Diese Besprechung wurde nach der zehnten Episode, der 22 Teile umfassenden Serie geschrieben und nach Ablauf von FlashForward nicht aktualisiert:
ON OCTOBER 6, THE PLANET BLACKED OUT FOR TWO MINUTES SEVENTEEN SECONDS. THE WHOLE WORLD SAW THE FUTURE.
Anfangs hat sich LOST wirklich schwer getan. Während der zweiten Staffel wurde der Vorwurf laut, die Macher hätten keinen Schimmer, wohin die Geschichte laufen sollte. Die Produzenten gaben vor, sehr wohl zu wissen, was mit den auf der Insel Gestrandeten passieren würde, baten die Zuschauer um erhöhte Aufmerksamkeit und schürten den Kult. Damit besiegelte man recht früh das Ende der Serie, um Lost vernünftig zu Ende zu erzählen. Das brachte der Serie phantastische Quoten und eine ungeheure Fan-Gemeinde aus allen Schichten. Und nun? Das Ende ist nah.
Das Ende von LOST war absehbar und der Sender ABC früh genug gewarnt, für die Puzzle- und Mysterien-Fans Ersatz zu schaffen. Dieses Zuschauerpotenzial durfte man nicht abwandern lassen. Der Science-Fiction-Roman FLASHFORWARD des viel zu wenig beachteten Kanadiers Robert J. Sawyers schien dabei in die richtige Kerbe zu hauen.
Ab hier wird gespoilert:
Die Physiker Lloyd Simcoe und Theo Procopides starten bei CERN ein Partikel-Experiment mit dem LHC, dem riesigen Partikelbeschleuniger unter der Erde der Schweiz. 137 Sekunden später liegt die Welt im Chaos. Die gesamte Menschheit fiel in eine exakt 137 Sekunden dauernde Ohnmacht. Kein Überwachungsinstrument auf der Welt funktionierte in dieser Zeit. Menschen sterben an einfachen Treppenstürzen, als sie unkontrolliert kollabieren. Autos rasen zu bizarren Karambolagen ineinander. Flugzeuge stürzen vom Himmel, oftmals auch in bewohnte Gebiete. Das Szenario ist ein gigantischer Alptraum. Doch wer diese weltweite Ohnmacht überlebt, war für die gesamten 137 Sekunden genau 21 Jahre in der Zukunft. Dabei handelt es sich nicht um blanke Visionen, die Betroffenen wissen in ihrer Zukunftsvision, wer und wo sie sind und warum sie das tun, was sie in diesem Augenblick tun. Die Physiker müssen herausfinden, was während ihres Experimentes passiert ist, um zu verhindert, dass es sich wiederholt. Zudem gibt es unzählige Menschen, die keinerlei Aussicht in die Zukunft hatten. Sie haben entweder geschlafen oder sind zu diesem Zeitpunkt schon tot.
Für eine amerikanische Serie gibt es bei dieser Roman-Grundlage natürlich einiges an Schwierigkeiten. Die Dekonstruktion von Sawyers genialem Roman, der lediglich im Mittelteil des dritten Aktes etwas schwächelt, schien also von Anfang an unausweichlich. Aus dem smarten Physiker Simcoe wurde der vom Alkohol nur scheinbar geheilte FBI-Agent Mark Benford. Joseph Fiennes spielt seinen Benford mit stets düsterer Mine, sehr facettenreich ist das nicht. Doch Fiennes besitzt dafür diese Präsenz, die schauspielerisches Mittelmaß stark aufzuwerten vermag. Theo Procopides wird von Demetri Noh ersetzt, gespielt von John Cho. Cho wächst als FBI-Partner von Benford auch nicht gerade über sich hinaus, ist aber der Charakter, der seinem Roman-Ego am nahesten kommt. Zudem hatte Noh keinen FlashForward genannten Ausblick in die Zukunft.
Spielt der Roman hauptsächlich in der Schweiz, beziehungsweise in CERN, verlagert die ABC-Serie die Handlung komplett nach Los Angeles. Die Physiker werden zu FBI-Agenten und CERN spielt überhaupt keine Rolle mehr. Wusste man im Roman sehr schnell, wodurch der weltweite Blackout ausgelöst wurde, wandelt das FBI zumindest in den ersten acht Folgen von FLASHFORWARD absolut im Dunkeln. Aus den 21 Jahren, welche die FlashForwards in die Zukunft blicken ließen, wurden in der Serie 6 Monate, genauer der 29. April 2010 – vom 6. Oktober zum 29.April sind es zwar fast 7 Monate, aber die Serie nennt stets diese Zahlen.
Einer der spannendsten Aspekte, der sich hoffentlich inhaltlich auflösen wird, sind diese zeitlichen Eckdaten, welche die Macher in die Episoden eingebaut haben. Die Serie würde demnach im Jetzt spielen, was nicht unbedingt Sinn macht.
Was die Änderungen mit sich gebracht haben, lässt vom Roman kaum etwas übrig. Das Szenario bleibt allerdings gleichermaßen überwältigend. In der ersten Episode wird die Katastrophe aus Sicht von Agent Benford gezeigt. Die visuelle Umsetzung ist überwältigend und erreicht ohne weiteres hohes Kino-Niveau. Brennende Hochhäuser, abgestürzte Flugzeuge, Massenkarambolagen. Und Menschen, die darüber vollkommen durchdrehen. Man hat sich aber nicht darauf beschränkt, den Blackout für die erste Episode so perfekt darzustellen. In weiteren Folgen gibt es von anderen Orten weitere Rückblicke auf den Blackout und seine bizarren Auswirkungen.
Die Qualität der einzelnen Episoden variiert dabei stark. Zieht der Pilotfilm noch unbarmherzig hinein, läuft schon ab der zweiten folge eine gewisse Serienroutine. Hausgemachte Probleme treten auf, um die Charaktere mehr zu vertiefen. Das meiste davon wirkt allerdings etwas zu sehr strapaziert, wie der durch den FlashForward angedeuteten Bruch zwischen Benford und seiner Frau.
Durch das Zusammentragen aller möglichen Zukunftsausblicke versucht das FBI-Team herauszufinden, was und wer den Blackout verursacht hat. Demetri Noh hingegen sammelt über die Zeit hinweg immer mehr Beweise, dass er Opfer eines Mordanschlages wird. Im Verlauf der Serie versuchen immer mehr Menschen erfolgreich, ihre Zukunft zu ändern. Ein dramaturgisches Spiel, das ständiger Begleiter der Serie ist, und den Hauptfiguren stets neue Hoffnung geben zu scheint, nur um sie dann in aller Heftigkeit zurück auf den Kurs des FlashForward zu bringen. Hierbei ähnelt sich der Episodenaufbau von Folge zu Folge. Doch die Handlung gewinnt immer mehr an mysteriösen Hinweisen und entwickelt langsam ein Bild. Allerdings ein Bild, das noch keiner wirklich interpretieren kann.
Als der Sonderkommission vorgesetzter FBI-Direktor Stanford Wedeck ist Courtney B. Vance mehr im Hintergrund aktiv, ist aber eine der interessantesten Figuren. Er hat auch den witzigsten Hintergrund, beteuert er doch immer wieder, in seinem FlashForward in einer Sitzung gewesen zu sein, während der Zuschauer den wahren Grund für die falsche Beteuerung zu sehen bekommt. Wedecks stete Gedanken und Einwände sind auch bestimmend für die Prämisse von FLASHFORWARD. Ist die Zukunft wirklich festgeschrieben?
Als Serie war FLASHFORWARD für fünf Staffeln ausgelegt. Ihren Blick in die Zukunft hat die Serie nicht gewährt bekommen. Ständig wechseln die Ausführenden Produzenten, manche steigen ganz aus, andere bleiben als Berater erhalten. Und auch ABC ist sich selbst noch nicht einig, wie viele Episoden wenigstens der ersten Staffel gegönnt werden sollen. Von ehemals 21 Episoden erhöhte man nach gelungenem Start auf 25, um erst auf 24 und dann auf 23 zu reduzieren. Der Stand Mitte Februar 2010 sind 22 bestellte Episoden.
Das spricht nicht dafür, dass die Verantwortlichen wirklich hinter dieser Serie stehen. Vielleicht, weil man wesentlich mehr Potenzial gesehen hat, als letztendlich wirklich da war. Die schwankende Qualität des bisherigen Verlaufs, von außergewöhnlich und spannend bis zu klischeebeladen und platt, macht es dem Zuschauer auch nicht sehr leicht. Zu viele ebenso gute Alternativen gibt es augenblicklich auf dem Serienmarkt.
Mit dem Einstieg von Dominic Monaghan als undurchsichtiger Simon Campos wird es mit FLASHFORWARD auch nicht besser werden. Als Frauen verschlingender Geheimniskrämer, der als Supertyp einfach nur cool und bedrohlich wirken soll, ist er nicht einfach nur der Falsche, sondern er ist lächerlich und nimmt jede Ernsthaftigkeit aus dem Plot. Dass aber dann doch ein Charakter mit Namen Lloyd Simcoe auftaucht, der eigentliche Hauptcharakter aus dem Roman, macht doch wieder extrem neugierig.
Findet man im Roman eine physikalische Erklärung für das Phänomen, scheinen hier beim Blackout böse Finger am Werk gewesen zu sein. Entgegen dem Roman funktionierten die Überwachungssysteme in der Serie während des Vorfalls sehr gut. Und auf einer der Videoaufzeichnungen sieht man zumindest eine Person, die während der 137 Sekunden nicht ohnmächtig war.
Das macht eben das Für und Wider von FASHFORWARD aus. Sie versprechen sehr viel daraus zu machen, scheinen sich aber auch leicht verzetteln zu können. Und auch wenn es keine sehr schnell erzählte Geschichte ist, gewinnt am Ende doch die Neugierde. Wenigstens die Auflösung der ersten Staffel muss man vielleicht doch gesehen haben. Denn Direktor Wedeck legt an diesem Punkt den Köder aus:
„Die Welt hat sich verändert. Wir treffen Entscheidungen danach, was passieren wird, und nicht danach was passieren könnte. Es lässt uns Sachen tun, die wir normalerweise nicht machen würden.“
FLASHFORWARD
nach einem Roman von Robert J. Sawyer, von Brannon Braga und David S. Goyer entworfen.
Darsteller: Joseph Fiennes, John Cho, Sonya Walger, Courtney B. Vance, Jack Davenport, Zachary Knighton, Christine Woods, Lee Thompson Young, Ryan Wynott, Lennon Wynn, u.a.
Regie: David S. Goyer, Michael Rymer, Bobby Roth, Nick Gomez u.w.
Autoren: David S. Goyer, Brannon Braga, Marc Guggenheim, Lisa Zwerling, Scott Gimple, Dawn Prestwich, Nicole York, Seth Hoffman, Quinton Peeples, Ian B. Goldberg, Barbara Nance u.w.