Grüße an Herz und Verstand: BLUE VALENTINE

18 Monate nach seiner Premiere auf dem Sundance Film Festival schafft es endlich Derek Cianfrances düsteres Ehedrama auch in unsere heimischen Kinos. Und wer sich darauf einlassen möchte, zwei Menschen persönlich so nahe zu kommen, dass es tatsächlich schmerzen kann, der erlebt Gefühlskino, das ehrlicher und intensiver nicht sein kann. Nach seinem ersten Langfilm hatte sich Autorenfilmer Cianfrance erst mal 11 Jahre mit Kurzfilmen und Dokumentationen die Zeit vertrieben, bis er mit diesem Drama im Festival-Zirkus zurückmeldete und die Cineasten in Verzückung mit Gänsehaut versetzte.

Dean und Cindy lieben sich innig. Auch nach sechs Jahren Ehe wissen beide, dass sie füreinander bestimmt bleiben. Dennoch zerbricht die Einheit der Familie. Zerbricht ihre Zweisamkeit. Zerbrechen ihre Vorstellungen vom Leben. In geschickten Parallelmontagen stellt der Film gegenüber, wie sich Cindy und Dean kennenlernten, und wo sie letztlich angekommen sind. Ihre sofortige Vertrautheit, die anfänglich Geborgenheit versprach. Später endet auch wirklich jedes Gespräch in Missverständnis und Streit. Das Leben dazwischen, die Entwicklung, welche zu einer scheinbaren Sackgasse führte, spart der Film vollkommen aus. Weil es auch vollkommen unwichtig für den Zuschauer ist.

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass Dean und Cindy niemals hätten heiraten dürfen. Es ist der unheilvolle Wendepunkt in ihrem Leben. Für Dean bedeutet Heirat, am Ziel angekommen zu sein. Für Cindy allerdings ist es der Startschuss, im Leben voranzugehen. Von diesem Punkt an wollte sie noch so viel erreichen, während der Status Quo für ihn das perfekte Leben darstellt. Später ist aus der hübschen Cindy keine Hässliche geworden, aber dennoch spiegelt sich in ihrem Aussehen und Auftreten die typisch unzufriedene Mittelschicht wieder.

Für ein unabhängig produziertes Low-Budget-Drama ist es sehr ungewöhnlich, dass drei Autoren verantwortlich sind und sich für den Bildschnitt mehr als eine Person zuständig zeigt. Bei großen Produktionen ist so etwas ein grundsätzlich schlechtes Zeichen. Bei „Blue Valentine“ tut es dem Film merklich gut. Die Geschichte führt in eine Welt, die jeder schon einmal betreten hat, zeigt Situationen, die man mindestens vom Hörensagen kennt. Und der Fluss des Films ist durch den exzellenten Schnitt perfekt akzentuiert.

Was „Blue Valentine“ letztendlich zu dem macht, weswegen man ihn unbedingt sehen sollte, ist die fesselnde Regie. Derek Cianfrance setzt seine beiden Hauptdarsteller derart beeindruckend in Szene, dass es zu keinem Zeitpunkt unangenehm wird, sie zu beobachten. Man ist dennoch so nah an den Figuren, dass man ihrer Gefühlswelt sofort gewahr wird, in guten wie in schlechten Zeiten. Zielen die meisten Filme mit ähnlich gelagerten Themen darauf ab, den Zuschauer zu verunsichern oder unangenehm zu berühren, überrascht „Blue Valentine“ mit purer Ehrlichkeit. Diese Ehrlichkeit kann auch weh tun, aber man kann sich mit ihr auch freuen, sie schafft eine sehr angenehme Nähe zu den Figuren, wo man keine Stellung beziehen muss. Er wird zu einem Film, der am Ende nicht mehr von Cindy und Dean handelt, sondern der als Beziehungsspiegel funktionieren kann.

Doch so ein intensiv authentisches Spiel ist selbst mit bester Regie und noch so viel guten Autoren kaum möglich, wenn man sich dafür nicht die perfekten Darsteller an die Seite stellt. Und mit Michelle Williams und Ryan Gosling hat Derek Cianfrance den Glücksgriff gehabt, das perfekte Paar als Paar zu vereinen. Hier stimmt im Zusammenspiel jede noch so kleine Nuance, die Chemie von Williams und Gosling ist unglaublich. Auch wenn drei Autoren das stimmige Drehbuch schrieben, spürt man, dass in vielen Szenen einfach improvisiert worden sein muss. So ergreifend und realistisch haben sich die zwei Hauptdarsteller aufeinander eingeschossen. Was macht eine Ehe aus? Warum verstehen sich zwei Menschen auch ohne Worte? Wie funktioniert überhaupt eine Beziehung? Diese Frage kann man kaum wissenschaftlich erklären, geschweige denn, dass sie ein Drehbuch erklären könnte. Auch Michelle Williams und Ryan Gosling zeigen keine Erklärung, aber sie sind in der Lage, so eine Beziehung in allen Feinheiten real werden zu lassen.

Am Ende hätten es beide besser wissen müssen. Aber zeichnet das nicht die Liebe eines Lebens aus, dass man durchhält, weil man durchhalten will? Schuldzuweisungen werden irrrelevant, was der Film ja auch konsequenterweise ausspart. Der Anfang einer großen Liebe steht dessen Ende gegenüber. Aber ist es wirklich das Ende, nur weil sich Dean und Cindys Leben festgefahren hat? Auch hier überzeugt der Film mit seiner Ehrlichkeit. Ein Film, an dem sich kommende Beziehungsdramen messen lassen müssen. Selbst in der Dramen-Hochburg des europäischen Kinos. Nur, dass „Blue Valentine“ viel überzeugender ist.

 

Die Filmfamilie von Jemal Countess auf dem Sundance Film Festival fotografiert

Darsteller: Michelle Williams, Ryan Gosling, Faith Wladyka, John Doman, Mike Vogel, Ben Shenkman, Jen Jones, Maryann Plunkett

Regie: Derek Cianfrance – Drehbuch: Derek Cianfrance, Joey Curtis, Cami Delavigne – Kamera: Andrij Parekh – Bildschnitt: Jim Helton, Ron Patane – Musik: Grizzly Bear
USA / 2010 – zirka 120 Minuten

Bildquelle: Jemal Countess/Getty
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar