Es ist die einfache Geschichte von Junge trifft Mädchen, Junge verliert Mädchen, Junge und Mädchen finden sich wieder. Alles schon mal dagewesen, und das nicht zu knapp. Der Verlierertyp, der die High-School-Queen nicht mit Heldentaten überzeugen muss. Doch da ist immer dieser unheilvolle Schatten des Unausgesprochenen. Es ist wie in jeder Romanze, die ein Reibungspotenzial benötigt, um die Liebe auf den Prüfstand zu stellen. Und nach altem Dramaturgie-Rezept verpasst es auch Dave Lizewski immer wieder, seiner scheinbar unerreichbaren Liebe Katie die Wahrheit zu gestehen. Denn je länger ein Geständnis auf sich warten lässt, desto größer wird schließlich der Vertrauensbruch bewertet. In jeder anständigen Romanze geschieht dieses Zerwürfnis in den letzten zwanzig Minuten, um dann zum tränenreichen Finale zu blasen. Bei KICK-ASS geschieht es in der Mitte des Films, dauert 30 Sekunden und danach möchte Katie, mit ihren eigenen Worten gesprochen, dem Helden nur noch das Hirn aus dem Schädel vögeln.
Nach seinem vollkommen unterschätzten STARDUST bricht Regisseur Matthew Vaughn mit KICK-ASS endlich aus dem Schatten der von ihm produzierten Guy-Ritchie-Produktionen heraus. Es ist ein ur-amerikanischer Film geworden, der extrem britische Züge trägt. Die Grundlage der Geschichte ist denkbar einfach und doch noch nicht ergründet worden: Warum hat sich noch nie ein Superhelden anbetender Fan selbst eine Maske übergestülpt und ist zum Menschretter geworden? Dave Lizewski bestellt sich einen grünen Taucheranzug inklusive Maske, zieht los, ein Held zu sein, nennt sich Kick-Ass und bekommt beim ersten Einsatz gewaltig den Arsch versohlt.
Funktionieren die ersten Minuten des Films noch wie eine herkömmlich inszenierte Pubertäts-Komödie, wenn Dave von seiner vollbusigen Lehrerin träumt und im stillen Kämmerlein mächtig die Fleischpeitsche poliert, zwischendrin mit den Kumpels im Comic-Laden abhängt und existenzielle Fragen diskutiert, wird beim ersten Kick-Ass-Kampf schnell klar, dass das Herkömmliche hier wahrlich nicht zu finden ist. Selbst nach schwerer Genesungszeit will der Enthusiast Dave nicht aufgeben und gerät nicht nur wieder an die falschen Bösen, sondern macht eine erstaunliche Entdeckung. In einer Welt voller Comics und ihrer Verfilmungen gibt es Superhelden bereits. Und in der Szene, als ihn diese Erkenntnis trifft, ändert sich nicht nur Daves Weltbild, sondern stellen sich auch die Weichen für das Publikum.
KICK-ASS ist nicht einfach nur der Heldenname der Hauptfigur, sondern eine Beschreibung für den Umgang des Regisseurs mit seinem Publikum. Radikaler hat kaum ein Film in den letzten Jahren mit den Konventionen im Unterhaltungskino gebrochen. Da sind eine Brise SUPERBAD und ein Quantum WATCHMEN, was den Film erklären könnte. Doch mit einer elfjährigen Tötungsmaschine kommt man in Erklärungsnotstand. Mit dem lila perückten Hit-Girl bekommt das Genre des Superhelden-Films eine besondere Note. Geht es vordergründig um einen, der ein Held sein möchte, ist es doch der eigentliche Tenor des Films, wie konsequent man als Held in der wirklichen Welt sein müsste. Als böser Schatten der sympathischen Hauptfigur entwirft KICK-ASS einen speziellen, zum Star avancierenden Alptraum. Und verschiebt ständig seine Grenzen im Spiel zwischen fiktiver Wirklichkeit und wirklicher Fiktion.
Chloe Grace Moretz ist dieser Star, der eigentlich keiner sein dürfte. Jedenfalls nicht in einer Filmwelt, die im Umgang mit Moral nicht zynischer sein könnte. Ein elfjähriges Mädchen, das sich von Papa anschießen lässt, Drogendealern die Beine mit Macheten abschlägt, sich zum Geburtstag Butterfly-Messer wünscht oder mit einem Lächeln Kopfschüsse aus direkter Nähe verabreicht. Eine Elfjährige, die, statt mit Barbie zu spielen, Spaß am Töten hat und ihren Vater anhimmelt, der sie zu einer Mordmaschine erzog. Cloe Grace Moretz hat ein einnehmendes Aussehen und eine überwältigende Aura, selbst hinter ihrer schwarzen Maske. Sie definiert KICK-ASS als Film, und sie definiert „kicked ass“.
Man kann dies moralisch überbewerten. Und mit dieser Meinung läge man, realistisch gesehen, wirklich nicht falsch. Doch Realismus wiederspricht den Gepflogenheiten des Superhelden-Kinos. Aber gerade weil der große Schauwert und der eigentliche Gehalt von einer Elfjährigen ausgehen, die noch vor der Pubertät keine sittliche Gesinnung mehr besitzt, darf man das nicht unreflektiert lassen. Schließlich ist das Szenario kein Tabubruch, weil so etwas als Tabu bisher nicht in Frage gestellt werden musste. Im modernen Kino vielleicht bei Bessons LEON, doch der folgte einer ganz anderen Dramaturgie. Ist KICK-ASS noch der pure Spaß – und man kommt nicht umhin, dies tatsächlich als solchen zu beschreiben –, wird die filmische Umsetzung von Hit-Girl wegweisend sein. Und da kann bei Nachahmern, Originalität bekanntlich schnell ins Fragwürdige kippen.
Dabei lief KICK-ASS stets Gefah, der Film zu werden, der er nie sein wollte. Denn die amerikanische R-Freigabe, vergleichbar mit dem deutschen FSK 18, kann durchaus die Einnahmen um zwei Drittel kürzen. Da aus unerfindlichen Gründen die führenden Filmstudios Hollywoods Kassenerfolge nach dem heimischen Ticketverkauf messen und nicht nach den internationalen Gesamteinkünften, war für KICK-ASS stets ein PG-13 angepeilt gewesen. Praktisch ein lockeres „ab 16“ oder sehr strenges „ab 12“. Vaughn als Regisseur und Co-Autor hat natürlich mit sich ringen müssen, letztendlich aber doch den Film gemacht, der nun trotz oder gerade wegen aller Freigabe-Beschränkungen die Massen überzeugt.
Vaughn inszeniert sehr klassisch, sehr strikt. Stimmung und Rhythmus sind sich ergänzende Einheiten. Die Computer-Effekte sind erstaunlich, aber erfreulich reduziert, und beschleunigte ebenso wie verlangsamte Sequenzen durchweg effektiv eingesetzt. Optische und akustische Gimmicks ordnen sich strikt dem Lauf des Films unter. Dessen Ton ist eine ständige Verquickung von Romanze, Heldenepos und kruden Gewaltszenen. Und damit kann man Matthew Vaughns Comic-Verfilmung einen annähernd perfekten Charakter bescheinigen. Dafür muss man allerdings die satirische Inszenierung in ihrer derben Konsequenz akzeptieren.
Angeführt vom erfreulich frischen Gesicht von Aaron Johnson ist das Ensemble erstaunlich harmonisch. Sogar dem selten überzeugenden Nicholas Cage darf man zu seinem besten Auftritt seit Jahren gratulieren. Die Musikauswahl tut ihr Übriges, um den ohnehin freudig erregten Zuschauer in helle Ekstase zu versetzen. KICK-ASS katapultiert sich mit allem, was er hat, wie er arrangiert wurde, wie man ihn erleben darf, zum unterhaltsamsten, aber auch perfektesten Film in der Durchschnittlichkeit des Mainstream-Dschungels.
Perfekt, soweit man bereit ist, einiges einzustecken. Eine elfjährige Tötungsmaschine ist aber auch nicht sehr leicht zu verkraften. Und darf auch keineswegs unreflektiert bleiben. Aber es macht einfach zu viel Spaß. Zynisch? Ja, vielleicht kann man dem Ganzen auch einen gewissen Grad an Zynismus vorwerfen. Hey, man ist erwachsen, und nicht umsonst soll die Altersfreigabe ihre Pflicht erfüllen. Dann wird alles gut, denn es macht wirklich sehr viel Spaß.
Darsteller: Aaron Johnson, Chloe Grace Moretz, Christopher Mintz-Plasse, Mark Strong, Nicholas Cage, Clark Duke, Lyndsey Fonseca u.a.
Regie: Matthew Vaughn – Drehbuch: Matthew Vaughn, Jane Goldman nach dem Comic von Mark Millar und John Romita – Kamera: Ben Davies – Bildschnitt: Jon Harris, Pietro Scalia, Eddie Hamilton – Musikberatung: Ian Neil – Produktionsdesign: Russell De Rozario
USA / 2009 – zirka 117 Minuten
Bildquelle: Universal Pictures International