Brittany, Drew und der Rest
Der Vorteil des Bezahl-Fernsehens ist das Stolpern über Filmperlen wie ER STEHT EINFACH NICHT AUF DICH. Das Auffallendste an dieser Beziehungskomödie war, dass drei der vier durchaus attraktiven Darstellerinnen die gleiche Frisur trugen. Fettig wirkende Spaghetti, die ungeliebt bis über die Schulter hingen.
Jemand, der selber gegen nicht aufzuhaltenden Haarausfall kämpft, sollte so etwas nicht sagen, aber sie hätten besser aussehen können. Die Darstellerinnen waren Jennifer Aniston, Jennifer Connelly und Drew Barrymore. Letzterer ist es zu verdanken, dass meine Gedanken während des Films von den unsäglichen Frisuren auf etwas anderes gelenkt wurden.
Denn da war Drew Barrymore, die zwar in anderen Filmen schon wesentlich besser von den Makeup-Künstlern behandelt wurde, aber dennoch in ihrer weiblichen Attraktivität erstrahlte. Drew Barrymore, die kleine Gertie.
Drei Tage vorher lief mir MY MOMS NEW BOYFRIEND über die Pupillen. Auch kein cineastischer Glückstreffer, in dem FBI-Agent Colin Hanks mit Hilfe seiner Freundin Selma Blair versucht, Botox-Königin Meg Ryan als seine Mutter vor Antonio Banderas zu beschützen. Colin Hanks, Toms Kleiner, der seine ersten Gehversuche machte, als ich SATURDAY NIGHT FEVER das erste Mal im Kino sah.
Klein Gertie? Herr im Himmel, als sie in die Filmwelt polterte, war gerade Romy Schneider verstorben und mit RAMBO eine neue Legende geboren. Persönlich betrauerte ich Grace Kelly und versuchte, eine Rezension über die Verfilmung von THE WALL zu verfassen. Es war 1982, ich fühlte mich als ganzer Kerl und wurde von anderen dafür belächelt. Natürlich weinte ich, als E.T. sich verabschiedete und mit seinem Raumschiff nach Hause flog. Wem ging das nicht so? Aber keinem wurde während der Vorstellung bewusst, dass Elliots kleine Schwester neben dem kleinen Außerirdischen die nachhaltigste Figur in Spielbergs Film bleiben würde.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Brittany Murphys plötzlicher Tod so viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Was jetzt durch Boulevardblätter und Autopsien alles ans Tageslicht empor kriecht, überrascht nicht wirklich. Auch ihre chirurgischen Feinschliffe waren alles andere als Geheimnisse. Sie wurde 32, und bis dato war es sogar noch vergleichsweise ruhig um Miss Murphy. Für Hollywood-Verhältnisse. Mit 14 startete die Karriere im Fernsehen, mit 18 fällt sie als quirlige Freundin in CLUELESS neben Alicia Silverstone auf. Und irgendwie nimmt man es als selbstverständlich, dass man so nebenher die ansteigende Karriere einer aufstrebenden Schauspielerin erlebt.
Ob PROPHECY II, GIRL INTERRUPTED oder DON’T SAY A WORD. Ach, es war immer die Kleine mit der etwas anderen Auswahl an Filmstoffen, aber die Putzige eben. Und auf einmal hat sie Sex mit Eminem. Auf der Leinwand. Und jeder, der sieben Euro zahlte, konnte sich das ansehen. Die 25-Jährige war doch kein kleines Mädchen mehr.
Auf Brittany Murphy nun den Abgesang des großen Verlusts anzustimmen wäre an dieser Stelle weder angebracht, noch ist es das Thema. Wir sehen ihre ersten Auftritte, wir verfolgen ihre Karrieren, wir begleiten ihre Erfolge. Und nur selten nehmen wir es wahr, wie es ist: Wir werden mit Menschen alt, deren erste wackeligen Schritte wir erleben durften und die sich dabei zu stattlichen Läufern entwickelt haben.
Die filmversessene Generation in meinem Alter bedauert, nicht bei der Premiere von CASABLANCA dabei gewesen zu sein, keine Chance gehabt zu haben, Clark Gable die Hand zu schütteln, mit der Dietrich einen Schnaps zu trinken. Die bekannteste Adresse in Beverly Hills war seinerzeit das Haus von Jimmy Stewart. Mein Vater meinte in Bezug auf einen meiner Aufenthalte in Los Angeles, ich solle an Stewarts Haustüre klingeln.
„Ich kann nicht an James Stewarts Haustür klingeln.“
„Natürlich kannst du das, ich würde das sofort tun.“
„Das ist JAMES STEWART. Man klingelt nicht einfach an James Stewarts Haustür.“
„Aber selbstverständlich, ich hab jedes Recht dazu.“
„Niemand hat das Recht, James Stewart einfach an der Haustür zu belästigen.“
„Wir sind zusammen alt geworden. Ich habe sehr viel Geld bezahlt, um ihn immer sehen zu können. Er kennt mich nicht, aber ich kenne ihn lange genug, um einfach mal bei ihm zu klingeln, ihm die Hand zu schütteln und zu sagen, dass ich ihn gerne sehe. Und dann gehe ich wieder.“
Niemals hätte ich meinen Vater in Beverly Hills zur Adresse von James Stewart gebracht. Niemals. Aber war sein Denken so falsch? Es ist durchaus möglich, dass ich in einem gewissen Alter die blinde Schwärmerei für das Kino abgelegt habe und bedachter damit umgehen werde. Vielleicht möchte ich dann Drew Barrymores Hand schütteln und ihr einfach nur sagen, dass ich ihre Biografie bewundert habe, die ich bis dahin auch mal gelesen haben werde. Diese Biografie, die sie mit 14 Jahren geschrieben hat, um über ihre Alkoholabhängigkeit zu erzählen. Mit vierzehn.
Oh, Winona Ryder und ich sind zusammen aufgewachsen. Es gab eine Zeit, da hätte ich gerne ihre Hand geschüttelt. Aber dann hat sie die Kleptomanie für sich entdeckt und nun hätte ich Angst, meine Hand nicht wiederzubekommen. Ich bin mit dem Beginn und den Höhepunkten von Debra Wingers Karriere aufgewachsen. Aber sie hat sich zurückgezogen, weil Frauen über vierzig kaum noch eine Chance in Hollywood haben. Richard Gere und Sly Stallone, wir waren dabei. Es ist aber nicht dasselbe. Nein, ganz und gar nicht.
Wir haben die kleine Freundin von E.T. kennen und Charlie aus FIRESTARTER fürchten gelernt und jetzt versohlt Drew Barrymore als CHARLIES ANGEL ordentlich Männerhintern. Jennifer Connelly hat uns als Vierzehnjährige in ONCE UPON A TIME IN AMERICA überzeugt und als unschuldige Sechzehnjährige ins LABYRINTH mitgenommen. Siebzehn Jahre später, da haut sie uns in HOUSE OF SAND AND FOG vollends aus den Sitzen. Eigentlich war ORANGE COUNTY nur eine Teenager-Klamotte, und dann noch mit Tom Hanks Ableger Colin. Aber gerade wegen Colin wurde es eine Komödie der anspruchsvolleren Sorte. Wo wird dieser Weg wohl hinführen? THE GREAT BUCK HOWARD wird kaum beachtet, ist aber ein Film, der Colin in die richtige Richtung bringt, ernst genommen zu werden.
Von der überragenden, aber kaum gesehenen elfjährigen Amanda in MANNY & LO bis zur Rolle der Black Widow, die nicht nur in IRON MAN 2, sondern auch gleich bei den AVENGERS zu sehen sein wird. Genau, man darf Scarlett Johansson einfach nicht vergessen, deren Entwicklung vom schüchternen Kind zum männermordenden Vamp erschreckend schnell ging.
Sicherlich kann man Beispiel an Beispiel reihen, und man wäre erstaunt. Richtig bewusst wird es einem leider immer erst dann, wenn wieder mal ein Cocktail von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu einer Überdosis führt. Es muss nicht immer dramatisch werden, wenn man zum Beispiel über einen Film stolpert, wo das Objekt der Begierde mit unmöglicher Frisur über die Leinwand rennt. Man denkt, „wie kann dich deine Mutter nur so aus dem Haus lassen“, und dann merkt man, dass man eine mittlerweile zweimal geschiedene Frau vor sich hat. Hallo, schreit es, das ist alles nur ein Film. Ja, natürlich, mit miesen Makeup-Künstlern, so würde sie nicht einmal von ihrem Freund E.T. wiedererkannt werden.
Sehr gerne hätte ich Jimmy Stewarts Hand geschüttelt. Aber vielleicht habe ich die Möglichkeit, einmal Colin Hanks die Hand zu schütteln und zu sagen, „nur wegen deinem Vater bin ich auf dich aufmerksam geworden. Was habe ich für ein Glück“. Wer weiß. Ist das nicht das Spannende? Wer erlebt schon die Geburt eines Sterns? Man muss vielleicht nur ein bisschen die Augen aufhalten, sonst läuft man Gefahr, sich verwundert den Kopf zu reiben, „wo kommt der denn plötzlich her?“ Oder der Stern ist wieder erloschen, bevor wir hochgeblickt haben. Nichts versäumt.
Aber ist das nicht spannend, wenn sie dort oben am Firmament bleiben, wenn aus niedlichen Kinderrollen verliebte Teenager werden? Wenn man sie beobachten kann, wie sie sich zuerst zwischen Karriere und einem Mann entscheiden müssen, oder die Bösen dieser Welt verdreschen dürfen, um schließlich die erste Mutter-Rolle zu übernehmen. Und es drückt uns eine Träne aus dem Augenwinkel, bei ihrer Oscar-Dankesrede für die tragische Geschichte einer verkrüppelten Krebskranken. Ja, kann man dann sagen, ja, das habe ich schon vor 20 Jahren geahnt, als sie im Remake von LASSIE um den Hund weinte.