Vierzehn Jahre nach „Air Bud“ versucht sich Schauspieler-Regisseur Charles Martin Smith erneut im tierischen Bereich, allerdings mit mehr Verständnis und leidenschaftlicherer Umsetzung für einen familienorientierten Film. Unverständlich bleibt dabei, warum Warner den Film in Amerika bereits im September startete, da er zur Weihnachtszeit ein wesentlich größeres Publikum erreicht hätte. Denn eine Geschichte um einen Delfin und seinen menschlichen Freund ist grundsätzlich sehr schwer zu vermarkten. Wobei im Originaltitel das Wortspiel um Tale und Tail, also Geschichte und in diesem Fall Heckflosse, dem Film mehr Gewichtung verleiht. Der deutsche Titel „Mein Freund, der Delfin“ hingegen wird es diesem überaus gelungenen und durchweg sympathischen Film nicht leicht machen. Natürlich erzählt auch diese Geschichte nicht wirklich Neues, wenn es um die Freundschaft zwischen Mensch und Tier geht. Aber „Dolphin Tale“ geht tiefer, wird in seinem Verlauf vielschichtiger und gerät nie in Versuchung, mehr sein zu wollen, als er tatsächlich ist.
Der elfjährige, verschlossene Sawyer findet am Strand von Clearwater/Florida einen Delfin und befreit das verletzte Tier aus einer Krabbenfalle. Von hier an übernimmt das Marine Hospital, doch Sawyer ist so angetan von dem Tier, dass er sich am nächsten Tag in das Hospital schleicht. Hier macht er die Bekanntschaft der gleichaltrigen Hazel, deren Vater Doktor Clay Haskett die Klinik leidet. Der weibliche Delfin, den man Winter getauft hat, ist schwerer verletzt, als der Doktor zuerst angenommen hatte, zudem verweigert Winter die Nahrungsaufnahme. Doktor Haskett ist nicht davon angetan, dass seine Tochter den ungebetenen Sawyer in Schutz nimmt, erkennt aber sofort, dass das Delfinweibchen auf den Jungen reagiert.
Was den Film letztendlich wirklich spannend macht, ist die wahre Geschichte dahinter. Nicht nur, dass die Geschichte um Winter und ihrer amputierten Flosse wirklich passiert ist, sondern dass sich Winter in „Dolphin Tale“ auch selbst darstellt. Um ihr reales Schicksal hat man die Geschichte um Sawyer gewoben, ein in sich zurückgezogener Junge, dem der Vater davongelaufen ist, und dessen einzig männliche Bezugsperson ihren Dienst in Afghanistan antritt. Sie betrachten sich gegenseitig als Stimulation und Ansporn für ihr jeweils eigenes Leben, ohne wirklich voneinander abhängig zu sein. Das ist das Schöne an der Geschichte und Charles Martin Smith‘ Umsetzung: Soweit es die Dramaturgie zulässt, bleibt die Beziehung zwischen Winter und Sawyer auf einer ernstzunehmenden Ebene. Sie brauchen sich nicht, aber sie möchten gebraucht werden.
Mit Nathan Gamble hat sich Charles Martin Smith einen fast schon alten Hasen im Geschäft gegönnt, der der Figur des jungen Sawyer eine überraschende Präsenz verleiht. Die gleichaltrige Cozi Zuehlsdorff muss dabei stark zurückstecken. Das Drehbuch hat für ihren quirligen Charakter ohnehin wenig Zeit, und so kann sie am Ende im Spiel mit Gamble nur verlieren. Namen wie Judd und Connick Jr. werten den Film zweifellos auf, und die Versuchung war sicherlich groß, mit ihnen mehr anzufangen. Doch glücklicherweise war sich die Regie bewusst, worauf es im Film ankommen sollte. Lediglich Morgan Freeman sticht trotz seiner geringen Leinwandzeit heraus, aber das ist eben die Souveränität eines Morgan Freeman. Ist dies vordergründig ein Film über die Beziehung zwischen einem Jungen und einem Delfin, geht es in „Dolphin Tale“ letztendlich um die schweren Stufen des Erwachsenwerdens. So wird Winter nicht zum lustigen Flipper und bekommt auch sonst keine vermenschlichten Attribute, obwohl auch hier wahrscheinlich die Versuchung sehr groß gewesen sein muss. Das schwimmende Säugetier darf ein Delfin bleiben. Und das ist der kraftvollste Punkt in der Inszenierung. Dass sich Winters Gefühlswelt dennoch auf den Zuschauer überträgt, ist die Kunst in der Regie, diese Emotionen von Nathan Gamble wiederspiegeln und ausspielen zu lassen.
Carl Walter Lindenlaub hat in seiner Karriere sicherlich einige fabelhafte Szenenbilder geschaffen. Hat den „Independence Day“ visualisiert, eine Reise nach Narnia beobachtet und den flüchtenden Richard Gere in Peking mit der Kamera verfolgt. Mit „Dolphin Tale“ hat er sich allerdings keine Lorbeeren verdient. Während die Szenen einem gewissen, tadellosen Standard entsprechen würden, verliert die Optik vollkommen durch den Einsatz von 3-D. Lediglich in den einzigen zwei CGI-Sequenzen des Films kommt die Räumlichkeit zum Tragen, aber ausgerechnet diese zwei Szenen sind nicht nur vollkommen absurd, sondern ebenso überflüssig. Wieder ein Beispiel, dass sich 3-D dadurch längst abgenutzt hat, dass kaum ein Film etwas damit anzufangen weiß.
„Dolphin Tale“ ist es ein Familienfilm, und er ist es durch und durch. Da ist etwas Schmalz durchaus angebracht, aber dafür ist der Film niemals rührselig. Er verstößt sogar gegen die Konventionen, wenn die attraktive, alleinerziehende Mutter auf den attraktiven, alleinerziehenden Vater trifft, und ihnen dennoch eine Beziehung zu Gunsten des eigentlichen Themas verwehrt wird. Die Macher verweigern sich auch der modernen Struktur, die Erzählung für Erwachsene und Kinder aufzuteilen. In all seinen Facetten wird „Dolphin Tale“ von allen Altersschichten gleich wahrgenommen, so gesteht er dem jungen Publikum mehr Substanz zu als üblich, und erwartet von den Älteren, ihr junges Wesen wiederzuentdecken. Da darf ein aktueller Krieg durchaus eine Rolle spielen, der im weiteren Verlauf schließlich die Geschicke der Figuren lenkt. Es ist ein Familienfilm, wie es ihn schon lange nicht mehr gegeben hat. Rein und unverfälscht, ehrlich und mit einigem Tiefgang. Er hat Humor und er bewegt. Es ist die Geschichte von Winter, einem Delfin, der zur Inspiration von unendlich vielen Menschen wurde. Und es ist die Geschichte eines Jungen, der ein sehenswertes und ergreifendes, wenngleich fiktives Beispiel für diese Inspiration ist.
Darsteller: Nathan Gamble, Harry Connick Jr., Ashley Judd, Kris Kristofferson, Cozi Zuehlsdorff, Morgan Freeman, Austin Stowell, Frances Sternhagen u.a.
Regie: Charles Martin Smith
Drehbuch: Karen Janszen, Noam Dromi
Kamera: Carl Walter Lindenlaub
Bildschnitt: Harvey Rosenstock
Musik: Mark Isham
Produktionsdesign: Michael Corenblith
USA / 2011
zirka 112 Minuten