Es ist der achte Film mit dem Zauberlehrling Harry Potter. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es so schön. Und die Lehrjahre sind vorbei. Ja, aus Daniel Radcliffe ist ein Herr geworden, aus Emma Watson nicht, und Rubert Grint kann sich noch nicht entscheiden. Aber soll es das gewesen sein, weil die Schlagzeile von Teil acht das so vollmundig behauptet? In Rezensionen rund um den Globus steht dieser eine Satz als kerniger Mittelpunkt. Man möchte das Ende einer Ära beschwören, den Abgesang zelebrieren, sieht man am Ende sogar Bemühungen um einen Schlussstrich? Man muss dem Ganzen mit der Schlagzeile von Teil eins entgegenhalten: Let the magic begin.
Kein Zweifel, dass ‚Deathly Hallows 2‘ als eigenständiger Film eine Katastrophe ist. Es ist ein Film, der in keiner Sekunde anschaubar ist, wenn man noch keinen Harry Potter gesehen hat. Und er ist nur schwer verständlich, wenn man lediglich ‚Hallows 1‘ gesehen hat. Natürlich rennt niemand ins Kino, der noch völlig jungfräulich ist. Somit ergibt sich das erste Mal, dass ein Multi-Millionen-Dollar-Blockbuster ausschließlich für Fans gedreht wurde. Wenn Harry sich den Tarnmantel umwirft, dann wird da nichts erklärt, man akzeptiert es als selbstverständlich. Und da sitzt im zerstörten Hogwarts auch keine weinende Emma Thompson, sondern hinter ihren Aschenbecherdicken Brillengläsern versteckt sich Professor Trelawny.
Dieser Film ist in der Tat anders als alle anderen. Er erzählt keine spannende Geschichte, sondern steuert unbeirrt und schnörkellos auf ein längst bekanntes Ende zu. Und das ist spannend. Dann ist es Harry Potters eigener Film. War der große Handlungsbogen stets vom Dreiergespann der großen Freundschaft flankiert, müssen Hermine und Ron für das Finale hinten anstehen. Das muss so sein. Schade um das Talent von Emma Watson, dafür muss man weniger Elend des Rupert Grint ertragen. Jeder der vorangegangenen sieben Filme hatte mit seinen Schwächen zu kämpfen gehabt. Eigenartigerweise relativiert sich das alles mit diesem zweiten Teil des Endspurts. Die sich des Zuschauers ermächtigende Düsternis kommt nicht vom eigentlich tatsächlich düstersten aller Filme. Sie kommt von der allerorts im Kinosaal entstehenden Erkenntnis der Gewissheit des Endlichen.
1178 Minuten Harry Potter konnte der geneigte Zuschauer erleben. Das sind knapp 20 Stunden.
Vorausgesetzt, man bricht die komplette und zusammengehörende Reihe auf einen 120-Minuten-Spielfilm herunter, ergibt sich ein Showdown, der gerade mal 13 Minuten dauert. So gesehen ein sehr passabler Film. Natürlich ist das ein spleeniges Gedankenspiel, welches allerdings die berechtigten Kritiken an einem mit vielen Schwachpunkten versehenen Film wie mit magischer Hand wegzuwischen vermag. ‚Harry Potter and the Deathly Hallows Part 2‘ entzieht sich als Massenphänomen jeder berechtigten oder unberechtigten Kritik. Er ist nicht angreifbar, auch wenn er das bisher schlimmste Beispiel an nutzlosem und schlechtem 3-D ist.
Mit neun Jahren haben die Darsteller angefangen, mit 21 feiern sie die letzte Filmpremiere. Sie haben durchgehalten, der Zuschauer hat durchgehalten. Vom quietschbunten Fantasy-Märchen zum finsteren Schlachtengemälde. Richard Harris, Ralph Fiennes, Kenneth Branagh, John Hurt, Emma Thompson, Maggie Smith, Julie Walters, Alan Rickman, Brandan Gleeson, Jason Isaacs, Imelda Staunton, Robbie Coltrane, Michael Gambon. Verstanden? Nie wieder wird eine Produktion ein Ensemble wie dieses vereinen können, wo sich selbst die bekanntesten Namen hergeben, auch wenn kaum Leinwandzeit in Aussicht steht. Bei zukünftigen Produktionen würde sich zudem noch der Name Daniel Radcliffe einreihen. Man hat das Potenzial des kleinen Jungen nicht erahnen können, aber im Laufe der Jahre miterleben dürfen.
Ein Publikum ist erwachsen geworden. Ehemals von ihren Eltern begleitete 12-Jährige rücken nun zwischen Studium und ersten Heiratsplänen in Cliquen von Gleichaltrigen an. Dagegen kann der ein oder andere Erwachsene in der zehnjährigen Zeitspanne schon aus der demografischen Zielgruppe gefallen sein. Das Phänomen ist eben nicht auf Buch und Verfilmungen reduziert. Wer immer sich bisher auch beiden Medien wiedersetzen konnte, kennt trotz allem die Schule für Hexerei und Zauberei.
Da nützt es auch nicht, dass Warner Bros. die kindlichen Fans und jugendlichen Anhänger einfach scheiße behandelt hat, gegen sie Anwälte aufhetzte, deren Seiten sperren ließ, erst klagte und dann fragte. Alles relativiert sich mit der Zeit. Es geht schon lange nicht mehr darum, dass Warner die Geldkuh bis zur absoluten Trockenheit gemolken hat oder Joanne K. die reichste Frau Großbritanniens ist. Der Zauberlehrling war samt seiner Welt schon lange vor Erscheinen des letzten Buches oder der Premiere des jüngsten Films als fester Bestandteil der populären Kultur angekommen. Über kurz oder lang werden der bordeaux-gelbe Schal und die Nickelbrille das Sklavenkostüm von Prinzessin Leia als Ikonen-Verkleidung ablösen.
Vergessen wir die in den meisten Rezensionen längst ausgereizte Schlagzeile. Jetzt stellt sich die Frage, was wir mit diesem Vermächtnis anfangen. Oder was dieses Phänomen nach sich ziehen wird. Vielleicht nichts. Vielleicht noch Großartiges. Dem einen mag es am Hintern vorbeigehen, die andere kommt vielleicht nie davon los. ‚Deathly Hallows 2‘ ist als eigenständiges Werk eine Katastrophe. Doch gerade dadurch wurde das Phänomen Harry Potter als stimmiges Ganzes abgerundet, gefestigt und zu einem Erlebnis. Und das hat doch schon was Magisches. Let the magic begin.
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2
Harry Potter and the Deathly Hallows Part 2
Darsteller: Daniel Radcliffe, Emma Watson, Ralph Fiennes, Rupert Grint, Alan Rickman, Maggie Smith, Kelly Macdonald, Warwick Davies, David Thewlis u.v.a.
Regie: David Yates – Drehbuch: Steve Kloves – Kamera: Eduardo Serra – Bildschnitt: Mark Day – Musik: Alexandre Desplat – Produktionsdesign: Staurt Graig
Großbritannien / 2011 – zirka 131 Minuten
Bildquellen: Warner, Matt Hollyoak (von diversen Blog-Seiten ohne konkrete Quellenangabe)
Bei Interesse sind von Teil 1 bis Teil 6 im Archiv Rezensionen nachzulesen.
Harry Potter und der Stein der Weisen
Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Harry Potter und der Gefangene von Azkaban
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