Roland Emmerich dafür zu ohrfeigen, dass 2012 so geworden ist, wie wir ihn jetzt erleben dürfen, kommt dem Vorwurf an einen Priester gleich, dass dieser gläubig ist. Natürlich fordert es der Schwabe für jeden seiner Filme heraus, dass dieser als banal, inhaltlos und reißerisch kritisiert wird. Aber von einem muss man den Filmautor freisprechen, und das ist der vielfach erhobene Vorwurf der Naivität.
Selbstverständlich wirkt dies im ersten Augenblick paradox. Doch mag all das Gemecker an Roland Emmerich verdient erscheinen und die harschen Kritiker sich auch im Recht wähnen, so sollte man sich doch stets vor Augen führen, wie der Obertürkheimer überhaupt erst aus München rausgekommen ist.
Am 21.12.2012 wird also die Welt untergehen. Zur Freude aller Esoteriker bezieht sich das Drehbuch nur sehr bedingt auf den zu diesem Datum endenden Maya-Kalender, der damit ja nicht den Weltuntergang, sondern eine neue Weltordnung prophezeit. Dafür erweitern die Autoren Kloser und Emmerich die Quellen der Voraussagen um ein Vielfaches und lassen den durchgeknallten Verschwörungstheoretiker in Form von Woody Harrelson unter anderem noch die Bibel und den Koran zitieren, sie alle haben es gewusst.
Auch der Zuschauer hat es gewusst, deswegen starrt er nun verzückt auf die Leinwand. ‚Wir waren gewarnt‘. Nun bricht also die Welt auseinander. Sonneneruptionen haben den Erdkern soweit verändert, dass dieser so etwas wie Mikrowellen abstrahlt. Die amerikanische Regierung erfährt davon 2009 und die Bevölkerung erst 2012, wenn es passiert. Für die vielen Action-Sequenzen braucht sich der Regisseur nicht viel einfallen zu lassen, das Schema bleibt unverändert. Ein heftiger Erdstoß, dann ein großer Spalt, der den Asphalt aufreißt, und schließlich tut sich die Erdkruste auf. Bei jedem heftigen Erdstoß weiß der Zuschauer also schon, sich umgehend in eine aufrechte Position auf dem Kinosessel zu begeben.
Um die gute Laune beim Zerstören der Welt zu erhöhen, mischen sich tatsächlich Dialoge wie der zwischen einem Pärchen, „lass ihn keinen Graben zwischen uns treiben“, just in dem Moment, bevor eine Erdspalte das bewusste Pärchen trennt. Oder der die Katastrophe einleitende Riss führt genau zwischen die zwei zueinander deutenden Finger von Gott und Adam, im Fresko der Sixtinischen Kapelle. Im Übrigen ist die italienische Sequenz im Vergleich zu den anderen, überragenden Katastrophenszenen, die am wenigsten überzeugende. Aber bis dahin ist man ja längst Opfer des visuellen Overkills geworden. Die Bildschnitt-Rate ist um einiges geringer als bei vergleichbaren Großproduktionen. Der Zuschauer soll ganz offensichtlich besser verarbeiten können, was er bisher noch nie zu sehen bekam.
Mit Cusack, Ejiofor, Clover, Platt, Harrelson und Peet hat Emmerich wieder Schauspieler um sich geschart, die wie in all seinen vorangegangenen Produktionen auch diesen Film vor der Peinlichkeit bewahren. Dabei kam noch keinem Emmerich-Charakter für den Film relevante, tiefere Bedeutung zu. Den Vorwürfen von charakterlichen Klischees und schwachen Dialogen steht der Regisseur und Autor mit einem Lächeln gegenüber. Seine immer wieder erklärten Ziele sind gewiss keine psychologischen Studien, sondern aufregende, visuelle Szenarien so zu verpacken, dass durch sie die Effekte eher noch fokussiert werden. Da wird dann auch die im Drehbuch vorgesehene Zerstörung Mekkas schnell gekippt. Die reine Freude an optischen Reizen darf auf keinen Fall als missverstandenes Statement getrübt werden.
Unverändert seit dem Debüt ARCHE NOAH PRINZIP bilden Männer den handlungstechnischen Mittelpunkt der Filme des Roland Emmerich. Es sind die unscheinbaren Verlierertypen, die mit einem mächtigen Tritt in den Hintern zu plakativen Heroen aufsteigen. Frauen wird ebenso unverändert die Rolle zuteil, mit weit aufgerissenen Augen der Angst die Hilfe des Helden zu erfahren. Dabei setzt Emmerich seine Schauspieler stets als vielfach vergrößerte Imitation ihres eigenen Images ein. Somit ist John Cusack nicht nur der liebenswerte Loser, sondern der liebenswerteste Loser überhaupt. Und es könnte auch nie einen ehrenwerteren amerikanischen Präsidenten geben als Danny Clover.
Banal ist die Handlung, inhaltslos die Dialoge sowie Interaktionen und reißerisch jeder Einsatz von computergenerierten Effekten. Aber zu keinem Zeitpunkt will Roland Emmerich seinem Publikum etwas anderes verkaufen. Auf dem Ticket steht das Ende der Welt, und das wird auch für jeden Cent des Tickets gegeben. Dies ist ein Roland-Emmerich-Film, und da bekommt man auch, was man erwartet. Nach dem Akt der puren Zerstörung in INDEPENDENCE DAY und der klimatischen Katastrophe von DAY AFTER TOMORROW scherzten Freund wie Feind, dass als nächstes wohl nur das Ende der Welt anstehen könnte. Diese Leute sollten Lotto spielen.
Der Reichtum an Details, wie erst die amerikanische Westküste im Meer versenkt und dann der Yellowstone Park zur Explosion gebracht wird, ist sagenhaft. Wie die Protagonisten durch dieses Armageddon gehetzt werden, ist an vielen Stellen einfach brüllend komisch. Schade, das sagen zu müssen, aber tatsächlich jagt eine Lächerlichkeit die nächste. Doch dafür überwältigen die Bilder. Ja, an manchen Stellen schaffen sie es sogar, dem Betrachter ein flaues Gefühl im Magen zu verpassen. Und wird die optische Reizüberflutung des Desasters von scheinbar absichtlich schlecht inszenierten Dialogszenen unterbrochen, wünscht man sich nichts sehnlicher, als den nächsten starken Rums, der zuerst die Asphaltdecke aufreißt.
Roland Emmerich hat es verstanden, sich von Film zu Film zu steigern. Er wollte immer lauter, immer gewaltiger werden und hat sein Ziel erreicht. Was kommt jetzt, fragen sich Freund und Feind. Vielleicht sollte Emmerich endlich einmal inszenieren lernen. Die Erde so wunderbar zu zerstören, dass es einem einen freudigen Schauer über den Rücken jagt, das kann er. Aber inszenieren kann er nicht. Und weil der Regisseur immer lauter und immer gewaltiger werden wollte, fällt seine markante Schwäche für das Inszenieren von Spannungsszenen bei 2012 umso stärker ins Gewicht.
Böse Zungen haben dereinst verkündet, dass Besitzer der DVD von INDEPENDENCE DAY nach dem Angriff der Außerirdischen wieder abschalten würden. Das wäre durchaus im Bereich des Möglichen, weil nachvollziehbar. Was danach kommt, verliert merklich an unterhaltender Qualität. Leidig, dass sich Emmerich auch diese Eigenschaft zu eigen machte. GODZILLA verliert vollkommen jeden Biss, wenn es zum Showdown in den Madison Square Garden geht. Und bei 2012? Da versucht sich das Tempo selbst zu überholen. Zum Leid eines bereits überwältigten Publikums, werden in der letzten Stunde soviel Unmöglichkeiten komprimiert, dass sich die anfängliche Spannung zum Wunsch nach dem Abspann verkehrt. Hier glaubt der Schwabe Roland, dem Daraufgesetzten noch einmal etwas daraufzusetzen zu müssen. Und das misslingt. Wieder einmal.
Aber man sollte sich von den Unzulänglichkeiten eines Roland Emmerichs nicht wirklich abschrecken lassen. Auf DVD könnte man dann ja die letzte Stunde wegschalten. Gerechtfertigt mag der Vorwurf der Banalität sein, und inhaltslos trifft wohl zu, genau wie das Reißerische. Aber Emmerich ist keineswegs naiv. Er gibt seinem Publikum, was es erwartet zu sehen. Und wenn er sich noch so oft wiederholen wird, man bezahlt teures Geld, um es so zu bekommen. So wie er es bei 2012 erneut geschafft hat.
Ein großer Film für die große Leinwand ist es. Lächerlich, unlogisch und weit ab jeder Vernunft. Doch woher nehmen Kritiker ihren Anspruch, dass es dieses eine Mal anders sein sollte. Roland Emmerich wird, wie immer bei jedem gerechtfertigten Vorwurf, milde in sich hinein lächeln. Er ist ja nicht naiv. Er gibt einfach, was viele Zuschauer tief in ihrem Herzen wirklich wollen, aber nicht zugeben werden. Es ist dieser losgelöste, magische Moment des Staunens. Für die Nouvelle Vague sind andere zuständig. Und wer es nicht lassen kann, zu schimpfen, dem sei einfach nur gesagt: Wir waren doch gewarnt.
2012
Darsteller: John Cusack, Chiwetel Ejiofor, Oliver Platt, Thandie Newton, Amanda Peet, Danny Clover, Woody Harrelson u.v.a
Regie: Roland Emmerich – Drehbuch: Harald Kloser, Roland Emmerich – Kamera: Dean Semler – Bildschnitt: David Brenner, Peter Elliot – Musik: Harald Kloser – Produktionsdesign: Barry Chusid – Visuelle Effekte: Volker Engel, Marc Weigert
USA / 2009 circa 158 Minuten