die Macher, obwohl sich das gerade bei diesem Film nicht nur anbieten, sondern auch rechtfertigen würde. Allein die Gewitter-Szene oder die Absturz-Sequenz hätten mit diesen Techniken, in den Händen dieser beiden begnadeten Filmemacher, Sternstunden des Kinos werden müssen.
Bald kommt Spielbergs „War Horse“ in die Kinos. Ein Mann, ein Pferd, und beide mitten im Krieg. Das schreit förmlich nach einem Film mit vielen Spielberg-Momenten. Diesmal in anderer Richtung, wenn nach den wahrscheinlich reichlich überstrapazierten melodramatischen Szenen zur Auflösung erst recht noch die Tränendrüse bemüht wird. Das funktioniert bei einem Regisseur, der nie so ganz die Grenzen der Überhöhung abschätzen konnte. Aber man wird es hinnehmen, weil man das Herzblut spürt, das in der Inszenierung steckt. Herzblut, das bei „Tim und Struppi“ nur sichtbar wird, sich aber nicht überträgt. So schält sich aus einem eigentlich sehr guten Film eine brennende Frage: Warum läuft er nicht wirklich rund? Und das bei einem Film, der eigentlich prall gefüllt ist mit Spielberg-Momenten.
Darsteller: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig, Nick Frost, Simon Pegg, Toby Jones, MacKenzie Crook, Daniel Mays, Gad Elmaleh u.a.
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: Steven Moffat, Edgar Wright, Joe Cornish
Kamera: Michael Kahn
Bildschnitt: Michael Kahn
Musik: John Williams
Konzept Designer: Rebekha Tisch, Chris Guise
USA / 2011
zirka 107 Minuten