WALKING DEAD wandeln auf erhofften Pfaden

Offene Wunden, vergammelte Innereien, gespaltene Schädel. Hurra, die Zeit des Wartens ist vorbei. Seit Sonntagabend ist die Welt endlich wieder kalt, trostlos und apokalyptisch. Diskussionen bis das Blut kocht, Fragen, die das Hirn zerfressen, Lobpreisung und Verdammnis lagen selten näher beieinander. Noch ist es Frank Darabonts Serie, und Frank hält, was er verspricht, auch wenn das manche anders sehen möchten. Die Toten wandeln wieder, und sie tun es mit all dem Potential, das schon die erste Staffel so einzigartig machte.

Wie im Vorjahr lässt es sich der internationale Vertreiber Fox-Channel nicht nehmen, die in Amerika von AMC ausgestrahlte Serie schon fünf Tage nach der Premiere auch in Deutschland zu zeigen. Somit ist das Spektakel um die langsamen Wandler schneller als alle anderen Fernsehprodukte in Deutschland verfügbar. Das freut nicht nur den Fan, sondern sollte auch ein mahnendes Beispiel für andere Sender mit all den anderen Serien sein, die einem erwartungsvollen Publikum manchmal sogar Jahre vorenthalten werden. Hat Fox noch die ersten sechs Folgen von Staffel 1 im Zweikanal-Ton versprochen, aber dieses Versprechen nicht eingehalten, war zumindest die letzte Wiederholung der gesamten ersten Staffel am Stück in deutscher wie in englischer Sprache zu belauschen. Für diesen Freitag und die kommenden sechs Freitage kündigt Fox gleich von der Erstausstrahlung beide Sprachvarianten an. Und nicht nur das, diesmal soll dem interessierten Zuschauer auch nicht die 20 Minuten längere US-Fassung der Premieren-Episode vorenthalten werden. Gibt es am Ende Lernfähigkeit in Fernsehbetrieben?

Nahtlos knüpft die neue Episode an das Ende der ersten Staffel an. Es ist nach der Flucht aus der sich selbst zerstörenden Seuchenschutzbehörde. Nach der Flucht aus Atlanta. Und Deputy-Sheriff Rick Grimes fragt seinen unsichtbaren Freund Morgan aus Folge 1 über Funkgerät: „Eine lange, harte Reise steht uns bevor. Vielleicht schlimmer als ich mir es vorstellen kann. Aber kann diese Reise schlimmer werden als sie es bisher war?“
Zumindest schenkt das Schicksal seinen Protagonisten nichts, und besser wird es auf keinen Fall. Doch wie kann man diese Folge auseinandernehmen, ohne die Innereien zu verletzen? Sprich, wie kann man darüber referieren, ohne allzu viel preiszugeben? Man kann es nicht. Der Punkt allerdings ist, dass es auch nichts ausmacht. „What Lies Ahead“ ist weniger eine Episode über Entwicklung oder Handlungsverlauf als vielmehr Exposition. Es ist eine Wiederholung verschiedener Szenarien der vorangegangenen Staffel, zusammengefasst in einer sehr eigenen Geschichte.

Die Gang, derer sich Rick Grimes in aufopferungsvoller Besessenheit angenommen hat, macht sich auf den Weg nach Fort Benning, einem Militärstützpunkt, in dem es noch mehr Überlebende geben könnte. Mit dem Platzen des Kühlerschlauchs des Campingbusses endet vorerst die Fahrt auf dem Highway, inmitten in einer riesigen Ansammlung liegengebliebener Fahrzeuge. Hier wird zum ersten Mal die bedrückende Stimmung wieder deutlich, die eine Welt wie diese heraufbeschwört, wenn sich die Fahrzeuge der Flüchtenden durch den Stau schlängeln. Überall Tote, oder sind es am Ende einige von ihnen gar nicht? Wer immer diese Sequenz inszeniert hat, die Titel geben Dickerson und Horder-Payton als gleichberechtigte Regisseure an, hätte aus dem Szenario trotz seiner bereits unheimlichen Wirkung mehr herausholen können. Das Set war vorhanden, das Spiel mit den Ängsten und Möglichkeiten wäre ausbaufähig gewesen. Als hinzunehmendes Manko wird dies allerdings erst später deutlich. Nämlich dann, wenn die Überlebenden in dieser unübersichtlichen Umgebung von kreuz- und querstehenden Fahrzeugen aller Größe plötzlich von einem riesigen Pulk „Walker“ überrannt werden. Diese Sequenz ist von unglaublicher Intensität, die den Zuschauer an den Rand des Ertragbaren bringt. Und es ist einer der Momente, die „Walking Dead“ von Anfang an zu etwas Besonderem gemacht hat. Nicht nur, was geschieht überwältigt den Zuschauer, sondern auch wie es umgesetzt ist.

Innerhalb des apokalyptischen Umfeldes, seiner unschönen Auswirkungen und den Alles-ist-möglich-Szenarien versteht „Walking Dead“ es, immer wieder Momente der Überraschung zu schaffen. Keine Momente, bei denen etwas aus dem Nichts ins Bild springt, sondern dieses Unerwartete, das den Zuschauer aus der Situation reißt, ihn zum Umdenken zwingt und diese Situation erst zu einer stimmigen Überhöhung bringt. In den ersten zwei Folgen waren das Hannah, das mittlerweile berühmt gewordene Bicycle-Girl, und William Dunlap, dessen toter Körper als Tarnung missbraucht werden musste. In „What Lies Ahead“ sind es drei Tote, die nicht wandeln, sondern andächtig sinnierend auf Bänken sitzen. Rick Grimes, Shane und Daryl tun, was getan werden muss, sie tun es routiniert, sie tun es sehr gut. Doch plötzlich überfällt sie die Erkenntnis, was eigentlich wirklich geschehen ist. Als ergebener Fan beglücken einen natürlich jeder gespaltene Schädel und jede Einstellung mit Blutfontänen, denn „Walking Dead“ geht eben viel weiter als alle anderen Fernsehserien bisher. Umso erschreckender nicht nur für die Charaktere, sondern auch für den Zuschauer, dass eben diese Szene, die so wohlwollend beginnt, auch so aufgenommen wird. Bis einem klar wird, dass diese Maßnahme in einer funktionierenden Zivilisation in diesem Umfeld gar nicht möglich gewesen wäre.

Doch nicht nur die Freunde von Blut und Ekel werden bestens bedient, wie zum Beispiel mit einer etwas eigenwilligen Obduktion, sondern auch Anhänger von tiefergehenden Charakterzeichnungen kommen auf ihre Kosten. Andrea, die sich im letzten Staffel-Finale eigentlich das Leben nehmen wollte, fühlt sich um ihre eigene Entscheidungsfindung betrogen. Shane, der als bester Freund von Deputy Grimes ein Verhältnis mit dessen Frau Lori hatte, wird immer mehr bestärkt, die Gruppe zu verlassen. Und Rick selbst flüchtet sich immer resoluter in seine sich selbst aufgetragene Verantwortung. Jeder Rückschlag, der eigentlich durch die Umstände der Gegebenheiten gar nicht zu verhindern gewesen wäre, lässt ihn verzweifelter, aber auch energischer werden.

So sehr sich die Autoren auch bemühen, in dieser Episode zum Beispiel mit dem Konflikt zwischen Dale und Andrea immer mehr Figuren weiter auszubauen und tiefgründiger zu gestalten, ist Rick Grims einfach ein zu starker Charakter, als dass der Zuschauer ihn einmal hintenan stellen könnte. Andrew Lincoln besitzt dieses gewisse Understatement, das ihn paradoxerweise charakterlich so hoch stellt. In keinem Moment aller bisherigen sieben Episoden gibt er den Eindruck von Schauspielerei. Hier müssen sich die Schreiber noch etwas einfallen lassen, um die anderen Figuren besser hervorheben zu können. Mit bisher elf Hauptcharakteren ist es sowieso schwierig, eine wöchentliche Show ausgewogen zu bedienen. Und so sehr man dieser Serie und ihren Darstellern auch gewogen sein mag, sollte man nicht verklären, dass trotz ihrer intensiven Thematik doch alle Darsteller auf Serien-Niveau agieren. Mit eben einer Ausnahme.

Die Regisseure Ernest Dickerson und Gwyneth Horder-Payton sind Veteranen der Fernsehunterhaltung im Phantastischen und im Thriller-Bereich, und mit ihrem Zutun bereits von der ersten Staffel mit den wandelnden Toten vertraut. Aber ihrer Inszenierung nach fehlt noch der gewisse Tritt in die Eingeweide, der die Ecken und Kanten noch etwas spitzer und schärfer machen könnte. Was an eventuell kontroversen Einfällen und dramaturgischen Härten umgesetzt wurde, sind vom Drehbuch vorgegebene Szenarien. Ob die Qualität der Drehbücher standhält, ist ein großer Unsicherheitsfaktor. Nach dem Weggang von Frank Darabont inmitten der Postproduktion der zweiten Staffel kann man nur hoffen, dass nach seinem Ausscheiden konzeptionell nichts mehr geändert wurde, da Darabont an der Entwicklung aller Bücher der zweiten Staffel beteiligt war. Man kann lediglich die Daumen drücken, allerdings nur die eigenen.

Und vielleicht wäre es auch einmal angebracht, dass David Boyd seinen visuellen Stil an der Kamera etwas einfallsreicher gestaltet. Gott bewahre uns vor optischen Spinnereien oder halsbrecherischen Veränderungen am Schneidetisch. Doch von seiner Kameraführung her wäre etwas mehr Spielerisches wünschenswert, etwas mehr die Thematik Unterstützendes oder aber diese wesentlich stärker kontrastierend. Boyd bedient sich viel zu starr eines klassischen Bildaufbaus und bleibt optisch einem Konzept verhaftet, das scheinbar von der ersten Folge an für die Serie festgelegt wurde.

Trotz allem haben die Überlebenden unsichere und auch unangenehme Zeiten vor sich. Dadurch steht auch dem Zuschauer eine lange, harte Reise bevor. Aber kann sie schlimmer werden als das, was wir bisher gesehen haben? Ja, es kann schlimmer werden, zum Besten einer glühenden Anhängerschaft und eines Publikums, das anderweitig zur Odyssee des Überlebens fand. „Walking Dead“ ist keine Serie ohne Mängel, ohne Leerlauf, ohne Schwierigkeiten. Und sie ist erst recht nicht perfekt. Aber sie hat den Vorteil, dass sie ehrlich sein kann und dies bisher auch war, allein weil jedes Szenario möglich bleibt und sie sich keinen Restriktionen unterwirft. So darf man in einer aus den Fugen geratenen Welt auch die dunkle Seite der strahlenden Helden bewundern oder sich einfach mal in seiner eigenen Gedankenwelt verlieren. Was würden wir tun? Wie würden wir handeln, reagieren, töten? Würden wir? Dies ist eine Welt, die man sich eigentlich real nicht vorstellen kann, die unser Verstand in seiner Gänze nicht zulässt zu begreifen. Aber „Walking Dead“ bringt uns an den Rand dieses Wahnsinns, von dem man einen guten Ausblick auf die vielen Möglichkeiten hat, an welcher Position man sich selbst einordnen könnte.

Eine sehr ausführliche Betrachtung von Staffel 1 findest du beim Anklicken.

S02E01 – What Lies Ahead
Darsteller:
Andrew Lincoln – Rick Grimes
Sarah Wayne Callies – Lori Grimes
Jon Bernthal – Shane Walsh
Laurie Holden – Andrea
Jeffrey DeMunn – Dale
Steve Yeun – Glenn
Chandler Riggs – Carl Grimes
Norman Reedus – Daryl Dixon
IronE Singleton – T-Dog
Melissa McBride – Carol Peletier
Madison Lintz – Sophia Peletier
Regie: Ernest Dickerson, Gwyneth Horder-Payton
Drehbuch: Ardeth Bey (a.k.a. Frank Darabont)
Kamera: David Boyd
Bildschnitt: Julius Ramsay, Hunter M. Via
Musik: Bear McCreary
USA / 2011
zirka 65 Minuten

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